Den Samstag verbrachte ich damit, mit Aaron durch Portree zu schlendern und Souvenirs für seine Familie auszusuchen. Nachdem wir endlich für jeden etwas hatten, ließen wir uns erschöpft in einem kleinen Café nieder. Während wir schweigend dort saßen und aus dem großen Fenster sahen, wurde mir erst richtig bewusst, dass heute der letzte Tag war, bevor Aaron wieder über tausendfünfhundert Kilometer Luftlinie entfernt seien würde. »Die Woche ist viel zu schnell vergangen«, beschwerte ich mich niedergeschlagen. »Ja, ich kann es auch noch nicht wirklich fassen, dass ich dich ab morgen wieder nur noch über Skype sehen kann«, stimmte er mir schwach grinsend zu.
»Aber man kann nicht sagen, dass wir die Zeit nicht genutzt hätten.«
»Das stimmt, es ist eine Menge passiert...«
Es wurde wieder still, wir hingen beide unseren Gedanken nach, als mir einfiel, dass ich ja noch wegen gestern mit ihm reden wollte. Ich wollte auch gerade ansetzten, als er anfing zu reden: »Es tut mir leid, dass ich mich gestern wie ein Idiot aufgeführt habe. Ich hoffe, ich hab dir den Abend nicht versaut.«
»Nein, nicht versaut. Anstrengend war es, aber dazu hat Logan auch beigetragen. Obwohl mir das bei ihm schon gar nicht mehr so auffällt«, scherzte ich. Aaron lächelte traurig: »Er zeigt wenigstens offen, wie wichtig du ihm bist.« Als ich ihn sanft an der Hand berührte, sprang automatisch meine Auralesefähigkeit an und es gefiel mir kein bisschen, wie dunkelblau seine war. »Aaron, vielleicht... vielleicht sollte es so sein. Ich habe durch Logan Seiten an mir entdeckt, die ich vorher nicht kannte und ohne ihn vielleicht nie kennengelernt hätte. Ich hoffe, dass du auch so jemanden für dich findest.«
Wenn ich versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen wäre Logan nie kennenzulernen, nie von meinen Kräften zu erfahren, nie diese Gefühle zu haben, machte mir das eine Heidenangst. Im Gegensatz zu dem, was ich für ihn empfand, kam mir das, was ich für Aaron gefühlt hatte wie eine unausgereifte Schwärmerei vor. »Es wird schwer, jemanden zu finden, der es mit dir aufnehmen kann«, erwiderte er schief grinsend. »Du sollst ja auch nicht jedes Mädchen, das du triffst, mit mir vergleichen und dir dann die raussuchen, die am meisten übereinstimmt«, lachte ich amüsiert.
»Ach, das habe ich immer falsch gemacht!«
Lachend boxte ich ihm gegen den Oberarm und er grinste schelmisch, bevor er wieder ernst wurde. »Nein aber mal im Ernst. Auch wenn ich das ungern zu gebe, ihr passt gut zusammen.«
»Danke.«
»Trotzdem wiederhole ich mein Versprechen nochmal: wenn er dir weh tut, nehme ich den nächsten Flug nach Schottland und breche ihm alle Knochen. Das kannst du ihm auch gerne von mir ausrichten.«
»Ich überlege es mir.«Nachdem wir am Sonntag Aaron zum Flughafen gebracht und verabschiedet hatten, verfiel Vika in eine Art Aufräumwahn, vor dem ich am Nachmittag dann schließlich nach draußen floh. Meine Beine trugen mich zur Lichtung, wo ich meine wasserfeste Jacke auf dem Boden ausbreitete und mich ans Ufer des kleinen Sees setzte. Seufzend starrte ich auf die Wasseroberfläche, die vom Wind immer wieder leicht gekräuselt wurde und dachte an das Telefonat, das ich gestern Abend mit Logan geführt hatte.
Es war kurz vor Mitternacht und Aaron war bereits Schlafen gegangen, um für den Flug morgen fit zu sein, da er es hasste an Orten einzuschlafen wo ihn viele Leute sehen konnten. Da ich aber noch hellwach und dementsprechend an Schlaf nicht zu denken war, brütete ich gerade über der Koloration einer älteren Skizze, als plötzlich mein Telefon klingelte. Erschrocken fuhr ich zusammen, wer zum Henker rief denn um diese Uhrzeit an? Verwirrt erhob ich mich und lief rüber zu meinem Bett, wo ich mein Handy hatte liegen lassen. Als ich Logans Namen auf dem Display las, stahl sich automatisch ein Lächeln auf meine Lippen.
»Was würdest du machen, wenn du mich gerade aufgeweckt hättest?«, fragte ich sobald ich den Anruf angenommen hatte. »Ich hätte ein unglaublich schlechtes Gewissen und würde mich entschuldigen. Aber ich wusste, dass du noch wach bist.«
»So so, woher denn? Stehst du wieder bei uns im Garten?«
»Ha ha. Nein, dieses Mal nicht. Ich habe einfach meiner Intuition vertraut.«
»Tja, dann hast du ja Glück, das deine Intuition so gut ist.«
»Das habe ich wohl.«
»Also... ich freue mich ja über deinen Anruf, aber du hast doch bestimmt einen Grund.«
»Den habe ich und auch, wenn ich gerne sagen würde, dass ich einfach nur deine Stimme vermisst habe, was ich übrigens wirklich habe, gibt es noch einen anderen.«
»Und der wäre?«
»Geh' bitte mal zu eurem Briefkasten.«
»Was?«
»Offenbar hat Lorn herausgefunden, wie man SMS schreibt, nachdem ich seine Anrufe ignoriert habe. Eigentlich wollte ich nur draufgehen, um sie zu löschen, aber ausnahmsweise ist es gut, dass ich das nicht gemacht habe. Er schreibt, dass Thor verärgert war, weil du noch nicht eingetroffen bist und jetzt hat er eine persönliche Einladung geschickt.«
»Er ist was? Lorn hat uns doch erst vor zwei Tagen informiert. Und überhaupt, denkt er, ich lasse alles stehen und liegen, nur weil er mich sehen will?«
»Die Feen auf dem Territorium sind manchmal ziemlich weltfremd... Jedenfalls ist es wichtig, dass du den Brief rausholst. Vertrau' mir, meine Mom hat mal so einen aus dem Briefkasten geholt und hat sich halb zu Tode erschrocken, obwohl sie über Feen Bescheid weiß.«
»Ja, okay, aber wenn er sie heute erst geschickt hat kommt sie doch erst in ein paar Tagen an.«
»Das er eine Einladung „verschickt" heißt im Grunde, dass er einen Boten geschickt hat, der sie überbringen sollte. Trifft er dich nicht an, wirft er sie in den Briefkasten, so fortschrittlich sind sie zumindest. Und wer von Thor losgeschickt wird, der stellt sicher, dass der Brief noch am selben Tag ankommt.«
»Okay, verstehe. Einen Moment.«
Das Handy in der Hand schlich ich mich nach unten, den knarzenden Dielen ausweichend, schnappte mir in der Diele den Briefkastenschlüssel vom Schlüsselbrett und meinen Hausschlüssel, dann war ich auch schon aus dem Haus und zog die Türe so leise wie möglich ins Schloss, froh, dass Scott sie vor ein paar Tagen erst geölt hatte. Nachdem ich mit einem schnellen Blick überprüft hatte, dass alle Fenster an der Hausfront geschlossen waren, hielt ich mir das Telefon wieder ans Ohr: »Gut, ich bin draußen. Aber sag mal, das Ding explodiert doch nicht, oder?«
»Nein, keine Sorge, er will dich lebend.«
»Sehr witzig.«
»Genau wie du.«
»Aber mal im Ernst, ich mache mir wirklich Sorgen. Was ist das für eine Art Einladung, dass die Anderen sie nicht rausholen dürfen?«
»Im Grunde ist es ein ganz normaler Brief, aber Thor stellt gerne sicher, dass sie wirklich nur der Empfänger entgegennehmen kann.«
»Und was passiert, wenn es nicht der Empfänger ist?«, wollte ich, das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, während ich den Briefkasten Dank Nachtsicht problemlos öffnete.
»Unterschiedlich. Je nachdem, wie wichtig er ist, geht das von Finger verbrennen bis psychischer Angriff.«
»Langsam habe ich echt das Gefühl, dass Feen einen an der Waffel haben.«
Am anderen Ende der Leitung hörte ich Logan Lachen und selbst durchs Telefon war es für mich immer noch das schönste Geräusch auf Erden.
»Ja, bei einigen gebe ich dir da recht. Aber es gibt auch normale, ich stelle sie dir bei Gelegenheit mal vor.«
Inzwischen hatte ich das rote Wachsiegel gebrochen, mit dem der Umschlag verschlossen gewesen war und den Brief herausgenommen. Tatsächlich ging Wärme von ihm aus, doch sie war eher angenehm als schmerzhaft. Aber gut, seit ich mich nicht mehr verbrennen konnte, hatte sich mein Gefühl dafür verschlechtert.
»Und? Ist ein Brief da?«
»Jap.«
»Und was steht drinnen?«
»Keine Ahnung, hab ihn noch nicht gelesen.«
»Dann lies ihn vor!«
»Man man man, du bist aber ungeduldig. Also gut:Liebe Rosanna,
mit Schrecken habe ich durch meinen Berater deine tragische Geschichte gehört. Als Feenkind unter Menschen aufzuwachsen muss sicher eine Tortur gewesen sein, doch dein Clan ist immer für dich da.
Da ich als Anführer unseres Clans viel Wert darauf lege, jede meiner Feen zu kennen, lade ich dich hiermit herzlich dazu ein, mein Ehrengast bei der Feier anlässlich des Tages der goldenen Flamme zu sein.
Solltest du zwei Tage vor dem Festtag noch nicht auf dem Clanterritorium eingetroffen sein, muss ich davon ausgehen, dass du zurückgehalten wirst. Meine Helfer werden dich dann persönlich abholen.
Ich freue mich darauf dich kennenzulernen
Thor
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Feen der Elemente
FantasyRosannas Eltern sterben bei einem Autounfall, den sie schwer verletzt überlebt. Ihre einzigen Verwandten leben in einem Vorort von Portree, der Hauptstadt von Skye. Dort lernt sie den attraktiven Logan kennen, der sie total verrückt macht, obwohl si...