3. Kapitel

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Jemand stürmte in mein Zimmer, als ich die Augen noch geschlossen hatte. Das war bestimmt kein Krankenhauspersonal, aber auch nicht Vika und erst recht nicht Scott. Aaron konnte heute nicht kommen, er hatte ein wichtiges Fußballspiel. Dennoch hatte ich all meine Überredungskunst aufwenden müssen, um ihn davon abzuhalten, das Spiel sausen zu lassen und stattdessen an meinem letzten Tag in Deutschland zu mir zu kommen. Aber erstens würde er es später bereuen, wenn er nicht gegangen wäre, denn seine Mannschaft war ihm als Kapitän sehr wichtig und zweitens konnte ich gerade einfach keinen Abschied gebrauchen. Wenn er nicht hier war, fühlte es sich nicht wie ein Abschied für mehrere Jahre an, denn ich würde mindestens bis zu meinem Schulabschluss in Schottland bleiben. Zurück in die Gegenwart: Wer zum Teufel . . . >>Aufwachen, du Schlafmütze, der Flug geht in zwei Stunden!<<, störte eine Mädchenstimme auf Englisch meine Gedanken. Dann war es wohl meine Cousine, Fiona, die mich da aufgeweckt hatte. Sofort wurde ich von der Stimme bestätigt: >>Aufstehen, Rosanna, ich bin es, deine Cousine Fiona. Von Freunden Fi genannt.<< Ich setzte mich auf und musterte Fi. Sie war blond, wie ihre Mutter, aber hatte die grünen Augen ihres Vaters. Sie betrachtete mich ebenfalls kritisch, dann meinte sie fröhlich: >>Du bist hübsch, also wirst du keine Eingewöhnungsschwierigkeiten an der Schule haben. Außerdem werden dir alle Jungs zu Füßen liegen! Und wenn ich mich hier so umschaue, bist du hier auch ziemlich beliebt. So viele Karten und die Blumen erst . . .<< Sie sah sich staunend um. Tatsächlich war mein Raum zugestopft mit Karten und Blumensträußen meiner Klassenkameraden. Aaron war nicht der einzige, der mich in den letzten Tagen besucht hatte. Allerdings war sein Blumenstrauß der größte von allen. >>Die liegen doch bestimmt alle dir zu Füßen und wollen von mir gar nichts wissen.<<, wiegelte ich ab, die Bemerkung über die Jungs hier ignorierte ich. Und es stimmte, Fi war tatsächlich schön, beinahe von klassischer Schönheit. Sie schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts mehr zu diesem Thema, stattdessen fing sie an, mir von meinem neuen Leben auf der kleinen Insel Skye in einem Vorort von Portree zu erzählen. Der Rest des Tages verschwamm in einem Mischmasch aus Gesichtern, schlafen und harten Sitzen.

>>Aufwachen, Rosanna, wir sind da.<<, sagte Fi, wahrscheinlich würden ab jetzt alle Englisch reden, also würde ich mich daran gewöhnen müssen. Gott sei Dank war ich wirklich gut in Englisch und war auch schon mehrmals in England gewesen, was meine Sprachkenntnisse noch erheblich verbessert hatte. Stöhnend richtete ich mich im Autositz auf, mein gesamter Körper tat weh. >>Warum müssen diese Autositze so unbequem sein?<<, beschwerte ich mich, während ich mein Gipsbein aus dem Auto wuchtete. Fi lachte: >>Das kommt dir nur so vor, weil du so zugerichtet bist.<< Murrend versuchte ich, mich hinzustellen, als mir jemand seine Hand hinstreckte. Erstaunt schaute ich auf und blickte in ein von dunkelbraunen Haaren umrahmtes Gesicht, das dem meines Onkels aufs Haar glich, bis auf die marineblauen Augen. >>Du musst mein Cousin Ian sein<<, stellte ich fest. Er lächelte: >>Und du musst meine wunderhübsche Cousine Rosanna sein, wegen der mir meine Schwester am Telefon schon ein Ohr abgekaut hat. Aber sie hat Recht, selbst mit den Blutergüssen und Schnitten im Gesicht bist du noch hübsch<<, erwiderte er. Ich sagte: >>Naja, so hübsch bin ich nun auch wieder nicht, obwohl mir das in letzter Zeit ständig gesagt wird. Aber du bist doch bestimmt der Mädchenschwarm der Schule, oder?<< >>Nein, den Platz macht mir ein anderer streitig und du wirst meiner Schwester den Plaz als begehrtestes Mädchen streitig machen. Aber reden können wir auch noch drinnen, also komm endlich aus diesem Auto raus<<, meinte er fröhlich. Ich guckte etwas erstaunt über seine Ehrlichkeit, verdrehte aber innerlich die Augen, konnte diese Familie denn nicht aufhören, mir Komplimente zu machen, griff nach seiner Hand und ließ mir von ihm aus dem Auto und ins Haus helfen. Als wir im Wohnzimmer saßen, richtete ich meine erste Frage an Scott: >>Wann muss ich wieder in die Schule?<< Er zögerte: >>Nun ja, ich denke, wir können noch warten bis deine Verletzungen verheilt sind. Wir müssen dich sowieso erst noch anmelden. Allerdings soll Fiona dir ihre Hefte geben, damit du weißt, was du nachholen musst. Mit dem Englisch sprechen scheinst du ja keine Probleme zu haben.<< Ich nickte zustimmend. >>Gut, jetzt will ich fürs Erste nur noch eins wissen. Wo soll ich schlafen?<<, wollte ich wissen, denn ich war trotz des vielen Schlafens auf der Reise immer noch müde. >>Ian hat dir unser Gästezimmer eingerichtet, dort kannst du schlafen<< meinte Vika. >>Okay, dann ziehe ich mich jetzt zurück und komme die nächsten Tage nicht mehr raus<<, scherzte ich. Als ich Anstalten machte aufzustehen, eilte Ian mir zu Hilfe und stützte mich auf dem Weg in mein neues Zimmer. Die Wände waren in meiner Lieblingsfarbe, einem hellen Lindgrün, gestrichen und die Möbel waren antik, aber frisch abgeschliffen und lackiert. >>Wow, das ist genau mein Stil. Woher wusstet ihr das?<<, fragte ich ihn überwältigt, während er mir half, mich auf mein Bett zu setzen. >>Meine Mum war in eurer Wohnung, um sich dein Zimmer anzuschauen. Eure Wohnung gehört übrigens noch euch. Sag meiner Mum bei Gelegenheit mal, was du noch haben willst als Andenken, dann holt sie das Zeug. Du musst es ihr nur genau beschreiben, sonst bringt sie dir was Falsches mit. Möbel und andere Sachen können wir auch neu kaufen.<<
>>Danke, dass ihr das alles für mich macht. Ich schreibe ihr dann einfach eine Liste, aber sie wird viel Gepäck haben. Ich hätte meine Staffelei und meine Instrumente gerne hier.<<
>>Du spielst ein Instrument? Welches denn? Und du malst?<<
>>Ich spiele Klavier, Gitarre und Geige, außerdem singe ich. Und ich male schon seit ich klein bin.<<
>>Wow, gleich drei Instrumente?<<
>>Ja, angefangen habe ich mit Klavierspielen. Danach Gitarre und vor einem Jahr habe ich mit dem Geigespielen angefangen. Meine Eltern haben immer gesagt, ich hätte ein musikalisches Talent.<<
>>Willst du dann Unterricht nehmen?<<
>>Nein, ich habe mir die Instrumente selber beigebracht. Über Internetvideos und Ausprobieren.<<
Er guckte überrascht, dann stand er mit Schwung auf: >>Ich lasse dich jetzt in Ruhe, damit du dich umziehen und hinlegen kannst.<< Ich nickte dankbar und kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, schälte ich mich aus meinen Klamotten, um mich in meiner Unterwäsche unter die Decke zu kuscheln. Doch dann fiel mir etwas ein: Aaron würde mich umbringen, wenn ich ihn nicht anrief. Also fischte ich umständlich mein Handy vom Nachttisch und drückte auf die Kurzwahltaste für ihn.

Feen der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt