69. Kapitel

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Im nächsten Moment befand wir uns hoch oben in den Wipfeln und er setzte mich sicher auf einem Ast ab. Seit unserem ersten normalen Treffen, ohne Tränen und Drama, flog er uns immer auf einen, an die Lichtung angrenzenden, Baum hinauf,da die Äste dort oben weitestgehend von der Feuchtigkeit durch Schnee und Regen verschont blieben. Außerdem war Holz im Zweifelsfall einfacher zu trocknen als Erde, da diese sich aus dem Umfeld sofort wieder vollsog, sobald ich sie mit Magie getrocknet hatte. Wir saßen eine Weile dort oben, unterhielten uns,während Blue glücklich seine Plätzchen mampfte. Ich erzählte von meinem Weihnachten und der Versöhnung mit Logan. Blue hingegen blieb, was sein Familientreffen anging, eher kryptisch, doch das war ich inzwischen gewohnt.Von seiner Familie wusste ich nur, dass er der dritte von vier Brüdern war: Der Älteste von ihnen war sehr dominant und gab für gewöhnlich den Ton an, der Zweite war zurückhaltend und gehorsam gegenüber dem Dominanten, während der Jüngste sehr aufmüpfig war und ständig gegen den Dominanten rebellierte. Von seinen Eltern nahm ich an, dass sie schon gestorben waren, da er von ihnen ausschließlich in der Vergangenheitsform sprach. Aber seinen wenigen Erzählungen war deutlich zu entnehmen, dass er seinen Vater nicht gut leiden hatte können und selbst jetzt immer noch auf ihn wütend war. Blues Beziehungen zu seinen Brüdern waren mir sowieso ein Rätsel, sie schienen nicht auf Geschwisterliebe zu basieren, mehr aus einer Art Notwendigkeit heraus entstanden. Natürlich war ich neugierig, wie immer, doch die Zeit mit mir schien die einzige zu sein, in der er diesen ganzen Stress hinter sich lassen konnte, also wollte ich ihn nicht dazu zwingen, während unserer Treffen auch noch daran zu denken. Gerade als wir uns verabschieden wollten und Blue bereits dazu ansetzte, uns herunterzufliegen, war auf einmal ein Motor aus Richtung der Straße zuhören. An sich natürlich nichts ungewöhnliches, aber die Straße durch den Wald war schon unter normalen Umständen wenig befahren und jetzt, dank der schlecht geräumten, vereisten Straßen, war die ganze Zeit kein einziges Auto vorbeigefahren. Das Motorengeräusch brach abrupt ab, das Fahrzeug musste also in der Nähe stehengeblieben sein. Wir einigten uns lautlos darauf, im Baum zuwarten, falls es jemand war, der in unsere Richtung wollte. Nach einigen angespannten Sekunden war das charakteristische Knirschen zu hören, das Schritte im Schnee verursachten, und es bewegte sich tatsächlich auf uns zu.Vorsorglich rutschte ich weiter in den Baum hinein, damit ich erstens verborgener war und mich zweitens am Stamm anlehnen konnte, um meine Füße nach oben auf den Ast zu ziehen. Wer auch immer da den Weg zu dieser Lichtung kannte ging an unserem Baum vorbei und schien vor dem See stehenzubleiben. Leider konnte ich die Person nicht sehen, da mir die Äste die Sicht versperrten. Eine Zeit lang bleib es still, bis ich langsam aber sicher ungeduldig wurde. Wie lang wollte er, sie oder meinetwegen auch es, denn noch dort stehen? Und wie lang zum Teufel sollte ich hier noch stumm und starr auf diesem Ast hocken.Plötzlich zerriss ein Handyklingeln die Stille, das mich so erschreckte, dass ich fast von meinem Ast gefallen wäre. Irgendwie kam es mir bekannt vor. Während ich dabei war, mein Gleichgewicht wieder zu finden, hörte ich aus der Richtung des Klingelns jemanden