100. Mut

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> Marco <

Fast eine Woche muss ich warten, bis ich endlich die ersehnte E-mail von Lars bekomme mit der Adresse von Hannas Mutter. Schon vorm Öffnen schlägt mir mein Herz bis zum Hals. Glücklicherweise bin ich in diesem Moment nicht zu Hause, sondern sitze in meinem Wagen und will gerade vom Training nach Hause fahren.

Hanns Mom lebt mittlerweile in Köln. Bei dieser Nachricht wird mir fast schlecht. Köln?! Das ist nur ein Katzensprung von Dortmund entfernt und sie hat nie versucht Kontakt zu ihrer Tochter aufzunehmen?! Was ist das für eine Rabenmutter?! Entsetzt starre ich mein Handy an. Das kann eigentlich gar nicht sein. Mit einem Mal glaube ich selbst nicht mehr daran, dass das eine gute Idee ist. Wenn Hann erfährt, dss ihre eigene Mutter nur wenige Kilometer entfernt lebt und sich scheinbar überhaupt nicht darum kümmert, wie es ihrer Tochter geht, das wird Hanna nicht einfach runterschlucken können. Keinsfalls. Dafür kenne ich mein Mädchen zu gut. Sie wird stinksauer sein, toben und ihr die Pest an den Hals wünschen, um es freundlich auszudrücken. Kurz lasse ich den Kopf hängen und versuche meine Gedanken zu sortieren. Was, wenn ich damit alles nur noch schlimmer mache? In der Position von Hanns Mutter könnte man alles auch andersherum auslegen, dass Hanna sich auch selbst hätte melden können und sie aufsuchen könnte. Das hat sie natürlich nicht, weil sie wütend auf sie war und zusätzlich in letzter Zeit wirklich viel durchmachen musste.

Genau diese Tatsache schmerzt mein Herz so. Ich kann nicht verstehen, weshalb Hannas Mutter nicht wenigstens vor zwei Wochen versucht hat Kontakt zu ihrer Tochter aufzunehmen. Die Zeitungen waren voll mit reißerischen Schlagzeilen, dass Hanna, meine Freundin, in Lebensgefahr schwebe und unklar sei, ob sie es schafft. Sie hat es geschafft, ja. Weil sie stark ist und unfassbar viel wegsteckt, aber Hannas Mutter muss doch kapiert haben, um wen es da geht. Einige dieser schrecklichen Klatschblätter haben doch sogar Bilder von uns abgedruckt. Da muss es ihr doch wie Schuppen von den Augen gefallen sein. Dass diese Hanna ihre kleine Tochter ist und dass diese ums Überleben kämpft. Wie soll ich Hanna das erklären? So weit kann man doch gar nicht hinterm Mond leben, wie ihre Mutter es vorgibt zu tun. In mir steigt eine zornige Hitze auf, meine Hände zittern leicht. Wenn ich selbst schon so böse werde, wie soll Hanna damit umgehen? Ich kann es mir wirklich bildlich vorstellen und es macht mir fast ein bisschen Angst. Das wird nicht schön.

Noch fast 15 Minuten sitze ich da in meinem Wagen und muss mich erstmal sammeln. Dann schaffe ich es loszufahren. Obwohl ich so angewidert bin vom Verhalten von Hannas Mutter, bin ich irgendwie neugierig. Was ist das für ein Mensch? Sie hat so einen großartigen Menschen erzogen, durchs Leben begleitet und dann wendet sie sich von einem Augenblick zum anderen ab und zeigt Hanna die eiskalte Schulter? Das will mir nicht in den Kopf und in mir setzt sich der Wunsch fest, diese Frau wenigstens einmal damit zu konfrontieren, ihr einmal zu sagen, wie schäbig ich es von ihr finde, die eigene Tochter nicht einmal dabei zu unterstützen, wenn dessen Leben nur noch am seidenen Faden hängt. SIE hätte auch an Hanns Bett sitzen müssen, ihre Hand halten und beten. Doch sie war nicht da, wahrscheinlich wusste sie nicht einmal etwas von dem schlechten Zustand ihrer eigenen Tochter oder es kümmerte sie einfach nicht. Das wäre allerdings die schlechteste Version.

Etwas mitgenommen kehre ich nach Hause zurück, bemühe mich sehr, Hanna nicht merken zu lassen, dass mich etwas beschäftigt. Denn die Wahrheit kann und will ich ihr nicht sagen. Noch nicht. Vorher muss ich mir selbst erst ein Urteil bilden. Noch immer will ich nicht akzeptieren, dass Hannas Mom so ein gefühlsloser Mensch ist, der sich so verhält. Leider wirkt es aber so und ich hoffe inständig, dass ich mich täusche und es einen anderen Grund ab, weshalb sie sich nicht um ihre Tochter gekümmert hat. Streit hin oder her, aber es ging um Hannas Leben! Wir reden hier nicht von einer Sechs auf dem Zeugnis, sonstigem Ärger oder so, nein, Hanna schwebte wahrhaftig in Lebensgefahr! Da muss man doch mal über seinen Schatten springen können!

Zwei Tage später habe ich trainingsfrei und Hanna muss zur Kontrolle ins Krankenhaus. Ich fahre sie hin, sammle danach Robin und Marcel als mentale Unterstützung ein und wir machen uns gemeinsam auf den Weg nach Köln zu der Adresse, die mir Lars zugeschickt hat. Marcel muss fahren, weil meine Hände so zittern, dass ich das Lenkrad nicht mal vernünftig umfassen kann - ich bin so abartig nervös, das ist ekelhaft! Immer wieder kommen mir neue Gründe in den Sinn, weshalb wir da doch nicht hinfahren sollten, aber wenigstens Robin und Marcel sind mutiger als ich und bleiben dabei, kehren nicht auf mein immer wiederkehrendes Drängen um. Für meinen Geschmack kommen wir viel zu schnell in Köln an.

Skeptisch mustern wir alle drei das schicke Mietshaus, zu dem mein Navi uns gelotst hat und auf dessen Parkplatz Marcel gehalten hat. "Hmmm, schlecht scheint es Hannas Mutter ja nicht wirklich zu gehen", spricht Robin das aus, was wir vermutlich alle drei denken. "Und jetzt?", setzt er noch hinterher, ich zucke nur mit den Schultern. Ich habe echt keine Ahnung, was ich als nächstes machen werde. Einfach klingeln? Und dann? Ganz ehrlich, darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Das habe ich eher erfolgreich verdrängt. Mit einem Mal wird mir ganz heiß und ich bin sicher schon tiefrot angelaufen. "Na? Willst du mir etwa sagen, du hast keinen Plan?", hakt Robin auch noch nach und ich muss leider nicken. Ich hab gar keinen Plan. Super. Betretene Stille.

Kurzerhand nehme ich all meinen Mut zusammen, steige aus und gehe zur Haustür. Schnell finde ich den gesuchten Nachnamen. Nach wenigen Sekunden des Zögerns drücke ich die Klingel. Mein Herz bleibt fast stehen, als sich wenig später eine Frauenstimme meldet: "Ja? Wer ist denn da?" Nächstes Problem. Wie stelle ich mich jetzt vor? Da ich kaum glaube, dass sie mir die Tür öffnen wird, wenn ich mit irgendwelchen Werbungsblabla daherkomme, setze ich wagemutig alles auf eine Karte und sage die Wahrheit: "Hallo, Marco Reus hier. Ich wollte mit Ihnen über Ihre Tochter sprechen!" Den Atem anhaltend warte ich, ob etwas passiert. Mehrmals knackt es im Lautsprecher, eine gefühlte Ewigkeit später erklingt das erlösende Summen des Türöffners.

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Hihi, mutig unser Marco, nicht wahr? Was sagt ihr dazu, dass Hanns scheinbar die ganze Zeit in Köln gelebt hat und sich nicht bei Hanna hat blicken lassen?!

Wird Marcos Befürchtung bestätigt werden? Ist Hannas Mutter wirklich so ein gefühlsloser Drachen? Wie wird Hanna reagieren, wenn sie von Marcos Alleingang erfährt?

Alles Liebe,

Eure Floraly ❤

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