Chapter 1
Im Sekundentakt prallte ein Regentropfen nach dem anderen gegen die Fensterscheibe, aus der ich hinausschaute. Sobald einer am Glas landete, machten sie alle ein Wettrennen bis dorthin, wo ich sie nicht mehr sehen konnte. Obwohl ich den Regen liebte, was der Grund war, wieso ich interessiert aus dem Fenster sah, war ich froh im Trockenen zu sein. Noch nie hatte ich so einen nassen Sturm in Seoul gesehen. Ich hatte meine Kopfhörer drin, weshalb ich die Geräusche des Unwetters, das draußen sein Unwesen trieb, nicht hören konnte. Das Lied, das ich hörte, war eins von Jason Derulo und somit ein Popsong, dessen Beat mich fast zum Tanzen brachte. Doch ich wollte meine Moves lieber nicht vorführen, denn ich saß mit vielen fremden Gesichtern in einem Bus.
Wieso? Weil ich eine Woche in Deutschland verbracht hatte, um dort meine Familie zu besuchen. Da ich gerade Herbstferien hatte, bot es sich an. Meine Familie und meine Freunde aus Deutschland vermissten mich, seitdem ich einen Sprachkurs/Austausch in Korea machte. Kurzerhand ließ ich mich überreden und flog dorthin. Diese Woche verging recht schnell und schon saß ich wieder im Flieger. Der Flug war kürzer, als mein allererster hierhin. Doch im Gegensatz zu meiner ersten Anreise war es diesmal ein bisschen anders, denn mein Taxi hatte eine Panne und da keine Bahn in der Nähe war, entschied ich mich für eine Busfahrt, die natürlich länger war als eine Zugfahrt. Das war der Grund, wieso ich jetzt im Bus saß und wenn ich es mir so überlegte, hätte ich es noch kürzer zusammenfassen können.
Naja, wenigstens hatte ich einen Zweier für mich ganz allein. Meine Koffer waren im Kofferraum des Buses verstaut, auch wenn es mir lieber wäre, wenn sie in meiner Nähe wären. Als ich mich aufrecht hinsetzte und meinen Hals ein Stückchen streckte, bemerkte ich rasch, dass die meisten Plätze belegt waren. Ich war mir sicher, dass der Bus noch wenige Male an Haltestellen halten würde und das hieß, dass ich wahrscheinlich einen Sitznachbar oder eine Sitznachbarin bekam. Innerlich betete ich, dass die nächsten Einsteiger junge Menschen mit gesunden Beinen waren. Bis zur nächsten Haltestelle ließ ich meinen Kopf über den Sitzrücken vor mir hervorgucken und erblickte zwei neue Fremde. Sofort zog ich meinen Kopf wieder zurück und hoffte, dass die beiden stehen würden.
Ich gab es ja zu, dass meine Gedanken unhöflich und ziemlich egoistisch waren, aber ich saß nunmal nicht gerne neben Fremden. Meinen Ellebogen lehnte ich irgendwo gegen und stütze mein Kinn an meiner flachen Hand ab. Mein Gesicht war ein wenig zum Fenster gerichtet, doch ich hatte meinen Sitz noch im Blickwinkel. Leicht nervös wartete ich darauf, dass der Bus sich in Gang setzte, ohne dass ich einen Sitzgenossen bekam. Kurz hielt ich inne und schon ertönten die angehenden Motoren. Erleichternd schnaubend gingen meine Augen für kurze Zeit zu und ein Schmunzeln erschien auf meinen Lippen. Plötzlich spürte ich etwas an meiner Schulter, das meine Erleichterung wieder verblassen ließ. Mit einem raschen Blick stellte ich fest, dass die Hand einer der neuen Einsteiger mich berührte und dessen Augen mich ansahen.
Ich stellte fest, dass sich der Mund dieser Person bewegte, doch ich konnte ja nichts verstehen wegen meiner Musik. Reflexartig nahm ich meinen Rucksack, den ich als einziges Gepäckstück mit in den Bus genommen hatte, vom Sitz und wandte meine Augen ab. Wassertropfen prallten auf mich, als die Person den eigenen Rucksack absetzte und Platz nahm. Unauffällig wischte ich sie mit meinen Zeigefingern aus dem Gesicht und schielte ab und zu rüber. Die Jacke meines Sitznachbarn war so nass, dass ich noch einiges an der Schulter abbekam. Im Moment fragte ich mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei, was ich schwer erkennen konnte, da diese Person eine weite Kapuze trug. Diese zog sie sich aus, danach hatte sie sich seine Tasche unten zwischen die Beinen platziert. Huh, ein Junge.
