Zweiundsechzig

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Jetzt

Rio

Clay grinst mich an, macht jedoch keine Anstalten, mir die Schlüssel abzunehmen.

„Das war ein spannendes Rennen," sagt er und betrachtet mich anerkennend. „So nahe ist Damien noch niemand gekommen. Du scheinst ein Naturtalent zu sein und ich möchte dir gerne einen Vorschlag machen." Misstrauisch beäuge ich ihn und warte, dass er fortfährt. „Du kannst den Porsche behalten, wenn du dich verpflichtest, ein paar Rennen für mich zu fahren. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Fahrern." Dann wirft er Damien einen säuerlichen Seitenblick zu. „Gegen meinen Champion will ja niemand mehr antreten. Er hat noch nie verloren."

Mein Blick schweift von Clay zu Damien und wieder zurück. Interessieren würde es mich schon und der Porsche ist mir in dieser kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Rasch werfe ich einen Blick über die Schulter zu Diego, doch der ist wieder mit diesem grossen, braunhaarigen Mann beschäftigt, den ich schon irgendwo einmal gesehen habe. Schulterzuckend drehe ich mich wieder um und gebe Clay mein Einverständnis. Dieser stößt einen Freudenschrei aus und klopft mir auf die Schulter.

„Super! Ich gebe dir Bescheid, sobald ich ein Rennen organisiert habe. Das wird ein Spass!" Damit zieht er auch schon sein Handy aus der Tasche und fängt an, wie wild darauf herumzutippen. Kopfschüttelnd schaue ich ihm nach und will mich auch schon umdrehen, um zu Diego zu gehen, als ich hart am Arm gepackt werde. Überrascht schaue ich auf, direkt in Damiens hasserfüllte Augen.

„Du weißt hoffentlich, dass du für Clay nur Kanonenfutter bist?" Zischt er mir ins Ohr.

„Was soll das heißen?" Frage ich erstaunt.

„Er lässt dich ein paar Mal gegen schwache Gegner gewinnen, um dir dann zu befehlen, das nächste Mal zu verlieren. So treibt er die Wetten in die Höhe, um mehr Gewinn zu machen. Du bist nichts weiter als eine Marionette in diesem Spiel." Mit diesen Worten lässt er mich stehen und schlendert zu Clay, der immer noch mit seinem Handy beschäftigt ist.

Nachdenklich schaue ich mich um. Will ich das wirklich? Will ich wirklich so ein Leben führen? Damien hat eigentlich recht. Ich bin nichts weiter als eine Marionette in einem Spiel, das ich nicht verstehe. Ich werde von Diego benutzt und herumgeschupst und jetzt auch noch von Clay...

Tief in Gedanken versunken gehe ich zu meinem Porsche und lehne mich an die noch warme Motorhaube. Wie soll es nur weitergehen?

Früher

Rio

Die nächsten zwei Jahre verliefen auf der Farm ruhig und ohne große Zwischenfälle. Joe und Dora Carter hatten sich tatsächlich soweit gewandelt, dass das Zusammenleben erträglich war. Fort war der Lederriemen im Büro und und der Kochlöffel in der Küche wurde ausschließlich nur noch zum Kochen verwendet. Miss Duncan verbrachte viel Zeit mit den Kindern, um ihnen alles Mögliche beizubringen, was sie in ihrem späteren Leben sicher noch gebrauchen könnten. Während Rio sehr gerne in den Unterricht ging, fiel es Max zunehmend schwerer, auf seinem Platz sitzen zu bleiben und sich zu konzentrieren. Gab es doch auf der Farm immer so viel zu tun, dass die Unterrichtsstunden für ihn nur verschwendete Zeit waren. Schließlich war er jetzt zwanzig und wusste selbst, was gut für ihn war. Außerdem war er mit Leib und Seele Farmer, während es für Rio klar war, dass es ausserhalb der Farm noch eine grosse, weite Welt gab. Er sog alles, was Miss Duncan von sich gab, regelrecht in sich auf und bombardierte sie mit Fragen. Während die zwei älteren Mädchen Tessa und Charlotte sich auch lieber über die Modehefte hermachten, die Emilie regelmäßig mitbrachte, war auch Maria eine interessierte Zuhörerin. Obschon sie fünf Jahre Jünger als Rio war, nahmen sie gelegentlich schon denselben Stoff durch, vor allem, wenn es sich um Geschichte und um vergangene Weltereignisse drehte. Sie war intelligent und hatte eine rasche Auffassungsgabe und Rio war sie sehr ans Herz gewachsen.

Plötzlich platzte Max in die Unterrichtsstunde. Atemlos und aufgeregt.

„Das erste Fohlen ist im Anmarsch," rief er in die Runde und schon war er wieder weg. Alle sprangen gleichzeitig auf und waren nicht mehr zu halten. Das erste Fohlen im Frühling war immer ein Großereignis. Egal, wie oft man das Wunder der Geburt zu sehen bekam, man kam immer wieder ins Staunen.

Rio - from the beginning Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt