Kapitel 7

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24 Dezember, 1951

Weihnachten. Einer der schönsten Abende des Jahres. Allerdings nur, wenn man nicht mit IHM zusammenlebt. Zuerst brauchte ich zehn Minuten, um ihn für eine Minute aus seinem Zimmer zu locken, und dann ist er ausgerastet. Er ist vor allen Leuten ausgerastet. Und ich frage mich, wie lange ich das noch als den schönsten Abend des Jahres bezeichnen kann. Dieses Jahr war es der Schlimmste.

Heute

Als ich klein war, war Jon der Einzige, den ich hatte. Emmy war gerade zwölf und Laina noch zu klein, um ihn zu kennen. Aber ich hatte noch Jahre über ihn geredet, nachdem er sich verabschiedet hatte.

Genau das ist der Grund, warum dieser Brief mich so verletzt. Er hat sich Jahre nicht gemeldet. Und dann kommt er zurück, und das mit einem Brief?

Ich will nicht sagen, dass ich ihn nicht hätte treffen können. Aber zu ihm ins Königreich konnte ich nie, da es sich "für eine Dame nicht ziert" und die Jungenschule am anderen Ende der Insel ist für alle Mädchen tabu.

Aber warum ist er nie gekommen?

"Los, mach schon auf." Laina sieht mich aufgeregt an. Meine Hände zittern mit dem Brief in den Fingern. Ich habe so lange auf ein Lebenszeichen gewartet. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich dafür bereit war.

"Ich... Brauche einen Augenblick für mich", stammele ich und stecke den Zettel in meine Hemdtasche. Sie sieht enttäuscht aus. Allerdings widerspricht sie nicht, da sie genau weiß, dass ich den Brief, egal was sie sagt, nicht in ihrer Anwesenheit öffnen werde. Ich brauche meine Ruhe.

"Sagst du mir später, was drinstand?", ruft sie mir hinterher, als ich schon lange auf dem Flur bin.

**

Ich sitze auf meinem Bett, in zwei Decken gehüllt. Meine Schuhe liegen im Zimmer verteilt auf dem Boden und in meiner Hand halte ich den Brief mit dem bekannten Siegel von Jons Familie.

Ich hatte überlegt, Clara zu rufen, aber hatte mich dann dagegen entschieden. Diesen wichtigen Moment muss ich für mich allein haben.

Langsam knibbeln meine Fingernägel das Siegel ab und ich kriege fast einen Herzinfarkt, als es sich löst. Ich öffne den Umschlag und ziehe das Papier heraus. Dann beginne ich, zu lesen.

Meine liebe Rania,

So lange haben wir uns nicht gesehen. Ich weiß, es kommt etwas plötzlich, aber ich hatte gehofft, dass du diesen Brief trotz meiner langen Distanz zu dir lesen wirst. Da du es jetzt tust, werde ich mit meiner Bitte voraneilen:

Der Lord von Gillingham hat sich entschlossen, nun seinen Anteil an unserem Schloss zu nehmen. Da er seine Zeit braucht, sich dort einzuleben, werden wir für drei Monate an einem anderen Ort untergebracht. Wäre in eurem Schloss nicht genug Platz für mich, meinen Bruder, meine Schwester und meine Eltern?

Bitte antworte mir. Meine Handynummer ist unter angeführt.

Vielen Dank für deine Hilfe,
Dein Jonathan

Ich lasse den Brief sinken.

Das ist alles?

Er hat mich nur kontaktiert, weil der verschissene Lord Gillingham in seinem Schloss unterkommt?

Wow.

Es ist ihm scheißegal, wie es mir geht. Er will nur sehen, wie er in seinem Schlösschen bleiben kann.

Ich sehe, wie eine Träne das Papier berührt. Nein. Ich werde nicht für ihn weinen. Ich werde keinem zeigen, wie sehr es mich verletzt hat. Wütend zerreiße ich das Papier und schleudere es durch das ganze Zimmer.

Dann breche ich auf dem Boden zusammen.

**

Als ich das nächste Mal auf die Uhr gucke, ist es 17:15 Uhr. Ich will mich nicht bewegen. Ich will hier auf dem Boden liegen bleiben und vor mich hin vegetieren.

Die Tür wird geöffnet und Clara tritt ein. Als sie meinem jämmerlichen Anblick bemerkt, läuft sie sofort auf mich zu.

"Rania! Was ist mit Ihnen passiert?", ruft sie und setzt sich zu mir auf den Boden.

Ich zeige nur auf den Brief, der in Fetzen im Zimmer verteilt liegt. Ich weiß genau, wenn ich jetzt rede, kommen mir gleich wieder die Tränen.  "Was ist das?", fragt sie und zwingt mich quasi dazu, ihr zu antworten.
"Jon", flüstere ich und spüre auch gleich, wie meine Augen feucht werden.

Natürlich weiß sie, wer er ist. Jeder weiß, wer er ist. Und jeder weiß, wie viel er mir bedeutet.

Clara fragt nicht weiter nach. Sie robbt zu mir und nimmt mich in dem Arm. Und irgendwie ist das gerade alles, was ich brauche.

Ich kuschele mich in ihre Arme und fange hemmungslos an zu weinen. Und sie sitzt nur da und streicht mir über den Rücken, und sagt mir, dass alles gut wird.

Und für einen kleinen Moment - wirklich, nur für einen winzigen- glaube ich ihr das auch.

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