Er hatte dunkle, kurze Haare, die vorne am Pony noch etwas feucht waren und von denen das Wasser über sein Gesicht lief. Eine Brille zierte seine Nase, aber ich war mir nicht sicher, ob es eine echte oder nur als Accessoire gedacht war. Sein Gesicht sah ich mir nicht weiter an, da es von der Seite und dank der Brille nicht leicht zu erkennen war. Als ich an ihm herunter sah, fragte ich mich selbst, wieso es mir nicht sofort auffiel, dass er ein Junge war. Seine Statur und seine Klamotten sprachen voll dafür, doch ich, Idiotin, merkte das jetzt erst. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich auf sein Handy starrte, als er dieses rausgeholt hatte und darauf rumtippte. Wie ein fasziniertes Baby war ich tatsächlich abgelenkt bis er auf seine Tastensperre drückte. Sofort begriff ich meine Tat und wagte mich zu ihm hochzuschauen.
Von seinem Blick her konnte ich schließen, dass er nicht gerade erfreut über meine Stalkerei war. Diesen Ausdruck kannte ich, denn hier in Korea bekam ich ihn oft zu spüren. Meine tiefgrünen Augen und mein Gesicht, das keine asiatischen Züge aufwies, machten ihn unsicher. Bestimmt hatte er jetzt den Eindruck, dass alle Nicht-Asiaten so unverschämt auf fremde Handys guckten wie ich. Sorry, dass ich einmal eine umgangssprachliche koreanische Konversation per Messenger lesen wollte. Wieder schaute ich weg und diesmal nahm ich einen meiner Stöpsel aus dem Ohr. Eine Weile wanderten meine Augen durch die Gegend bis ich ein gequältes "Es tut mir leid" aus meinem Mund zwang. Erneut blickte der junge Fremde mich an, als ob ich ein Geist wäre.
Sicherlich trafen sich nun viele Gedanken in seinem Kopf zusammen und hielten eine Art Diskussion, in der sie sich Fragen über Fragen stellten. Seufzend holte ich mein eigenes Handy raus, wackelte es ein bisschen herum, damit ich seine Aufmerksamkeit bekam und presste meine Lippen aufeinander. Sein Blick ging zwischen meinem Handy und mir hin und her. Ohne etwas zu sagen, mied er Augenkontakt und holte seine Tasche hervor. Hatte ich schon erwähnt, dass ich nicht gerne neben Fremde im Bus saß? Da konntet ihr es sehen! Ich entschied mich dafür, ihn ab jetzt zu ignorieren und die Busfahrt ohne weitere Schäden zu überstehen. Eine Zeit lang hielt es so an, doch so bald wie möglich lenkte er wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Auf dem kleinen Tisch, den er aus dem Rücken des Vordersitzes ausklappte, lag ein kleines Buch, das wahrscheinlich ein Notizbuch war.
Nach seiner kurzen Suche nach einem Stift öffnete er das Büchlein und notierte etwas, das er von seinem Handy abschrieb. Diesmal wollte ich eigentlich nicht spannen, doch so oder so konnte ich nichts aus dieser Entfernung erkennen. Wenn ich es nicht lesen konnte, dann interessierte es mich auch nicht. Der Ausblick aus dem Fenster reizte mich wieder mehr und mir fiel freudig auf, dass wir fast an der vorletzten Haltestelle angekommen war, bis ich aussteigen musste. Auch mein Sitznachbar schien das zu bemerken, denn er packte seine Sachen in einer Rekordzeit wieder in seine Tasche. Nun hieß es wohl Lebewohl, meine ungewollte Begegnung. Ein wenig besser gelaunt, lehnte ich mich weiter nach hinten und malte mir schon aus, wie ich gleich unter meine kuschelige Bettdecke kriechen würde.
Er verschwand ziemlich schnell, was mich aus welchem Grund auch immer wunderte. Mein Gehirn wollte die Bestätigung, dass er auch wirklich weg war, weswegen meine Augen sich automatisch öffneten und sich auf seinen Platz richteten. Oh, nein! Das war jetzt nicht sein Ernst! Wie konnte dieser Depp sein Notizbuch vergessen, obwohl er da vor wenigen Minuten noch reingeschrieben hatte? Unlocker brummte ich und beugte mich nach vorne. Es war ausgeschlossen, dass es mir gehören könnte, doch der größte Teil meines Kopfes erhoffte das. Während ich das Buch anstarrte, gingen mir Pläne durch die Gedanken. Doch wie ich mich kannte, konnte ich das Buch hier nicht einfach liegen lassen. Wütend über mich selbst, griff ich nach dem Buch und blätterte nach Seiten, die hilfreich sein konnten.
Wie das Schicksal es so wollte, fand ich tatsächlich eine hilfreiche Adresse auf der letzten Seite. Hatte er das etwa mit Absicht gemacht? Beim weiteren Blättern fand ich noch so einige wichtige Informationen. Leise sagte ich zu mir selbst:"Mein lieber Jeon Jeongguk, wir werden uns wohl oder übel wieder sehen."
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Bulletproof Desire
FanfictionKaum sind die Herbstferien vorbei, muss Dea auch schon zurück nach Seoul, um dort ihren einjährigen Sprachkurs fortzusetzen. Herzlicher Empfang? Fehlanzeige! Das Taxi, das sie in die Stadt bringen soll, gibt den Geist auf, woraufhin sie sich kurzerh...