Zweiundsiebzig

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Früher

Max

Voller Panik versuchte Max, sich zu befreien und aus dem Fahrzeug abzuspringen. Doch irgendwie hatte sich sein Fuß unter dem Gaspedal verklemmt und er kam nicht hoch. Sein Herz raste und seine Kehle war wie zugeschnürt. Noch immer zerrte er an seinem Bein, doch schon war es zu spät. Der Traktor neigte sich immer weiter zur Seite und fiel mit einem lauten Krachen um. Max wurde herausgeschleudert und der Traktor, der nicht zum Stillstand gekommen war, rutschte immer weiter auf ihn zu. Max sah nur noch das große Rad, das sich seitwärts in rasantem Tempo auf ihn zubewegte. Dann fühlte er, wie ihn das Gewicht des Fahrzeuges in den weichen Boden drückte und ein unglaublicher Schmerz in seiner Brust explodierte. Zum Glück verfing sich der Traktor in diesem Moment in den großen Büschen, die als Abgrenzung auf der Weide standen und kam endlich zum Stillstand. Max lag halb begraben unter dem Rad und kniff vor Schmerz die Augen zusammen. Wie hatte es nur soweit kommen können? Das alles war so schnell passiert... Das Gewicht des Traktors drückte unbarmherzig auf ihn nieder und als er es nicht mehr aushielt, schrie er seinen Schmerz laut hinaus. Doch natürlich hörte ihn niemand, die Weide war zu weit von der Farm entfernt. Nun konnte er nur noch hoffen, dass ihn möglichst bald jemand vermissen würde. Sein letzter Gedanke galt Rio, bevor er das Bewusstsein verlor...

Rio

Im Laufschritt bewegte er sich durch den Wald, hinter dem die Weide lag. Ein bleischweres Gewicht lag auf seiner Brust, so dass er kaum mehr atmen konnte. Die Panik drohte, ihn zu überwältigen. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Er wusste es einfach! Weshalb sonst war Max noch nicht zurückgekehrt?

Als er die letzten Bäume erreichte, ging die Sonne gerade unter. Der Himmel bot ein wunderschönes Farbspiel von einem leuchtenden Orange bis zu einem satten Rot. Rio jedoch hatte keine Augen für dieses Naturschauspiel, mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Weide nach dem Traktor ab. Da! Etwas weiter unten sah er ihn auf der Seite liegen. Sein Herz blieb fast stehen bei dem Anblick. Wo war Max? Er konnte ihn nicht sehen. So schnell er konnte, rannte er hinunter und umrundete den Traktor. Da sah er ihn. Halb begraben unter dem riesigen Rad des Traktors. Schlitternd kam Rio zum Stehen und wusste im Moment nicht, was er machen sollte. Zu furchtbar war der Anblick, der sich ihm bot.

Da hörte er ein leises Stöhnen, das ihn aus seiner Erstarrung riss. Mit ein paar Schritten war er bei Max und kniete sich neben ihn hin.

„Max! Max!" Rief er immer wieder. „Max, bitte halte durch, ich hole Hilfe." Er wollte schon wieder aufspringen, als Max seine Augen aufschlug.

„Rio, du bist gekommen... bitte bleib bei mir." Es war nur ein Flüstern, aber Rio rutschte sofort näher und streichelte Max behutsam über den Kopf.

„Max, ich muss Hilfe holen. Wir müssen den Traktor von dir runter ziehen." Inzwischen liefen Rio die Tränen über die Wangen. Ungeduldig wischte er sie weg.

„Nein, Rio. Bitte geh nicht weg. Lass mich nicht alleine hier zurück."

„Es wird alles wieder gut, Max. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert. Wir haben doch noch unser ganzes Leben vor uns. Wie haben so große Pläne." Mit neuer Energie stand Rio auf und fasste das Rad mit beiden Händen. Vielleicht konnte er den Traktor ja ein ganz klein wenig bewegen, so dass er Max darunter hervorziehen konnte. Doch der Traktor bewegte sich keinen Millimeter, so sehr Rio auch zog und zerrte. Das konnte doch nicht wahr sein. Es musste doch eine Möglichkeit geben. Der Boden war sehr weich, vielleicht wäre es möglich, die Erde soweit unter Max wegzuschaufeln, um ihn so frei zu bekommen. Sofort machte sich Rio ans Werk, doch er hatte nichts weiter als seine Hände. Fieberhaft grub er immer weiter, bis seine Fingernägel abbrachen und die Hände blutig waren. Ein weiteres Stöhnen von Max ließ ihn innehalten.

„Rio? Bist du noch da?" Sofort rutschte Rio wieder näher zu Max und nahm behutsam dessen Kopf in den Schoss.

„Natürlich Max. Ich würde dich nie verlassen!"

„Rio, ich spüre meine Beine nicht mehr..." Tränen rannen Max über das Gesicht und Rio wischte sie behutsam mit seinem Hemdsärmel weg. "Nur ruhig Max, gleich werden sie merken, dass etwas nicht stimmt und werden uns zu Hilfe kommen. Es wird alles wieder gut."

Als Max die Augen schloss, geriet Rio wieder in Panik. „Nein, Max, nicht einschlafen. Bitte bleib wach. Bleib bei mir!"

„Ich bin so müde," flüsterte Max. Noch einmal schlug er die Augen auf und betrachtete Rio.

„Bitte Rio, nicht weinen..." Max Stimme wurde immer leiser. „Du schaffst das auch ohne mich. Du bist stark. Versprich mir, dass du immer deinen Träumen folgst. Ich liebe dich so sehr. Doch jetzt musst du mich loslassen. Ich kann nicht mehr, Rio."

„Nein Max. Ich kann nicht leben ohne dich. Ohne dich bin ich verloren. Ich weiss nicht wohin. Du warst immer mein Anker, mein Beschützer. Was soll ich nur ohne dich tun?" Rio zerriss es das Herz, Max so zu sehen.

„Folge deinem Herzen Rio. Du hast ein gutes, starkes Herz. Denk immer daran, dass es Menschen gibt, die dich lieben. Finn und Emilie... vertraue ihnen. Lass dir von ihnen helfen."

„Rio, ich liebe dich so sehr..."

„Ich liebe dich auch, Max."

Und in dem Moment, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, machte Max seinen letzten Atemzug...

Max...

Rio - from the beginning Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt