10. Ich kann sie nicht einfach umbringen

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Justin

Ich binde vorsichtig den Verband um ihre dünnen Handgelenke und klebe es behutsam zu. Morgen sollte es schon viel besser aussehen. Sie hat Glück gehabt, dass die Fahrt nur eine Stunde gedauert hat, sonst gäbe es ihre Hände wahrscheinlich gar nicht mehr.

"Danke", sagt sie und fährt sich in Gedanken mit dem Zeigefinger über ihre Handgelenke. Ich beobachte sie dabei. Wie sie beim Sprechen ihre Lippen bewegt...

Sie hat fantastische Lippen, sie sind voll und leicht geschwungen. Ich wette, sie hat ein unglaubliches Lächeln. Dieser Gedanke ist unangemessen und realitätsfern, aber ich wünsche mir, sie strahlend, sorglos und befreit Lächeln zu sehen.

Die Ironie dessen ist mir durchaus bewusst.

Bei dem Gedanken schüttle ich leicht den Kopf. Sie wird hier keinen Grund zum Lachen finden.

Ich packe alles wieder in den Erste-Hilfe-Kasten zurück und verstaue ihn dann im Schrank.

Selena's Blick verfolgt jede meiner Bewegungen.

Ich verstehe sie nicht. Warum fragt sie all diese Fragen? Kann sie nicht einfach dankbar sein, dass ich sie nicht umbringe? Müsste sie nicht vollkommen erleichtert sein?

Dass sie überhaupt noch die Nerven dazu hat, so viel nachzudenken, wundert mich. Schließlich ist es bereits ziemlich spät und sie hat einen langen, aufregenden Tag hinter sich.

"Bist du nicht müde oder so?" Die Frage kommt harscher, als beabsichtigt, als würde ich sie loswerden wollen.

Sie steht langsam auf und streicht sich die Haare zurück, bevor sie den Kopf schüttelt.

"Du solltest trotzdem schlafen. Du kannst mein Bett haben", biete ich ihr in einem weicheren Ton an und gehe aus meinem Badezimmer.

Ich hebe das Messer, welches ich eben achtlos hinter mich geschmissen habe wieder auf und stecke es schnell in meine Hintertasche, damit Selena nicht wieder auf verrückte Gedanken kommt.

Wieder einmal beobachtet sie mich abschätzend. Als würde sie abwägen, ob sie mir wirklich vertrauen kann. Kann sie nicht. Aber ich wünsche es mir trotzdem.

"Kommst du klar?", frage ich und gehe Richtung Zimmertür. Ich will ihr etwas Privatsphäre geben. Und meine Leute haben eine Erklärung verdient.

Sie spielt nervös mit ihren Fingern herum und beißt sich auf die Unterlippe. Ich versuche es so gut wie möglich zu übersehen, aber mein Körper reagiert sofort darauf und ich schlucke.

Ich hatte zu lange keinen Sex mehr.

"Ja. Ja, ich komme klar", sagt sie schließlich und nickt schnell.

"Gut... und Selena? Versuch gar nicht erst, abzuhauen. Es wird immer jemand hier sein, der ein Auge auf dich hat. Je weniger Probleme du uns machst, desto mehr Freiraum hast du."

Ich weiß nicht, wieso ich das gerade jetzt sagen muss. Ich bin mir ziemlich sicher, das weiß sie bereits. Außerdem: als ob sie sich trauen würde, auch nur einen Schritt aus diesem Zimmer zu gehen. Da unten sitzen schließlich 7 Kriminelle.

ADDICTED TO YOU  → Jelena FanFiction (FINISHED)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt