Kapitel 11

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17 Oktober, 1955

Oh. Mein. Gott.
Sie haben ihn freigelassen! Ich hatte ihn drei Jahre lang vom Hals und sie haben ihn freigelassen?!? Welcher Gott lässt das zu? Ich habe wohl keine Wahl. Ich werde ihn weiter ertragen müssen und ich werde ihn weiter hassen. Bis er wieder der Mann wird, in den ich mich verliebt habe.

Heute

Als meine Limo vorfährt, warte ich schon 15 Minuten vor dem Schulgebäude. Alle Gänge und Schulhöfe sind wie leergefegt. Ich bin die Letzte, die noch da ist.

Franques öffnet die Tür und steigt aus. "Guten Tag, Majestät! Hatten Sie einen angenehmen...", beginnt er, aber ich bin zu wütend, um ihn ausreden zu lassen. "Was dauert das so lange, Franques? Es ist Mitte September, verdammt nochmal! Ich friere mir hier Sonstwas ab!", schimpfe ich und lasse mich auf den Rücksitz fallen, von dem mir Franques gerade die Tür geöffnet hat.

Er steigt ebenfalls ein und startet den Wagen. "Es tut mir wirklich leid, dass es zu Verzögerungen kam, Milady, aber der Verkehr war fulminant."

Ich verdrehe nur die Augen. Franques ist der Einzige im Schloss, der es für nötig hält, in dieser aufgesetzten Sprache zu reden. Ich stöhne laut auf, um ihm klarzumachen, dass mich das gerade unends abnervt.

Allerdings weiß er genauso gut wie ich, dass nicht er Schuld ist an meiner schlechten Laune ist, sondern Abby.

Und Jon.

Eine Weile schweigen wir. "Mit Verlaub, euer Ehrlichkeit, dürfte ich fragen, was vorgefallen...", beginnt er wieder, aber ich unterbreche ihn erneut. "Nein", zische ich ihm nur kurz zu. Und damit ist das Gespräch beendet.

**

Als ich aussteige, murmele ich ihm nur ein kurzes 'Tschüss' zu und gehe dann in den Palast. Als ich mein Zimmer betrete, liegt auch schon mein Kleid für heute ordentlich auf dem Sessel.

Ich werfe das enge, verschwitzte Jackett ab und schlüpfe in das weiße Kleid, welches Lange, dünne, eng anliegende Ärmel hat, ein ganz klein bisschen schulterfrei ist und von der Hüfte ab fast nur aus Tüll besteht. An den Enden und am Dekolleté sind kleine Schmetterlinge aus Samt eingenäht.

Ich ziehe die weißen Sandaletten dazu an und klingele mein Glöckchen.

Laina ist bestimmt schon zu Hause - und Emmy auch - , aber ich möchte gerade einfach nur mit Clara reden. Durch ihre diplomatische Art hat sie mir schon bei vielen Problemen geholfen. Laina kann mir im Moment sowieso gestohlen bleiben. Sie hätte mir das mit Emmy einfach sagen müssen, das ist der schwesterliche Kodex.

Clara betritt das Zimmer und sieht mich freundlich an. "Ja, Prinzessin?", fragt sie und bleibt im Zimmer stehen. Als Dienerin würde sie es sich niemals erlauben, sich irgendwo hinzusetzen.

Ich lasse mich theatralisch aufs Bett fallen. "Hey, Clara...", sage ich leise, um ihre volle Aufmerksamkeit zu bekommen. "Alles in Ordnung?", will sie wissen und beginnt, meine Schuluniform vom Boden aufzusammeln.

Eine Zwangsstörung von ihr. Sie muss immer, wenn sie mit mir redet, irgendetwas zu tun haben, sonst fühlt sie sich unbehaglich. Ich grinse, was mir allerdings sofort wieder vergeht, als ich an mein Problem denke.

"Erinnerst du dich an den Brief, den ich dir gestern gezeigt habe?", frage ich und nehme ein Kissen auf den Schoß, an dessen Trotteln ich nun gedankenverloren herumspiele.

Clara schnaubt verächtlich und streicht den Rock glatt, den sie gerade in der Hand hat. "Sie meinen den Brief, dessen Einzelteile Sie im ganzen Zimmer verstreut haben? Den Brief, den ich dann wieder zusammen kleben durfte?", fragt sie, aber ich kann sehen, dass sie kichert.

"Ja, den Brief. Darin stand doch etwas vom Grafen von Gillingham, oder?", rede ich weiter, obwohl ich die Antwort natürlich schon kenne. "Sicherlich", murmelt sie und hängt meine Bluse in den Schrank. "Und dessen Tochter ist jetzt meine Tanzlehrerin!", platze ich mit der großen Neuigkeit heraus.

Jetzt dreht sie sich überrascht um und lässt sogar den Bügel für mein Jackett fallen. "Was? Wirklich?", will sie ungläubig wissen. Ich nicke betreten. "Und hast du mit ihr geredet?", fragt sie nun. Ich schüttele den Kopf und sehe sie empört an. "Das kann ich doch nicht einfach machen!", rufe ich. "Hey, Abby! Na, wie gehts dir? Weißt du, du ziehst ja bald bei einem gewissen Jon ein, oder? Nur, dass du es weißt: Als wir sieben waren, haben wir uns verlobt, also lass gefälligst die Finger von ihm, okay?", imitiere ich ein Gespräch mit ihr.

Ich bin mittlerweile so aufgebracht, dass ich aufgeregt im Zimmer umherlaufe. Clara allerdings bleibt seelenruhig und lacht nur über meine schauspielerische Darbietung. "Sie sollten mit ihr reden. Da Sie dies anscheinend nicht mit Jon tun können, könnten Sie dieses Mädchen fragen, ob sie wüsste, warum er sich so dämlich verhält!", schlägt sie vor.

"Das geht doch nicht", murmele ich und sehe auf meine Schuhe. Dabei weiß ich ganz genau, dass es geht und Clara recht hat. Wie immer.

"Sie könnten es ja wenigstens versuchen. So, wie es aussieht, ist das momentan Ihre einzige Chance", meint sie und geht zur Tür.

"Ich bin hier fertig. Falls Sie noch etwas brauchen, ich bin immer zu Diensten", erklärt sie. Und mit diesen Worten ist sie endgültig verschwunden.

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