So leise wie möglich schlich ich mich, nachdem ich mich hatte zusammenreißen können, die Treppe hinauf und öffnete langsam meine Zimmertür. Erstaunt blieb ich im Türrahmen stehen. Aaron saß im Licht meiner Nachttischlampe auf der Bettkante und wippte angespannt mit dem Fuß. »Du bist ja wach«, sprach ich das offensichtliche aus, während ich nach kurzem Zögern eintrat und die Tür hinter mir zuzog. »Ich bin aufgewacht als du die Tür hinter dir zugemacht hast«, erklärte er ruhig. »Ah«, nervös ging ich zum Schreibtisch um meine Kohlestifte zu suchen. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich bin rausgegangen, um frische Luft zu schnappen. Du weißt ja, bei Vollmond kann ich nicht schlafen, also werde ich mich mal ins Wohnzimmer verziehen, damit du in Ruhe weiter schlafen kannst.« Nachdem ich meine Sachen zusammengepackt hatte, war ich schon wieder auf dem Weg zur Tür, als Aaron mich aufhielt. »Ich hab' gesehen, wie er dich geküsst hat«, verkündete er plötzlich. Wie angewurzelt blieb ich stehen und drehte mich wie in Zeitlupe zu ihm um. Sein ernster Gesichtsausdruck verriet mir, dass leugnen zwecklos war, also drückte ich den Zeichenblock enger an meine Brust und fragte mit hoch erhobenem Kinn: »Und?« Aaron musterte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen: »Magst du den Kerl?« »Ja, tue ich. Sogar sehr«, sagte ich geradeheraus. Vermutlich hätte ich ihm vor seiner Abreise sowieso noch davon erzählt, denn ich hasste es, Dinge vor ihm zu verbergen und im Gegensatz zu dem ganzen Feenzeug war das doch zumindest etwas, das man einem normalen Menschen erzählen konnte. »Es sah nicht so aus, als würde das zwischen euch schon lange gehen«, stellte er fest. »Nein, tut es nicht, aber verliebt habe ich mich schon vor einiger Zeit in ihn.« Er sprang auf und sah mich geschockt an: »Du bist in ihn verliebt?« »Ja«, bestätigte ich. Aaron fuhr sich aufgebracht durchs Haar, lief einige Runden durch das Zimmer und ließ sich schlussendlich doch wieder auf mein Bett fallen. Ich hatte ihn die ganze Zeit stumm beobachtet, legte jetzt das Zeug auf mein Nachtkästchen und ließ mich vorsichtig neben ihm nieder. »Warum bist du so aufgebracht?«, wollte ich vorsichtig wissen. Er nahm meine Hand in seine und betrachtete sie eine Weile stumm, ehe er zu sprechen begann: »Meinem Verstand ist klar, dass ich kein Recht dazu habe, aufgebracht zu sein. Besorgt, das dürfte ich sein, schließlich bist du meine beste Freundin und ich kenne den Kerl und seine Vorgeschichte nicht, aber aufgebracht, nur weil du einen Jungen geküsst hast? Nein, das sollte ein bester Freund wirklich nicht sein...« Er stoppte, setzte noch einmal an etwas zu sagen, verstummte dann aber. Irgendwie hatte ich plötzlich so eine Ahnung, worauf das ganze hier hinauslaufen würde, also beschloss ich, es ihm ein wenig einfacher zu machen. »Wusstest du eigentlich, dass ich die letzten vier Jahre in dich verliebt war? Aber ich habe mir immer eingeredet, dass daraus nie etwas werden würde, weil ich unsere Freundschaft nicht gefährden wollte und du nie Anzeichen dafür gezeigt hast, dass es dir ähnlich gehen könnte. Das gleiche habe ich wohl bei Logan versucht, allerdings hat er es, offensichtlich, nicht länger zugelassen. Wenn ich jetzt ihm Nachhinein so über unsere Freundschaft nachdenke, kann ich mir glaube ich vorstellen, warum du aufgebracht bist.« Aaron lächelte traurig und sah mich endlich an: »Weißt du, als wir noch klein waren, wurde ich von meinen anderen Freunden immer aufgezogen, weil ich mit einem Mädchen befreundet war. Wie das Grundschulkinder eben tun. Später dann haben sie mich aufgezogen, weil ich immer noch nur mit dir befreundet war, aber jedes Mal sauer geworden bin, wenn ich mitbekommen habe, dass ein anderer Junge sich für dich interessierte. Ich habe es immer abgestritten, ausnahmslos. Aber, nachdem du weg warst und wir nicht mehr ständig zusammen waren, da habe ich mich dabei ertappt, wie ich immer wieder daran denken musste, ob es dort wohl auch einen Jungen gibt, der an dir interessiert ist. Und ob du dich vielleicht auch für ihn interessierst.« Aaron zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. »Ich fürchte, ich habe mir einfach zu viel Zeit damit gelassen, meine Gefühle zu verstehen.« Es blieb eine Zeit lang still, doch mir brannte eine Frage auf der Zunge: »Wir bleiben aber doch Freunde, oder?« Aaron sah mich geschockt an: »Natürlich, um nichts in der Welt würde ich meine beste Freundin hergeben. Und wenn dieser Typ dir weh tut, nehme ich den nächsten Flug nach Schottland und breche ihm alle Knochen!« Ich konnte nicht anders, als meine Arme um ihm zu schlingen und ihn fest zu drücken. »Danke, Aaron. Danke, dass du immer für mich da bist.« Eine Weile noch unterhielten wir uns über Belangloses, Logans Nachricht, er sei gut zu Hause angekommen, trudelte ein und irgendwann bemerkte ich, wie Aaron immer häufiger gähnte und sich über die Augen rieb. »Du solltest noch ein wenig schlafen, ich gehe runter und male ein bisschen«, sagte ich. »Mhm, wäre glaub ich eine gute Idee«, murmelte Aaron zwischen zwei Gähnern. Als ich schon halb aus der Tür war, fragte er mich: »Sag mal, wegen morgen oder vielmehr heute: Dieser Logan hat dich doch hoffentlich auf den Ball eingeladen, oder?« Meine Wangen wurden rot und ich starrte verlegen auf meine nackten Füße: »Hat er. Eigentlich wollten wir ja zusammen hingehen, aber...« »Schon gut, aber wenn es in Ordnung ist, würde ich trotzdem gerne kommen, vielleicht mit Fiona oder so. Ich hab dich schon seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr spielen gehört. Außerdem will ich den Typen kennenlernen, der mit meiner besten Freundin zusammen ist.« Grinsend sagte ich: »Klar darfst du kommen!« Dann fiel mir etwas auf und ich wurde blass. »Oh Gott, Fiona! Das wird ja der absolute Horror morgen früh, ach was sag ich, den ganzen Tag!«
Die Schule begann heute wegen der Ball-Vorbereitungen später, daher hatte ich zusammen mit dem Umstand, dass ich sowieso nicht geschlafen hatte, jede Menge Zeit, um mich vor den anderen fertig zu machen. Sogar Vika stand heute später auf. Gerade saß ich gemütlich in eine Kuscheldecke gewickelt mit meinem zweiten, extra starken, Kaffee auf der Couch und kritzelte gedankenverloren in meinen Skizzenblock, als mir eben dieser plötzlich aus der Hand gerissen wurde. Erschrocken wandte ich mich um und sah Fi, die eingehend die Zeichnung studierte. Ihre Haare waren in einem Handtuch aufgewickelt und ihre Haut gerötet, offenbar kam sie gerade aus der Dusche. Einen Moment entspannte ich mich, erholt vom kurzen Schock, nur um kurz darauf, wieder erschrocken, aufzuspringen, als mir einfiel, was ich da gerade gezeichnet hatte: Logan und ich, küssend, im Profil. Also hervorragend zu erklären. Schnell flitzte ich um die Couch herum und wollte ihr den Block wegnehmen, doch sie versteckte ihn hinter ihrem Rücken und hob tadelnd einen Zeigefinger: »Na na na, Tagträume bringen dich bei deinem Problem aber nicht weiter, Rosanna. Solche Bilder darfst du erst zeichnen, wenn es auch wirklich passiert ist, sonst weckt das falsche Vorstellung.« Verlegen drehte ich die kleine Feueropal-Fee zwischen Daumen und Zeigefinger, nicht genau wissend, ob ich ihr jetzt auf die Nase binden sollte, das es schon passiert war oder nicht. Fi hatte inzwischen den Block wieder hinter ihrem Rücken hervorgeholt und studierte das Bild genauer. Vermutlich kam es ihr komisch vor, dass im Hintergrund des Bildes der Vollmond wie heute Nacht und unser Garten mit der charakteristischen Bank zu sehen waren. Schelmisch grinsend meinte ich: »Wer sagt denn, das es noch nicht passiert ist?« Dann schnappte ich ihr den Block aus den Händen und machte mich auf den Weg in die Küche. Als ich sie gerade betrat, war hinter mir auf einmal ein ohrenbetäubendes Kreischen zu hören, gefolgt von schnellen Schritten. Ich wurde von hinten an den Schultern gepackt und herumgewirbelt. »Ist das dein Ernst?«, kreischte sie so laut, sodass jetzt mit Sicherheit jeder im Haus und vielleicht auch noch in den Nachbarhäusern wach war. Mein Grinsen musste Bände sprechen, denn sie begann wie eine Irre zu grinsen und wild im Kreis zu hüpfen, die Hände immer noch auf meinen Schultern. Lachend stimmte ich in ihr Gehopse mit ein, bis Ian mit verstrubbelten Haaren im Türrahmen erschien und uns mit dieser Überforderung ansah, die nur übernächtigte empfinden konnten. Fiona hüpfte auf ihren Bruder zu und versuchte ihn dazu zu bewegen, bei unserem Freudentanz mit zu machen, doch er hielt nichts von der Idee. Da kam auch sie langsam wieder runter, während ich mich immer noch mit einem fetten Grinsen im Gesicht zur Kaffeemaschine umdrehte, um meinem Cousin einen Kaffee durchzulassen. »Kann mir mal jemand verraten, was genau mit euch los ist?«, wollte Ian überfordert wissen, nachdem er die Tasse dankend in Empfang genommen hatte. Fi legte ihrem Bruder eine Hand auf die Schulter und sagte völlig ernst: »Rosanna ist endlich erwachsen geworden. Sie hat jetzt einen Freund.« Zur Strafe warf ich ein Küchentuch nach ihr, dass sie lachend aus der Luft fischte. Ian starrte mich überrascht an: »Im Ernst?!«
»Naja, also unernst ist es mir mit meiner Beziehung nicht.«
»Gott, ich bin zu müde für so flache Witze!«
»Ja, im Ernst.«
»Mit wem?«
»Tja, wer kommt da wohl in Frage?«, fragte ich spöttisch. Er nahm nachdenklich einen Schluck von seinem Kaffee, machte dabei aber den Fehler zu Fiona zu schauen, die sich erneut meinen Zeichenblock vom Tresen geschnappt hatte und die Zeichnung hochhielt. Er verschluckte sich und begann heftig zu husten. Lachend klopfte seine Schwester ihm auf den Rücken, während ich ein Glas Wasser neben seinen Kaffee stellte. »Logan?«, brachte er zwischen zwei Hustern heraus. »Jap«, bestätigte ich nickend. »Hat er also auch endlich verstanden, warum er sich so idiotisch benimmt«, stellte er fest, nachdem er nicht mehr husten musste. Fiona ließ sich auf den Stuhl neben ihrem Bruder fallen und meinte hinterhältig grinsend: »Da wird ja die Klatsch-Seite der Schülerzeitung richtig leer werden, wenn Logan nicht mehr ständig irgendwas anstellt oder einem neuen Mädchen das Herz bricht.« Ich warf den noch leicht feuchten Spüllappen nach ihr, woraufhin sie entsetzt quietschte und von ihrem Stuhl aufsprang. »Ihr seid aber schon offiziell ein Paar, oder? Sonst müsste ich ihm die Freundschaft kündigen«, meinte Ian ernst. »Tja, auf jeden Fall hat er mich gebeten, ihn auf den Frühlingsball zu begleiten. Offizieller geht ja fast gar nicht. Apropos, wäre es in Ordnung, wenn ihr Aaron zum Ball mitnehmt? Eigentlich wollten wir ja zu viert als Gruppe gehen, aber...«, Fiona unterbrach mich. »Klar ist das in Ordnung, alles für das junge Glück.«
»Ach ja, Fi?«
»Ja, Misses In-einer-Beziehung?«
»Es ist zwar offiziell, aber könntest du bitte davon absehen, es der ganzen Schule zu erzählen?«
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Feen der Elemente
FantasíaRosannas Eltern sterben bei einem Autounfall, den sie schwer verletzt überlebt. Ihre einzigen Verwandten leben in einem Vorort von Portree, der Hauptstadt von Skye. Dort lernt sie den attraktiven Logan kennen, der sie total verrückt macht, obwohl si...