Zwei Wochen lang war ich damit beschäftigt, den Stoff nachzuholen, denn das Schuljahr hatte schon zwei Monate vor meiner Ankunft in Schottland begonnen. Aber ich hatte ein Geheimnis, von dem hier noch keiner wusste, ich hatte ein fotografisches Gedächtnis, das mir das Nachholen erleichterte. Einmal gelesen oder gehört und schon war alles in meinem Kopf abgespeichert. Außerdem telefonierte ich in diesen Wochen so viel mit Aaron, wie nie zuvor. Er rief mich in jeder Pause an, um mir zu erzählen, was an meiner alten Schule passierte. Nur so konnte ich die Trennung von ihm halbwegs ertragen. Am Ende dieser zwei Wochen wurden mir beim Arzt die Gipsverbände an Arm und Bein abgenommen, nur am Handgelenk verblieb eine Bandage zum Stützen, was baer auch bedeutete, dass ich nicht schreiben konnte. Die Schnitte und Blutergüsse waren auch schon komplett verheilt, nur einer, ein ziemlich großer, der von meiner linken Kniekehle bis zur rechten Schulter reichte, war immer noch nicht verheilt. Man kann sich wohl denken, dass ich mich hütete, auf dem Rücken zu schlafen. Außerdem war ich mit Vika nach Deutschland geflogen, um mein restliches Zeug zu holen, das Verkaufen der Möbel und der Wohnung würde ein Unternehmen übernehmen. Der Erlös würde, wie von meinen Eltern gewünscht, auf mein Konto gehen. Nun, jedenfalls konnte ich jetzt wieder zur Schule gehen, allerdings wusste ich nicht, ob mir das gefiel.
>>Aufstehen, Rosanna, du olle Schlafmütze! Du willst doch nicht an deinem ersten Tag gleich zu spät kommen. Außerdem würdest du dann viel mehr Aufmerksamkeit auf dich ziehen als du eh schon wirst. Die Farbe deiner Haare ist selbst für Schottland ungewöhnlich<<, plapperte Fi drauf los, sobald sie mein Zimmer betrat. Ich richtete mich auf und schrak vor Schmerz zusammen als ich mich auf mein rechtes Handgelenk setzte. Leise vor mich hin fluchend stand ich auf und machte mich auf den Weg ins Badezimmer, flankiert von Fi, die mir die wichtigsten Infos und den neusten Klatsch aus der Schule erzählte. >>Angel Summer, vor der solltest du dich in Acht nehmen. Die ist eine ganz falsche Schlange.<<
Gesicht waschen, versuchen mit Make-Up die Augenringe zu überschminken.
>>Die Jungs sind eigentlich alle ganz nett, du findest bestimmt einen, der dir gefällt.<<
Aufgeben zu versuchen die Augenringe unsichtbar zu machen, stattdessen Zähneputzen.
>>Aber vor Logan solltest du dich in Acht nehmen. Der ist total süß, jede verliebt sich in ihn. Aber er ist total eingebildet, er nutzt alle Mädchen nur aus, obwohl selbst das Angel nicht davon abhält, sich einzubilden, sie wäre seine Freundin. Verlier' bloß nicht dein Herz an ihn!<<
Haare kämmen, Lipgloss auftragen, wieder in mein Zimmer gehen, um meine neue Schuluniform anzuziehen, vorher noch den Bluterguss auf meinem Rücken begutachten - inzwischen grasgrün - und zum Schluss Fi zweifelnd ansehen. Fertig!
>>Okay, also ich bleibe einfach bei dir, damit ich nichts falsch mache, oder?<<, scherzte ich. Sie seufzte tief:>>Ja, das wird wohl das Beste sein. Sonst lässt du dich noch auf die falschen Leute ein.<< Als ich gerade etwas erwidern wollte, in die Richtung "Ich habe bisher auch ohne dich entscheiden können, wer in Ordnung ist", unterbrach mich Vika, die uns zum Frühstück rief. Nachdem Fi aus meinem Zimmer gerannt war, drehte ich mich noch einmal um und zog ein Tütchen aus meinem Rucksack. Darin waren die einzigen Sachen, die den Unfall unversehrt überlebt hatten: eine silberne Kette, an der ein ebenfalls silbernes Amulett hing und ein roséfarbenes Bettelarmband, an dem viele Anhänger hingen. Das Armband hatte ich an meinem zwölften Geburtstag von meinen Eltern bekommen und an jedem Ort, an dem wir waren hatte ich einen neuen Anhänger bekommen und wir waren an vielen Orten gewesen. Das Amulett hatten sie in der Tasche meiner Mutter gefunden, der Deckel war mit fünf Steinen versehen. Vier von ihnen waren in einem Kreis am Rand eingelassen, der fünfte in der Mitte. Oben lag ein Stein, der eigentlich braun zu sein schien, seine Oberfläche schimmerte aber in allen Regenbogenfarben, der rechts daneben war tiefblau. Gegenüber dem schimmernden lag ein Stein mit trüber, weißer Färbung und einigen Einschüssen. Der letzte im Kreis war orange-rot. In der Mitte war ein farbloser Sein, der so geschliffen war, wie der kleine Diamant im Ehering meiner Mom. Also vermutete ich, dass es auch ein Diamant war, denn es schien ein echter Edelstein zu sein. Bei den restlichen Steinen hatte ich keine Ahnung. In den Rest des Medaillons waren Ranken und Zeichen eingraviert, die fast wie Schriftzeichen aussahen. Es sah so aus, als könnte man es öffnen, aber als ich versuchte es zu öffnen, schaffte ich es nicht. Scheinbar gab es irgendeinen speziellen Mechanismus. Als Vika noch einmal von unten rief, legte ich schnell das Armband an und nach kurzem Überlegen legte ich auch die Kette an und schob sie unter mein Oberteil, sodass man sie nicht sehen konnte. >>Oh Schatz, du siehst ja fabelhaft aus in der Schuluniform<<, sagte Vika als wir die Treppe heruntergepoltert kamen. Zweifelnd schaute ich sie an:>>Aber die ist mindestens eine Nummer zu klein, was heißt, dass die Länge des Rocks bestimmt gegen die Regeln verstößt. Vielleicht sollte ich erst nächste Woche in die Schule gehen, wenn die Schuluniform in der richtigen Größe da ist.<< Fi winkte ab:>>Das sieht fabelhaft aus, wie Mum gesagt hat. Ich wäre froh, wenn meine Uniform eine Nummer zu klein wäre.<< Ich zweifelte zwar immer noch, wusste aber auch, dass Widerstand zwecklos war. Also gab ich auf, stattdessen setzte ich mich an den Küchentisch, um an meinem Kaffee zu nippen. Vika schüttelte missbilligend den Kopf, denn sie war der Meinung, dass Kaffee nicht gut für mich sei. Doch bevor sie mit einer ihrer Predigten anfangen konnte, kamen Ian und Scott die Treppe hinunter. Ian sah uns überrascht an, dann wollte er sichtlich irritiert wissen:>>Wieso sitzt ihr immer noch hier? Wir müssen gleich los!<< Plötzlich brach große Hektik aus und alle liefen durcheinander. Das erinnerte mich irgendwie an meinen Eltern. Sie waren immer hektisch und unorganisiert gewesen, nur ich war die Ausnahme, hatte immer alles voll durchgeplant, wir wussten allerdings nicht, woher ich das hatte. Ich schluckte die Tränen hinunter, die aufsteigen wollten, dann half ich Fi dabei ihren Schal zu suchen. Als wir alle im Auto saßen, Scott würde Ian, Fi und mich zuerst an der Schule absetzen und dann mit Vika zur Arbeit fahren, fragte ich Ian:>>Sag mal, du weißt nicht zufällig einen guten Platz zum Malen, oder? Am besten einen, von dem aus man Klippen und Meer sieht. Und ich würde gerne einige meiner Bilder einrahmen lassen.<< Ian nickte begeistert:>>Ich kenne rein zufällig tatsächlich einen guten Platz zum Malen, was das Einrahmen angeht, werde ich mich mal umhören.<< Ich nickte dankbar, alle in dieser Familie waren so nett und hilfsbereit und taten, was sie nur konnten, um mich glücklich zu machen. Obwohl ich auf einiges auch hätte verzichten können, zum Beispiel auf das Versprechen von Fi, mich mit einem netten Jungen zu verkuppeln. Das Auto war von fröhlichem Geplapper erfüllt, sodass die Fahrt zur Schule ziemlich schnell verging. Als wir vor der Schule hielten, begutachtete ich meine neue Schule, das Gebäude glich einem großen, grauen Klotz. Aber diese Schule war nun mal die einzige weiterführende Schule auf der ganzen Isle of Skye und ganz in der Nähe meines neuen Zuhauses. Der Boden im gesamten Pausenhof war bedeckt mit glitschigen, nassen Blättern und der Himmel war voller grauer Wolken, die den typischen Novemberregen ankündigten. Seufzend stieg ich aus, wobei ich mich verzweifelt bemühte, mit meinen Turnschuhen Halt zu finden. Dann folgte ich Ian und Fi, die die Touristenführerin gab, über den Pausenhof ins Schulgebäude. >>Als erstes müssen wir ins Direktorat, deine Sachen abholen<<, meinte Fi fröhlich, Ian hatte sich schon verabschiedet, um in seine Klasse zu gehen.
>>Okay, aber ich hätte da eine Frage.<<
>>Dann stell sie.<<
>>Warum glotzen uns alle so an?<<
>>Das liegt an dir.<<
>>Wie an mir?<<
>>Du bist neu und hübsch. Frischfleisch, wie man es auch ausdrücken könnte.<<
>>Aha.<<
Schließlich blieb Fi vor einer Tür stehen, die mit dem Wort >>Direktorat<< versehen war. Sie klopfte beherzt an, woraufhin hinter der Tür ein >>Herein<< ertönte. Hinter der Tür saß ein rundlicher Mann Ende 50, in dessen braunen Haaren schon erste graue Strähnchen zu sehen waren. Er hatte freundliche, kaffeebrauen Augen und ein ebenso freundliches Lächeln. >>Ah, du musst Rosanna Wender sein, die neue Schülerin aus Deutschland. Mein Name ist Mr. Brodie. Hier ist dein Stundenplan und deine Spind-Nummer, deine Bücher kannst du heute Nachmittag in der Schulbücherei abholen. Ich werde dich persönlich zu deiner ersten Stunde begleiten und dich vorstellen, außerdem muss ich sowieso nochmal ein ernstes Wörtchen mit Logan Fire reden<<, die letzten Worte hatte er eher zu sich selbst gesagt, also ging ich nicht darauf ein, aber Fi konnte sich natürlich nicht zurückhalten:>>Was hat er denn jetzt wieder ausgefressen?<<, wollte sie vom Direktor wissen, wobei sie einen leicht genervten Ton benutzte. Er lächelte: >>Miss Fiona Armstrong, die Schülerzeitungschefin, immer auf der Suche nach einer guten Story für ihren nächsten Artikel, nicht wahr?<< Ich musste mir das Lachen verkneifen, von wegen Artikel, sie war nur auf der Suche nach dem neusten Klatsch gewesen. Als sie an mir vorbei ging, um dem Direktor zu folgen, der sich auf den Weg zu meiner ersten Stunde machte, knuffte ich sie mit meinem Ellbogen in die Seite. Sie kicherte auf dem ganzen Weg, scheinbar hatten wir zusammen Unterricht, und auch ich musste grinsen. Doch meine fröhliche Stimmung verschwand, als der Direktor vor einer Tür stehen blieb und die Hand auf die Klinke legte.
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Feen der Elemente
FantasyRosannas Eltern sterben bei einem Autounfall, den sie schwer verletzt überlebt. Ihre einzigen Verwandten leben in einem Vorort von Portree, der Hauptstadt von Skye. Dort lernt sie den attraktiven Logan kennen, der sie total verrückt macht, obwohl si...