Kapitel 10

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11 Juni, 1952

Ich kann es nicht glauben. Ich habe ihn verraten. Ich habe ihn verraten an die Irrenanstalt und sie haben ihn mitgenommen. Es wurde mir zu viel und ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Er wird mir das nie verzeihen. Ganz ehrlich, es würde mich nicht einmal wundern, wenn er mich dafür umbringen würde.

Heute

Ich sehe sie fassungslos an. Ist das nur Zufall? Warum ist sie hier? Ausgerechnet heute.

"Hey Nia, alles gut?", fragt mich Joyce und sieht mich besorgt an. "Das ist die Tochter des Grafen von Gillingham", stammele ich, dann fällt mir auf, dass ich ihr ja gar nichts von dem Brief erzählt habe.

Sie sieht mich verwirrt an. "Ja, und? Sonst findest du es ja auch nicht soo toll, Leute von Adel zu sehen", kichert sie. "Du bist ja selbst eine Prinzessin."

Ich schenke ihr ein Lächeln und versuche, meine Reaktion von eben zu überspielen. "Ich.. Hab nur neulich in der Vogue was über sie gelesen, glaube ich", sage ich und widme mich wieder dem Mädchen.

Diese strahlt mittlerweile fröhlich ins 'Publikum'. "Hallo, ich bin Abigail, aber nennt mich Abby. Ich bin durchs Tanzen bekannt geworden und habe auf dieser Insel schon einige Wettbewerbe gewonnen", erklärt sie.

Thess, die das Gespräch zwischen mir und Joyce mitgehört haben muss, scheint eine Erleuchtung zu haben. "Aah, den Artikel hab ich auch gelesen", raunt sie mir zu und ich schenke ihr ein kleines "Ach-wirklich?-Lächeln".

"Da ihr jetzt bald mit Partnertanz beginnt, werde ich euch einen kleinen Einblick darin geben, was ihr dafür an Ballett können müsst, es ist wirklich nicht schwer." Sie strahlt erneut ermutigend in die Runde.

Für mich wird das kein Problem. Ich und Thess Tanzen seit Jahren in einer Gruppe Ballett, da wird das wohl nicht schwierig sein.

"Muss Eleanor, könnten Sie Musik anmachen? Ich brauche Skinny Love von Birdy", bittet Abby und klettert auf die kleine Bühne, um anzufangen. Die Lehrerin nickt und läuft zu einem iPod, an dem sie sofort ein paar Einstellungen vornimmt und einige Sekunden später hören wir die ersten Töne des Liedes.

Aber was Abby dann auf die Bühne zaubert, überrascht sogar Thess, die eigentlich nichts aus der Fassung bringt. Das Mädchen schwebt geradezu über die Bühne und lässt eine sprachlose Tanzgruppe zurück, als der letzte Ton verklingt.

Zuerst ist alles totenstill.

Dann bricht ein tosender Applaus los, und das, obwohl wir nur 10 Schülerinnen sind.
Thess hat sogar Tränen in den Augen. "Das war... Wunderschön", flüstert sie und legt sich eine Hand aufs Herz.

Ich und Joyce wechseln einen grinsenden Blick. Tja, sie ist eben melodramatisch mit Leib und Seele.

"Ich denke, das kriegt ihr hin. Ich werde euch die Choreo jetzt Schritt für Schritt beibringen. Seid ihr bereit?", fragt sie. "Ja, ja, ja!"

**

"Nein, nein, nein!", keuche ich, als ich nach zwei Stunden knallhartem Training auf den Boden sinke. Zwar habe ich das meiste hingekriegt, aber keiner kann leugnen, dass es schwer ist.

Joyce liegt ebenfalls auf dem Hallenboden und versucht bereits seit einer Viertelstunde, ihre Trinkflasche zu erreichen, ohne sich dabei zu bewegen. Kichernd gebe ich sie ihr und sie ext sie in einem Schluck aus.

Nur Thess gibt nicht auf. Wahrscheinlich hat sie sich zum Ziel gesetzt, allein heute genau so gut zu werden wie Abby.

"Okay, Leute! Für heute könnt ihr gehen!", sagt Miss Eleanor und alle stürzen auf die Umkleiden zu. "Kommst du, Thess?", fragt Joyce, als ich mit ihr bereits im Eingang stehe.

Sie nickt. "Gleich, ich möchte Abby noch was fragen", erklärt sie und läuft in die Richtung der erschöpften Tänzerin.

Joyce lacht und zieht ihr Top aus. "Die können wir für heute vergessen! 'Kurz was fragen' dauert für sie ja noch bis zur nächsten Tanzstunde!", meint sie. Ich kichere auch und ziehe mir gerade das Jackett meiner Schuluniform wieder an. "Hey, hast du heute Zeit? Wir könnten für diesem blöden Chemietest büffeln..", schlägt sie vor, aber ich winke ab.

"Sorry, bin heute echt beschäftigt. Aber wir sehen uns bald, ja?", vertröste ich sie und verlasse das Studio.

Eigentlich bin ich nicht Soo beschäftigt. Aber ich muss heute mit Clara reden, und das so schnell wie möglich.

Ich hole mein Handy heraus und rufe meinen Fahrer an. Und genau wie erwartet steht Thess immer noch da und lässt Abby nicht mehr los.

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