81. Kapitel

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Am Donnerstag kehrten wir müde und erschöpft von unserem Ausflug nach Edinburgh zurück. Auf der Autofahrt war ich, nachdem uns Scott am Vormittag noch durch die Straßen gehetzt hatte, weil wir am Vortag offenbar einige, seiner Meinung nach, wichtige Stationen ausgelassen hatten, an Aaron Schulter gelehnt eingeschlafen. »Ich bringe sie nach oben«, hörte ich die Stimme meines besten Freundes wie aus weiter Ferne. Verschlafen öffnete ich die Augen und sah als erstes Aarons Gesicht, das sich schräg über meinem befand. Es dauerte einen Moment, bis mein müdes Gehirn verstand, dass er mich offenbar gerade die Treppe in den ersten Stock hochtrug. »Hey, Aaron, ich bin...«, setzte ich an, doch er unterbrach mich flüsternd. »Psst, wenn Scott merkt, dass du noch wach bist, zwingt er uns, einen historischen Film über Loch Ness anzugucken.« Grinsend nickte ich und vergrub schnell den Kopf an seiner Brust, als die Stimme unseres Peinigers hinter seinem Rücken ertönte: »Ist sie doch wach?«
»Nope, sie schläft tief und fest.«
»Komisch, ich dachte, ich hätte ihre Stimme gehört... Naja, war wohl Wunschdenken, es ist einfach ein großartiger Film. Willst du ihn nicht doch mit mir ansehen, Aaron?«
»Nein, danke. Ich bin auch ziemlich kaputt«, damit setzte er seinen Weg nach oben fort. Überrascht bemerkte ich, wie gut er roch, eine Mischung aus Weichspüler und Apfel. Ohne meine Zustimmung verglich mein Kopf das mit Logans Geruch und verkündete sein vernichtendes Urteil: 1 von 10 Punkten gegen Aaron. Umständlich öffnete Aaron meine Zimmertür, schloss sie hinter sich vorsichtig mit dem Fuß und ließ sich dann gemeinsam mit mir auf das Bett fallen. Leise lachend rollte ich mich von ihm herunter, sodass ich neben ihm lag. »Puh, das war echt knapp«, stellte er fest, drehte sich zur Seite und stützte seinen Kopf auf seinem Arm ab, sodass er mein Gesicht sehen konnte. »Tja, Scott ist eben ein echter Geschichtsfan«, meinte ich grinsend. Es wurde still und eine Weile lagen wir einfach nur so da, bis ich langsam spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Aaron sah mich immer noch völlig vertieft an. Nervös richtete ich mich auf und strich mir ein paar Strähnen ins Gesicht: »Was ist, hab ich was im Gesicht?« »Nein, alles gut. Ich... ich habe nur gerade gedacht, dass ich verstehen, kann, warum der Kerl in dem Pub so hartnäckig war.« Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und überlegte. Kerl... Pub...? Dann ging mir ein Licht auf: »Du meinst den Pub, in dem wir gestern mittag gegessen haben?« Er nickte stumm. Als ich zur Bar gegangen war, um mir noch eine Cola zu holen, hatte mich ein junger Student angesprochen. Und nicht mehr aufgehört zu reden, darüber, wie ähnlich ich einem hübschen Mädchen auf einem Gemälde sehen würde, dass er in einer Galerie gesehen hatte. Er wollte mich überreden, sie mit ihm zu besuchen oder ihm meine Nummer zu geben, eines von beidem. Aaron hatte mich schließlich retten müssen. »Du warst gestern ziemlich sauer auf ihn«, stellte ich stirnrunzelnd fest. »Klar, er hat dich einfach nicht in Ruhe gelassen, obwohl du bereits abgelehnt hattest. Aber ich verstehen trotzdem, warum er nicht aufgeben wollte.«
»Aha.«
»Ich meine, du hattest noch nie Probleme, Freunde zu finden. Du bist dieser künstlerische Typ Mensch, von dem jeder fasziniert ist und der jeder Zweite gerne wäre.«
»Was hat das denn mit dem Typen zutun? Um zu erfahren, was für ein Typ Mensch ich bin, hätte er mich ja zu Wort kommen lassen müssen.«
»Naja, dazu kommt ja auch noch, dass du verdammt hübsch bist.«
Erschrocken sah ich ihm wieder ins Gesicht, aber nichts, kein »Ich-veräppel-dich-nur«- Grinsen, kein spöttisches Zwinkern, keine Schamesröte, stattdessen sah er mich einfach weiter an, mit seinen ernsten und absolut aufrichtigen Augen. Was war denn auf einmal los? Schnell sprang ich auf und ging zu meinem Schreibtisch, auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser absolut komischen Situation. Da fiel sie mir in Form meines Zeichenblocks in die Hände. »Man, das hatte ich ja total vergessen! Deine Mom hatte mich einige Wochen vor diesem ganzen... Drama um ein Porträt von dir gebeten!«, ganz toll Rosanna, überhaupt nicht auffällig, wie du das Thema wechselst. Zum Glück ging Aaron ohne lange zu zögern darauf ein und machte es sich im Schneidersitz auf meinem Bett bequem: »Na dann, ich hab schon seit einer Ewigkeit nicht mehr als dein Modell herhalten müssen.« »Hey, was heißt denn hier herhalten?! Soweit ich mich erinnere, hast du dich immer bereitwillig angeboten!«, meinte ich empört.

Seufzend lag ich im Bett, neben mir schnarchte Aaron leise. Nachdem ich eine Weile vollkommen in meine Zeichnung vertieft gewesen war, hatte ich überrascht feststellen müssen, dass er sich quer über mein ganzes Bett ausgestreckt hatte und selig schlief. Nachdem ich im Bad fertig gewesen und in meine üblichen Schlafklamotten, bestehend aus einer labbrigen Stoff-Shorts und einem Tanktop, hatte ich vor einem 1, 80 Meter großen Problem gestanden. Mit einiger Mühe hatte ich es schließlich geschafft, ihn auf die der Tür zugewandte Seite des Doppelbettes zu schieben, sodass ich auch etwas Platz hatte. Doch auch mein Ächzen und Stöhnen hatte ihn nicht geweckt, was mich allerdings nicht wirklich gewundert hatte. Er schlief wie ein Toter, das hatte er schon als Kind getan und daran hatte sich nichts geändert. Eigentlich machte es mir auch nichts aus, neben ihm zu schlafen, weswegen ich mir nicht genau erklären konnte, warum ich nach einer halben Stunde immer noch wach da lag. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits halb zwei war. So ein Mist! Lag es vielleicht an meinem Nickerchen im Auto? Oder waren meine unruhigen Gedanken, die sich um das drehten, was Aaron vorhin gesagt hatte, der Grund? Mein bester Freund und Kindheits-Schwarm hatte mich hübsch genannt, na und? Das hatte er schon häufiger getan. Obwohl es ja nicht nur das war... Vielmehr beschäftigte mich die Art, wie er es gesagt und mich angesehen hatte. Als läge eine versteckte Botschaft oder Aufforderung in seinen Worten, die ich entschlüsseln sollte. Aber ich kam beim besten Willen nicht darauf, was das sein wollte. Verdammt, bildete ich mir das alles nur ein oder war ich zu begriffsstutzig? Mein Blick wanderte nach draußen: Vollmond. Na super, also war nicht nur mein Kopf zu voll. Schon als Kind hatte ich bei Vollmond nicht gut schlafen können. Irgendwann mitten in der Nacht war ich immer aufgewacht und hatte nicht mehr einschlafen können. Mein Vater, dem es ähnlich ging, hatte es irgendwann herausgefunden. Ab da hatten wir uns in jeder Vollmondnacht im Wohnzimmer getroffen, um gemeinsam Filme anzusehen. Dabei hatten wir immer so getan, als wären wir auf einer geheimen Mission, von der meine Mutter nichts erfahren durfte. Im Nachhinein war ich mir allerdings sicher, dass sie es gewusst hatte, so wissend, wie sie uns morgens immer angelächelt hatte, wenn wir vollkommen fertig am Frühstückstisch saßen. »Der Mond«, hatte mein Vater dann immer nur als Erklärung gemurmelt und ich hatte bestätigend genickt. An diesen Tagen hatte sie den Kaffee immer besonders stark gemacht. Gerade, als ich mich stöhnend auf den Rücken drehte, schlug etwas mit einem leisen »Klack« gegen meine Fensterscheibe. Halluzinierte ich vor lauter Müdigkeit schon? Wieder ein Klacken. Gespannt spitzte ich die Ohren und lauschte. Was das wohl war? »Klack. Klack. Klack«, ertönte es diesmal kurz hintereinander. Neugierig drehte ich mich zurück auf die Seite und beobachtete das Fenster. Da schoss plötzlich ein orange leuchtender Feuerball an meinem Fenster vorbei in den Himmel. Erschrocken sprang ich auf, was Aaron dazu veranlasste sich, begleitet von einem lauteren Schnarchen, zur Tür zu drehen. Vorsichtig schlich ich mich in Richtung Fenster und spähte nach unten. Das war doch nicht zu fassen! Da unten stand Logan in unserem Garten, der offenbar gerade dabei war, einen weiteren Feuerball zu formen! War er jetzt total verrückt geworden? Schnell sauste ich ins Bad, füllte einen Putzeimer mit eiskaltem Wasser, rannte zurück, riss das Fenster auf und kippte das Wasser hinunter, gerade als der Ball seine Hände verließ. Ein entsetzter Schrei war zu hören, doch ich hatte bereits das Fenster geschlossen. Wütend stapfte ich aus dem Zimmer, musste mich jedoch bremsen, um nicht ausversehen auf knarzende Dielen zu treten. 

Feen der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt