6. Kapitel

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Auf dem Weg nach Hause, wie komisch das war, statt zu der Wohnung meiner Eltern und mir nun zu dem Haus meines Onkels "Zuhause" zu sagen, rieb ich mir die Schläfen. Während des ganzen Schultages hatte ich immer wieder dieses Stechen gespürt und dagegen anzukämpfen hatte mir diese Kopfschmerzen eingebracht. Allerdings hatte es sich falsch angefühlt, es zuzulassen, was auch immer passiert wäre, wenn ich nicht gegen das Stechen angekämpft hätte. So wie meine schien auch Logans Laune immer schlechter geworden zu sein, die Blicke, die er mir zuwarf waren immer finsterer geworden. Vika sah mich besorgt an, als ich ihr sagte, dass ich mich hinlegen würde, sagte aber nichts. Doch ich konnte nicht einschlafen, also setzte ich mich wieder auf und nahm eine Bleistiftzeichnung meiner Eltern in die Hand. Ich hatte sie mit zwölf gezeichnet, trotzdem war sie schon so gut wie die eines Künstlers. Meine Eltern hatten für diese Zeichnung eine Stunde lang auf der kleinen Bank in unserem Garten sitzen müssen. Danach hatte mein Vater sie eingerahmt und wir hatten sie zusammen über der Couch im Wohnzimmer aufgehängt. Ein paar Tränen tropften auf das Bild, erschrocken wischte ich sie weg. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit der Trauer klar kommen sollte, weinen hätte vielleicht geholfen, aber ich dachte immer daran, was meine Mutter gesagt hätte: >>Weinen hilft nur selten dabei, mit Gefühlen klar zu kommen. Aber es hilft immer, seine Gefühle irgendwie zum Ausdruck zu bringen, damit alle sie sehen und spüren können. Und wie kannst du deine Gefühle am besten ausdrücken, Rosanna?<< Genau das hätte sie mich gefragt, ich hätte geantwortet: >>Mit Musik!<< Also sprang ich auf und holte meine Geige aus dem Kasten, um einen Song zu schreiben. Gott sei Dank konnte ich trotz der Bandage spielen!
Eine Stunde später ging es mir schon viel besser und in meinem Kopf befanden sich Melodie und Text eines ziemlich traurigen Liedes. Kaum hatte ich aufgehört zu spielen, kam Ian in mein Zimmer. >>Warst du das, die da gerade gespielt hat oder hast du dir klassische Musik angehört?<<, wollte er wissen. Ich schaute ihn überrascht an: >>Ich habe einen Song geschrieben, so kann ich meine Trauer am besten verarbeiten. In den letzten Wochen konnte ich ja leider nicht spielen.<< >>Du spielst großartig, vielleicht solltest du auf der Spendengala übermorgen spielen! Sie sammeln Geld für Hilfskräfte, die helfen sollen, gestrandete Wale zu versorgen, bis sie wieder ins Wasser gebracht werden<<, meinte er. Ich suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen dafür, dass er nur scherzte, doch ich fand nichts. >>Meinst du wirklich?<<, fragte ich verlegen, >>So gut bin ich nun auch wieder nicht.<< >>Oh doch, du bist fantastisch! Außerdem wäre dein Auftritt wahrscheinlich der einzige, der die Leute dazu bringen würde, etwas zu zahlen, statt Geld zu verlangen, dafür dass sie sich das angeschaut haben<<, scherzte er. Ich grinste ihn an, dann wandte ich mich ab, um meinen Geigenkoffer zu schließen. >>Dann sage ich Mom, sie organisiert das Ganze, Bescheid, dass du auftreten wirst. Kommst du zum Essen?<<, mit dem zweiten Satz versuchter er, mich vom ersten abzulenken. Bevor ich ihn davon abbringen konnte, rannte er auch schon in die Küche. So schnell ich konnte, rannte ich ihm hinterher, doch als ich in der Küche ankam, berichtete er Vika schon etwas außer Atem, dass ich bei der Spendengala auftreten würde. Wütend knirschte ich mit den Zähnen und als Ian an mir vorbei ging, zischte ich ihm ins Ohr: >>Du bist mir was schuldig!<< Leider konnte ich nicht lange böse auf Ian sein, wenn er diesen Unschuldsblick aufsetzte, den seine Schwester genauso perfekt beherrschte. Frustriert setzte ich mich auf meinen Platz am Tisch, wobei ich für einen kurzen Moment nicht an meinen Bluterguss dachte. Ich stöhnte, als ich mich mit meinem Rücken gegen die Lehne knallte. Leise vor mich hin fluchend stand ich wieder auf und lief ein paar Mal um den Tisch, bis der Schmerz nachließ. Vika und Ian sahen mich besorgt an, doch ich winkte ab und setzte mich, diesmal deutlich vorsichtiger, wieder hin. Als es an der Tür klingelte, schreckte ich auf, wobei ich ein Stück nach vorne rutschte, nur, um mich dann wieder nach hinten fallen zu lassen, als mein Kopf realisierte, dass es bloß die Türglocke gewesen war. Diesmal hatte ich meinen Mund besser unter Kontrolle und fluchte nicht, als ich wieder aufsprang und neben meinem Stuhl von einem Fuß auf den anderen trat. Besorgt wollte Vika wissen: >>Was machst du denn da?<< >>Ich versuche den Schmerz zu verdrängen, indem ich mich auf etwas anderes konzentriere<<, war meine Antwort. Während ich noch mit dem Schmerz kämpfte, hörte ich, wie Ian jemanden an der Haustür begrüßte und als der Schmerz endlich aufhörte, hatten die drei Personen, wie ich den Schritten nach schätzte, schon fast die Küche erreicht. Ich hatte gerade noch genug Zeit, mich hinzusetzen, wobei ich so gerade wie möglich saß, um die Lehne nicht zu berühren. Dann erschienen in der Küchentür Ian, Fi und Logan. Wie erstarrt saß ich auf meinem Stuhl, die Spannung in der Küche war mit Händen zu greifen. Nach gefühlten Stunden brach Ian das Schweigen: >>Rosanna, das ist mein Freund Logan. Logan, das ist meine Cousine, Rosanna, aus Deutschland.<< >>Wir kennen uns bereits, ich habe heute ihre Mathestunde unterrichtet. Aber nett, dich wieder zu sehen<<, meinte Logan gelassen, wobei er mich aber nicht aus den Augen ließ. Als ich ein Stechen in meinem Kopf spürte, das denen in der Schule glich, sprang ich auf. Drei Augenpaare, Logan schien überhaupt nicht überrascht zu sein, starrten mich verdutzt an, sodass ich nur ein verlegenes Murmeln herausbrachte: >>Tut mir leid, Vika, aber ich fürchte, ich kann nicht mitessen. Ich werde mich wieder hinlegen.<< Dann drängelte ich mich an Logan vorbei aus der Küche hinaus und stürzte die Treppe hinauf. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, rutschte ich, den Bluterguss spürte ich vor lauter Ärger, daran herunter, bis ich auf dem Boden saß. >>Wieso bringt mich so ein arroganter Schnösel bloß so aus dem Konzept?<<, murmelte ich halblaut vor mich hin. Mein Ärger über mich selbst war gewaltig. In dieser Nacht lag ich noch lange wach und konnte nicht einschlafen. Meine Gedanken drehten sich zu meinem Ärger hauptsächlich um Logan.



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