Fluchen, scheinbar fand da jemand sein Handy nicht,gefolgt von einem genervten Schnauben und einem ebenso genervten »Hallo«, das mich erneut aus der Ruhe brachte. Dieser jemand auf der Lichtung war ganz ohne Zweifel Logan! Aber mit wem telefonierte er da bloß? Gespannt lauschte ich seiner Hälfte des Gesprächs: »Ja, ich weiß, dass morgen deine Schulbeginns-Party stattfindet, aber ... Die Einladung habe ich auch bekommen,trotzdem ... Jetzt hör mal für einen Moment auf, mich zu unterbrechen! Ich weiß wann und wo deine Party stattfindet, trotzdem komme ich nicht! ... Hab' was anderes vor. ... Geht dich nichts an ... Ja, es ist wichtig! ... Angel! Das ist jetzt das letzte Mal, das ich dir das sage. Du bist nicht meine Freundin, ich steh nicht auf dich und eigentlich mag ich dich noch nicht mal! Verpflichtungen irgendeiner Art habe ich dir gegenüber auch nicht, also lass mich bitte endlich in Ruhe!« Diese Worte wurden vom Tuten des Handys, offenbar hatte er einfach aufgelegt, und aufgebrachtem Gemurmel unterstrichen. Dann hörte man ihn davonstapfen, ein Motor brummte und weg war er. Für mich war das, was sich da gerade vor meinen Augen, oder eher Ohren, abgespielt hatte, verwirrend, sehr verwirrend.Und das auch noch aus mehreren Gründen. Auf der einen Seite war ich natürlich glücklich, erstens,weil die Verabredung morgen mit mir war, eigentlich aber gar nicht so dringend. Morgen Abend würden Fiona und Ian auf Angels Party sein. Zwar hatte Fi angeboten, mich einfach als ihre Begleitung hinein zu schmuggeln, doch aus naheliegenden Gründen hatte ich dankend abgelehnt. Die Beiden hatte mir gegenüber in den letzten Tagen keine Gelegenheit versäumt, um zu betonen, wie ungern sie dort hin wollten. Doch es war Tradition, dass der hantierende Chefredakteur der Schülerzeitung für die erste Ausgabe im neuen Jahr einen Artikel über die Party auf dem Summer-Anwesen verfasste. Ian war von einem Mädchen eingeladen worden und wollte sie nicht enttäuschen. Die halbe Schule würde da sein, also, die coole Hälfte, nicht dort zu erscheinen bedeutete im Grunde, dass man Niemand war. Mir war es ja ziemlich egal, ob ich in Angels Augen ein Niemand war, mir reichten meine Freunde, aber das Logan diese Party tatsächlich meinetwegen sausen lassen wollte, überraschte mich dann doch. Das alles nur, um mit mir Zuhause rumzuhocken? Da Vika und Scott bei Freunden zum Essen eingeladen waren, wäre ich theoretisch alleine Zuhause gewesen. Früher hätte ich das sicher toll gefunden, aber seit dem Tod meiner Eltern sah ich das ein wenig anders. Die Stille ließ zu viel Raum für Gedanken. Deswegen hatte ich in einer Art Übersprunghandlung Logan eingeladen, zu einem Filmabend oder worauf auch immer er Lust hatte. Sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten,hatte ich sie wieder bereut und eigentlich mit einer Absage gerechnet, doch er hatte nur grinsend einem Filmabend zugestimmt. Es war also wirklich nicht so wichtig, wie er es eben im Telefonat dargestellt hatte. Allerdings hatte ersicher nur so getan, um Angel loszuwerden. Oder was es ihm wirklich so wichtig?Der zweite Grund für mich, fröhlich zu sein, war wohl offensichtlich: Ich war soeben live dabei gewesen, als Logan Angel abserviert hatte. Gleichzeitig war das aber auch der Grund dafür, dass ich unsicher war. Womöglich würde ich, wenn ich es nicht schaffte, mich zu kontrollieren, bald an ihrer Stelle sein.

Feen der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt