29. Kapitel

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Die nächsten Tage und Wochen verliefen immer nach demselben Muster: aufstehen, frühstücken, an Schultagen zur Schule, sonst ein Stück komponieren, zeichnen oder Ausflüge nach Edinburgh mit Fi und Ian. Manchmal machten wir an den Wochenenden auch Ausflüge an historische Orte. Scott war nämlich der Meinung, dass es nicht reichte, in der Schule darüber zu lernen. Man müsste es selbst sehen und die besondere Atmosphäre in sich aufsaugen, um es verstehen zu können. Ich genoss diese Ausflüge, die frische Luft und die atemberaubende Natur Schottlands. Die Natur war wild und unberührt. Stundenlang konnte ich mitten im Wald an einen Baum gelehnt dasitzen oder im Gras liegen und in den Himmel starren. Überall hörte ich es flüstern und lachen. Der Wind schien mir Geschichten zu erzählen und das Rauschen der Blätter klang wie Gesang. Es war, als würde ich die Natur völlig anders wahrnehmen, seit Logan mir gezeigt hatte wie ich meine Energie freisetzten konnte. Einmal hatte ich im Lagerfeuer kleine menschenähnliche Wesen entdeckt. Sie schienen durch die Flammen zu tanzen und immer wenn eines einen Ast berührte, schoss eine neue Flamme aus der Stelle. Scheinbar bemerkten auch andere, dass ich mich verändert hatte. Waldtiere kamen zu mir, wenn ich alleine im Wald saß und manchmal kam es mir so vor, als versuchten sie mit mir zu reden. Das bringt mich zum vorletzten Teil meiner Tagesordnung: Feenunterricht bei Professor Dr. Dr. Logan. Zumindest benahm er sich so. Jeden Nachmittag zeigte er mir besondere Orte und Heiligtümer der Feen. Sie waren häufig nur einen Katzensprung von Siedlungen der Menschen oder gut besuchten Wanderwegen entfernt. Dennoch war es Menschen, ohne die Begleitung einer Fee, nicht möglich, an diese Orte zu gelangen. Allerdings konnte Logan mir nicht erklären, wie es genau funktionierte. Als ich ihn daraufhin fragte, wie viel er denn überhaupt über die Feen wüsste, hatte er mir beleidigt geantwortet: >>Jedenfalls mehr als du! <<. Dann war er davongestapft und hatte mich mitten in einem uralten Tempel alleine stehen lassen. Doch statt ihm zu folgen, probierte ich einen der Tricks aus, die mir Logan in letzter Zeit gezeigt hatte. Außer einem Doktor im Genervt sein und einem im Rosanna zu Tode nerven hatte er nämlich auch noch einen im lange Daherschwafeln bei einfachen Übungen. Lange Rede kurzer Sinn: er brachte mir bei, meine Fähigkeiten einzusetzen. Dabei ließ Professor Dr. Dr. Dr. Logan keine Gelegenheit aus, um mit seinem >>Fachwissen<< zu prallen. Allerdings trat der gewünschte Effekt, Bewunderung meinerseits, nicht ein. Trotzdem genoss ich die Nachmittage, wahrscheinlich mehr als mir guttat. Aber seitdem ich mir eingestanden hatte, dass ich ihn mochte und er mich kurz vor dem Kuss weggeschoben hatte, nutzte ich jede Möglichkeit, um in seiner Nähe zu sein. Gegen alle Vernunft ignorierte ich Fis besorgte Blicke Tag für Tag aufs Neue. Aber ich war nicht völlig von ihm abhängig. Ich war auch kein Häufchen Elend, wenn ich ihn mal nicht sah. Auch wenn es auf Fi nicht so wirkte, wusste ich sehr wohl das Logan immer noch ein unverschämt gutaussehender Herzensbrecher und Playboy war, auf den ich mich nicht einlassen sollte. Immerhin demonstrierte er mir das auch oft genug, indem er jeden zweiten Tag mit einer anderen, in Glückseligkeit schwelgenden, aufgetakelten Tussi im Arm herumlief. Jedes Mal, wenn mir eines dieser Mädchen mal wieder einen arroganten und überlegenen Blick zuwarf, sobald ich mich Logan in den Pausen näherte, konnte ich einfach nur Mitleid für sie empfinden. Jede von ihnen schien zu denken, dass sie die eine wäre, für die er sich ändern würde. Umso amüsanter war es, wie Logan sie jedes Mal von sich stieß, sobald er mich bemerkte. Doch ich machte mir keine Hoffnungen, dass dieses bescheuerte Verhalten irgendeinen tieferen Sinn hatte. Keine Ahnung, was das zwischen uns war, aber ich hatte nicht vor, mich, bei dem Versuch es herauszufinden, bis auf die Knochen zu blamieren. Diese Entscheidung machte es mir um einiges einfacher meine Würde zu behalten und gleichzeitig in seiner Nähe zu bleiben. Verdammt! Warum kann ich nicht einfach mal bei der Sache bleiben?! Na gut, bevor ich ins Philosophieren geraten war, wollte ich eigentlich von dem Tempel und dem Trick erzählen. Also, nachdem Logan mich allein stehengelassen hatte, streckte ich meine Sinne aus und suchte nach dem Ort mit der meisten Magie im Tempel. Denn dort war der Tempel, laut Logan, am >>lebendigsten<<. Jedes Bauwerk war auf eine bestimmte Art und Weise lebendig, sie hatten Erinnerungen und Gefühle. Außerdem sprach man bei alten Häusern, wenn sie ächzten und knarzten, nicht umsonst davon, dass sie atmeten. Früher konnten auch die Menschen das bis zu einem gewissen Punkt wahrnehmen, doch heute waren dazu nur noch Feen im Stande. Aber selbst denen fiel es schwer, in den, von den Menschen in Rekordzeit hochgezogenen, Hochhäusern aus Stahl und Glas noch Leben zu entdecken. Denn je weniger Liebe in die Planung und den Bau gesteckt wurden, desto weniger Leben steckt in einem Haus. Doch dieser alte Tempel war voller Leben und schließlich entdeckte ich das Herz des Tempels. Dort angekommen setzte ich mich im Schneidersitz auf den, mit Rissen durchzogenen, Steinboden. Kühl spürte ich ihn unter meinen Handflächen. Wieder einmal staunte ich, wie schnell mir trotz der Kälte wohlig warm wurde, als ich zuerst meine Magie in den Händen sammelte und sie dann in den Boden sandte. Sofort reagierte das Herz auf mich und farbenfrohe Bilder tauchten vor meinen Augen auf. Der Tempel zeigte mir seine Erinnerungen an eine Zeit, weit vor mir. Feen tanzten auf seinem Boden zu einer Melodie, die eine wunderschöne Harfenistin spielte, seine Böden wurden täglich blitzblank geputzt, Spinnenweben aus den Ecken entfernt und er wurde immer wieder in den schönsten Farben für verschiedene Feste geschmückt. In dieser Zeit war er glücklich gewesen. Irgendwann wurden jedoch immer weniger Feste in ihm gefeiert und immer weniger Feen betraten seinen Boden. Über das letzte Bild legte sich ein grauer Schleier. Es zeigte ihn leer, verdreckt und vergessen. So komisch es auch klingen mag, ich merkte, wie einsam und verlassen er sich fühlte. Als ich den Tempel verließ, nahm ich mir vor, bald wieder hier her zu kommen.

Feen der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt