Kapitel 12

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14 November, 1955

Er trifft sich jetzt immer mit diesen Leuten. Es sind sechs andere, mit ihm zusammen sieben. Er erzählt mir nichts mehr und ich habe Angst, zu fragen. Ich meine: Ich habe ihn in die Irrenanstalt überwiesen. Wer weiß, wozu er fähig ist.

J. B.

Heute

Ich sitze an meinem Schreibtisch und klappe das Lateinbuch zu. Warum ist das nur ein Pflichtfach? Ari durfte, was das angeht, wenigstens wählen zwischen Latein, Französisch und Spanisch. Aber nein, die Adeligen müssen natürlich alles machen.

Ich lehne mich zurück und entspanne mich für einen Moment, bevor ich mit Chemie anfange. Da klopft es plötzlich an der Tür.

"Ja?", rufe ich genervt. Ich sitze immerhin schon fast zwei Stunden an den Hausaufgaben und muss auch noch für einen Englisch-Test büffeln. Da wird mal ja wohl mal ein bisschen genervt sein dürfen.

Die Tür öffnet sich und Laina kommt herein. Sie sieht irgendwie zerknirscht aus, aber es ist mir egal. Ich verdrehe die Augen und hole, ohne sie zu beachten, mein Chemiebuch aus dem Schrank und setze mich seelenruhig zurück auf meinen Schreibtischstuhl.

Sie seufzt. "Komm Nia, du kannst mich nicht ewig ignorieren! Ich weiß ja nichtmal, was ich falsch gemacht habe!", nörgelt sie und kommt an meinen Schreibtisch, damit ich ihr in die saphirblauen Augen sehen kann.

Ich denke allerdings gar nicht daran, sie zu beachten und hole nun auch mein Heft heraus. "Du weißt nicht, was du getan hast?", frage ich und lache bitter auf. "Tu nicht so, Laina. Du weißt es ganz genau."

"Was denn?!?", fragt sie jetzt lauter und ich werfe ihr einen wütenden Blick zu. Ihr Blick strahlt  Verwirrung, Trauer und Verletzung aus, aber das funktioniert bei mir nicht. Diesmal nicht. "Du hättest mir sagen müssen, dass Emmy bleibt! Du hast mich heute morgen voll ins offene Messer laufen lassen!", fahre ich sie an.

"Wie hätte ich dir denn was sagen können? Clara ist extra nochmal zu uns gekommen und hat gesagt, dass du deine Ruhe haben willst! Ich wollte dich doch nur nicht stören!", verteidigt sie sich und leider ist das, was sie sagt, sehr einleuchtend.

"Geh jetzt einfach", meine ich und widme mich wieder meinem Buch, allerdings nur, damit sie nicht sieht, wie rot ich werde. Warum sollte ich mich jetzt entschuldigen? Ich habe nichts falsch gemacht.

Sie schnaubt. "Aber sag später nicht, ich hätte es nicht versucht!", ruft sie und schlägt die Tür hinter sich zu.

Der ganze Raum ist still. Wahrscheinlich hat sie recht und ich hätte mich bei ihr entschuldigen sollen, aber ich gebe jetzt doch nicht kleinbei!

Es klopft erneut an der Tür. Ah, da kommt sie auch schon wieder angekrochen. "Hau ab, Laina!", rufe ich, doch als die Tür geöffnet wird, steht meine Mutter dahinter.

Sie sieht mich besorgt an. "Alles gut, Schatz? Hattest du Streit mit Laina?", fragt sie und ich verdrehe nur die Augen. Als ob es sie auch nur im geringsten interessieren würde. "Nein, Mom. Alles gut. Was gibt's?", will ich wissen und schiebe erneut meine Bücher zur Seite. Gott, ich werde damit wohl nie fertig!

Sie beginnt wieder, zu grinsen. "Du wirst nicht glauben, wer gerade angerufen hat!", meint sie geheimnisvoll, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken. "Ich platze vor Neugier, Mom", sage ich ironisch und lasse mich in meinem Schreibtischstuhl zurückfallen.

"Jon!", kreischt sie jetzt los,, aber mein Gesicht verzieht sich um keine Miene. "Was will der denn bitte?!?", frage ich genervt. Ich habe momentan einfach genug von ihm.

"Freust du dich nicht? Ihr wart doch mal so gut befreundet!", will sie wissen, aber ich schweige.

Sie fasst sich wieder und räuspert sich. "Naja, jedenfalls hat er gefragt, ob er für 12 Wochen hier wohnen darf und ich habe 'Ja' gesagt! Ich dachte, du würdest überglücklich im Zimmer herumspringen, aber dann eben nicht. Ich habe ja nur versucht, dich glücklich zu machen", erklärt sie beleidigt und verlässt den Raum.

Ich starre ihr fassungslos hinterher.

Das. Hat. Sie. Nicht. Getan!!!!

Sie hat Jon eine Zusage gegeben? Wie konnte sie nur? Wahrscheinlich hat sie ihm auch noch gesagt, dass ich mich freue, ihn zu sehen.

Ich sinke auf mein Bett. Ich weiß, dieses Verhalten ist total kindisch und albern, aber Jon bedeutet mir eben viel.

Beziehungsweise: Er hat mir viel bedeutet.

Denn mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich ihn kenne.

Oder ob ich ihn jemals gekannt habe.

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