4. Tarnung

6.5K 263 3
                                    

> Marco <

Nachdem ich ein paar Stunden geschlafen habe, schreibe ich diesem Mädchen zurück. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich jetzt schon, dass ich nicht die moralischsten Absichten habe. Also nicht das. Ich meine was anderes.

Ich brauche eine Freundin. Also zum Schein, für Veranstaltungen, Familienfeiern. Wieso? Meine Eltern liegen mir seit Monaten in den Ohren damit. Weshalb ich keine feste Freundin hätte. Sie verstehen nicht, dass ich mich nicht binden will. Diese Verpflichtungen, die damit verbunden sind. Treu sein, immer für sie da sein, nur noch mit ihr zusammen sein und ständig an sie denken. Nein, darauf habe ich wirklich keine Lust. Ich mag mein Singleleben, frei, ungebunden. Leider ist meine Familie davon gar nicht begeistert. Sie bezeichnen es als Lotterleben, ich sei ein Frauenheld, ein Macho - sie wünschen sich mehr Bodenständigkeit, predigen sie mir ständig. Und genau aus diesem Grund antworte ich dieser Hanna. Sie lebt laut Profil auch in Dortmund. Na immerhin. Sie sieht nicht schlecht aus, ihre Gesellschaft wäre zumindest keine Schande in der Öffentlichkeit. Meinen Eltern würde sie gefallen. Sie hat genau das, was ich gerade suche - etwas bodenständiges.

Ich bin doch gespannt, ob sie auf meinen Vorschlag eingeht, sich mit mir zu treffen. Wenn sie mir gefällt, werde ich rausfinden, ob sie geeignet ist, für das, was ich vorhabe. Ich fühle mich nicht schlecht dabei. Hauptsache ich habe am Ende meine Ruhe. Sollen meine Eltern und der Rest der Welt glauben, ich würde sesshaft werden und mich an eine einzige Frau binden. Das kann mir nur recht sein, denn was ich nachts mache - in verschiedenen Betten, muss niemand wissen. Ja, der Plan ist richtig gut.

Nachdem ich die Nachricht geschrieben habe, zocke ich FIFA. Irgendwann fallen mir dabei die Augen ständig zu. Ich schlafe auf der Couch ein, allein. Ich schlafe nicht gern allein. Vielleicht habe ich deshalb fast jede Nacht eine andere Frau im Arm. Ich will nicht darüber nachdenken, ich will nur schlafen.

Am nächsten Morgen bin ich tatsächlich ausgeschlafen, aber von der seltsamen Schlafposition tut mir der Nacken weh. Selbst zum Training komme ich pünktlich. Eventuell sollte ich doch häufiger alleine schlafen. Die Betonung liegt auf Schlafen. In Gesellschaft schlafe ich nie so viel. In der Trainingspause checke ich meine Nachrichten. Nichts. Sie hat nicht geantwortet. Das wurmt mich, ich bin immerhin ein begehrter Fußballer, die halbe Welt will mich kaufen, mich in ihrem Verein spielen sehen - die Frauen stehen Schlange. Weshalb sollte diese Hanna eine Ausnahme sein? Sie hat mir doch zuerst geschrieben. Abgenervt stecke ich mein Handy wieder weg. In ein paar Tagen hat mein Dad Geburtstag, wenn ich da wieder ohne Begleitung auftauche, meldet meine Mutter mich noch bei so einem Online-Dating-Portal an. Die Arme will endlich weitere Enkelkinder. Darauf kann sie lange warten, ich bin doch nicht verrückt, mir jetzt schon eine Familie ans Bein zu binden. Ich bin erst 26. Ich glaube, ich will auch gar keine eigene Familie. Nein, das will ich nicht. Wütend trete ich den Ball in Richtung Tor. "Hey! Du warst überhaupt nicht dran!", schnauzt mich der Trainer an. "Sorry." Ich überstehe das Training, doch der Gedanke an den bevorstehenden Geburtstag stresst mich. Aber Hanna antwortet mir an diesem Tag nicht mehr.







ONLINE [1] [Marco Reus] | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt