86. Kapitel

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Von mir unbemerkt hatten wir den Anfang der Schlange erreicht und die Fotografin, das Mädchen, mit der Fi sich am Vormittag unterhalten hatte, winkte uns heran. Wir positionierten uns vor dem Hintergrund, auf dem ein Wald abgebildet war. Logan stellte sich hinter mich und schlang die Arme um meine Taille, ich kuschelte mich an seine Brust. »Ein hübsches Paar«, kommentierte sie, bevor sie sich hinter den Fotoapparat stellte, der auf einem Stativ ruhte. »Ich fühle mich gerade wie eine Fotografin für ein High-Quality-Magazin. Ihr seht aus wie zwei Topmodels.« Der erlösende Ton des Auslösers ertönte gerade noch rechtzeitig, bevor die Hitze meine Wangen zeichnete. Mein Freund grinste schief: »Tja, meine Freundin ist einfach zu schön für diese Welt.« Während dem Mädchen der Mund offen stehen blieb, kassierte Logan einen Schlag gegen die Schulter, bevor ich den angebotenen Arm annahm. Er lachte nur und zog mich etwas näher zu sich, als wir durch die volle Halle auf die Tanzfläche zuhielten. »Das ist aber ganz schön viel Grün hier«, murmelte ich halblaut, gleichzeitig, legte ich die Arme um seinen Hals. »Bei den Jungs ist es nicht besser«, gab er zurück, sein Griff um meine Mitte wurde ein wenig fester. Leise seufzend schaltete ich meine Aura-lese-Fähigkeit ab, die sich mal wieder ungefragt angeschaltet hatte und sah zu ihm auf. Seine Mine drohte zu versteinern, wie ich es schon oft in der Gesellschaft anderer gesehen hatte. Mit einem sanften Lächeln senkte ich meine Mauern, sodass meine Aura für ihn sichtbar wurde. Ich konnte körperlich spüren, wie warmes Gold mich umwogte. Logans Gesichtsausdruck wurde wieder weicher, seine Arme zogen mich enger an ihn und er drückte einen Kuss auf meinen Scheitel, ehe er sein Kinn darauf ablegte. Zufrieden fuhr ich meinen Schutz wieder hoch und kuschelte mich an ihn.

Nach einer Weile wurde mir von hinten auf die Schulter getippt, Fi lächelte mich entschuldigend an: »Die Teilnehmer der Show sollen Backstage zusammenkommen.« An Logan gewandt sagte sie: »Sorry, ich muss dir deine Begleitung entführen. Aber keine Sorge, in spätestens einer Stunde hast du sie um einen Sieg reicher zurück.« »Das will ich aber auch hoffen«, erwiderte er grinsend. Fiona war schon dabei, mich wegzuziehen, als ich mich noch einmal aus ihrem Griff löste, zu ihm ging, seinen Kopf zu mir hinunter zog und ihn küsste. »Lass dich bloß nicht auf andere Mädchen ein«, wies ich ihn mit einem schiefen Grinsen an, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst hatte. »Würde mir nie einfallen.«

Nachdem ich hinter der Bühne ein hyperventilierendes Mädchen beruhigen und um einem Jungen, der verdächtig blass um die Nase wirkte, vorsichtshalber einen großen Bogen machen musste, war ich mir ziemlich sicher, dass viele der Anderen noch kaum Erfahrung mit Auftritten hatten. Deutlich ruhiger als mein Umfeld schaffte ich es ohne dramatische Zwischenfälle zu meinem Platz, überprüfte nochmal kurz, ob die Geige noch richtig gestimmt war und machte es mir bequem. Das Chaos um mich herum ignorierend, hing ich meinen Gedanken nach, bis plötzlich Aiden in meinem Blickfeld auftauchte. »Hi«, grüßte ich ihn mit einem breiten Grinsen, das er sofort erwiderte. »Hi, schön hier zur Abwechslung jemanden zu sehen, der nicht total am Rad dreht.«
»Nimm es ihnen nicht übel, ich habe einfach mehr Erfahrung«, meinte ich gelassen, registrierte aber am Rande, wie sein Blick an mir hinabwanderte.
»Du siehst wunderschön aus, Rosanna. Logan kann sich echt glücklich schätzen.«
»Danke, ich denke, das weiß er.«
»Das will ich aber auch hoffen.«
Stille breitet sich zwischen uns aus, bis ich mir schließlich ein Herz fasste: »Hör mal, das neulich, das... das Flirten...«
»Fiona hat mich schon aufgeklärt über die Wette«, unterbrach er mich.
»Du bist mir doch nicht böse, oder?«
»Nein, bin ich nicht.«
»Und Fiona?«
»Nein, ihr auch nicht.«
Erleichtert atmete ich auf und strich mir eine verirrte Strähne hinters Ohr: »Da bin ich aber froh, trotzdem möchte ich dir nochmal sagen, dass es mir leid tut. Das war eine echt blöde Idee.«
»Entschuldigung angenommen.«
Aiden öffnete den Mund, vermutlich um noch etwas hinzuzufügen, doch Fi, die mit vor Aufregung geröteten Wangen auf einmal auftauchte, unterbrach ihn. Mit einem Nicken in ihre Richtung griff ich nach Geige und Bogen, drehte mich aber dann doch nochmal zu ihm um, meine Hand ausgestreckt: »Freunde?« Grinsend ergriff er sie: »Freunde.« Ein glückliches Lächeln zierte meine Lippen, als ich meiner Cousine folgte.

Gerade als wir am Bühnenaufgang ankamen, sang das Mädchen dort oben die letzten Zeilen. Zwar kannte ich das Lied nicht, doch irgendwie klangen die Töne manchmal nicht ganz stimmig. Was nicht hieß, dass sie schlecht sang, nur eben auch nicht herausragend gut. Die Melodie verklang und Applaus war zu hören. Zuerst wollte ich derjenigen mit einem aufmunternden Lächeln entgegensehen, doch als Angel mir mit arroganter Miene entgegenkam, sparte ich mir die Mühe. Fiona war ihr einen giftigen Blick zu, ehe sie hinaufeilte. »Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, aber es wird nicht lange halten.«
»Wovon sprichst du?«, fragte ich, natürlich genau wissend, worum es ging. »Du weißt genau, wovon ich rede!«, giftete sie zurück. Da hatte sie, ausnahmsweise mal, recht. »Achso, du meinst meine Beziehung zu Logan, die dich übrigens gar nichts angeht. Soll ich dir sagen, wie ich es geschafft habe? Ich benehme mich einfach nicht wie ein zickiges Miststück.« Fi kündigte mich an, weswegen ich, ohne die sprachlose Angel eines weiteren Blickes zu würdigen, auf die Bühne lief. Im Vorbeigehen zeigte meine Cousine mir unauffällig den Daumen nach oben und schon stand ich alleine vor der Jury, bestehend aus unserem Direktor Mr Brodie, zwei Musiklehrern und zwei Schülern, den Vorsitzenden des Ballkomitees. »Was spielst du für uns?«, fragte mich eine von ihnen, ein Mädchen mit haselnussbraunem Haar und einem marineblauen Neckholderkleid. »Das weiß ich noch nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Der Junge neben mir wollte verwirrt wissen: »Was soll das denn heißen? Hast du nichts vorbereitet?«
»Nein, ihr entscheidet, was ich spiele.«
»Und wie?«, fragte seine Sitznachbarin.
»Nenne mir ein Gefühl«, wies ich sie lächelnd an. »Liebe«, antwortete sie nach kurzem Überlegen. »Liebe also...«, murmelte ich, die Geige ansetzend. Wie von einem Magnete angezogen fand mein Blick Logans in der Schülermenge. Ein liebevolles Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während sich der Bogen den Seiten näherte. Das Lied begann langsam, melodisch und gleichmäßig, wie der Alltag, dann ein kleiner Einbruch, das erste Treffen, gefolgt von einem schnellen Abschnitt, Herzklopfen. Darauf folgte wieder das Alltagsschema, wurde aber langsam unterwandert vom schnelleren Thema und nach jedem Aufeinandertreffen stieg das Tempo noch, um schließlich im Finale mit langen, sanften und gefühlvollen Tönen zu enden. Der Applaus kam, bevor ich mich verbeugen konnte.

Da ich eine der Letzten gewesen war, musste ich nicht lange warten, bevor alle Teilnehmer auf die Bühne gerufen wurden. Mit meinem Instrument in der Hand trat ich zu den anderen. Das Mädchen neben mir, das kurz vor einer Ohnmacht zu stehen schien, nicht aus den Augen lassend, lauschte ich Fiona, die ganz in ihrer Moderatorenrolle aufging: »Wir haben heute viele Auftritte gesehen. Einige waren gut, andere weniger und manche sogar herausragend. Doch das hier wäre nicht unser traditioneller Talentwettbewerb, wenn es keinen Gewinner geben würde und wie ich gehört habe, war der dieses Mal ziemlich eindeutig.« Gejohle wurde laut, bis sich der Direktor unter lautem Applaus erhob, einen, zum Farbschema des Balls passenden, grünen Umschlag in der Rechten. »Ich bin kein Mann großer Worte«, begann er, nachdem er sich vor uns ans Mikrofon gestellt hatte, »deswegen komme ich gleich zum Punkt. Danke an alle Teilnehmer, die diese Show ja erst möglich gemacht haben. Aber, wie immer im Leben, gibt es Gewinner und Verlierer und der Sieger des heutigen Abends steht in diesem Umschlag.« Die ganze Halle verfiel in gebannte Stille, während er ihn auffrimmelte, das Mädchen neben mir heilt den Atem an. Als ich mir schon einbildete, dass ihre Lippen langsam blau wurden, schaffte er es endlich, die Karte herauszuziehen. »Den heutigen Abend gewinnt...«, dramatische Pause, neben mir wurde laut nach Luft geschnappt, »...Rosanna Wender, mir ihrer Geigenimprovisation.« Die brennende Aura von Angel ignorierend, trat ich vor und verbeugte mich unter begeistertem Klatschen. »Zugabe«, rief eine mir wohlbekannte Stimme und bald stimmten alle mit ein. Dem breit grinsenden Logan ein amüsiertes Grinsen zuwerfend, setzte ich meine Geige wieder ans Kinn. Dieses Mal war es ein leichtes, sprunghaftes Lied, ein kurzes Stück Vollkommenheit.

Nach zwei weiteren Verbeugungen trat ich, gefolgt von den anderen Teilnehmern, von der Bühne. Während ich mein Instrument sicher in seinem Kasten und anschließend in einem der Spinde, die dafür Backstage bereit standen, verstaute, nahm ich lächelnd Glückwünsche entgegen, war mit dem Kopf aber schon ganz wo anders. Kurz bevor ich wieder zum eigentlichen Geschehen zurückkehren konnte, stellte sich Angel mir in den Weg. Genervt verdrehte ich die Augen: »Was ist denn noch?« »Ich will dich nur warnen: Trenne dich von ihm, bevor es zu spät ist«, sagte sie in einfühlsamem Ton und mit ernstem Gesichtsausdruck.
Eines musste man ihr lassen, sie war eine verdammt gute Schauspielerin. Wäre ich nur ein bisschen leichtgläubiger, würde Logan nicht so sehr vertrauen und könnte keine Auren lesen, hatte sie es vermutlich geschafft, Zweifel zu säen. »Ach Angel, in all deinem Wohlwollen und deiner Uneigennützigkeit wirst du doch sicher verstehen, dass ich dir die Show nicht abkaufen kann.« Mit diesen Worten ging ich an ihr vorbei, direkt auf den fraglichen Jungen zu.
»Und, hat Ihnen Ihre Zugabe gefallen, Mr Fire?«
»Sogar sehr«, entgegnete er lächelnd, legte seine Hände an meine Taille und zog mich näher zu sich. 

Feen der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt