Vierundfünfzig

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Früher

Emilie

„Liebling?" Emilie sass an ihrem Schreibtisch in dem Büro zu Hause, das sie mit Finn teilte und schaute nachdenklich zu ihm rüber.

„Hmm?" Machte Finn nur, ohne überhaupt von seinen Papieren aufzusehen.

„Finn!" Sagte sie etwas schärfer, als er keine Anstalten machte, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken.

„Ja, was ist denn mein Engel?" Schreckte er hoch und sah sie an.

„Ich habe ein Problem und komme damit nicht weiter. Es geht um Max und Rio..." Jetzt hatte sie endlich seine volle Aufmerksamkeit.

„Was ist mit den Beiden? Geht es ihnen nicht gut?"

„Doch, als ich das letzte Mal auf der Farm war, ging es ihnen sehr gut. Beide arbeiten viel und Miss Duncan sagt, dass sich auch ihre schulischen Leistungen stark verbessert haben. Rio habe ihr außerdem ein Lied vorgesungen und sich dabei selber mit der Gitarre begleitet." Fügte sie stolz hinzu. Finn betrachtete sie amüsiert. Immer, wenn die Sprache auf die Kinder kam, fing Emilie an zu leuchten. Sie berichtete ihm jedes Mal haarklein, was sie alles bei ihrem allmonatlichen Besuch auf der Farm gemacht hatte, und welche Fortschritte die Kinder machten.

„Was ist denn nun mit Max und Rio?" Fragte er, bevor sie wieder abschweifen konnte.

„Die zwei mögen sich..." Sagte sie dann, was bei ihm ein Stirnrunzeln hervorrief.

„Ich weiss, sie sind wie Brüder."

„Ja, das auch, aber sie mögen sich wirklich sehr..." Versuchte es Emilie noch einmal. Und dann dämmerte Finn endlich, was Emilie ihm sagen wollte.

„Du meinst... die zwei... mögen sich auf eine andere Art, als sich Brüder sonst so mögen?"

„Genau das meine ich."

Finn lachte kurz auf. Das hörte sich total absurd an. Die Zwei hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Man traf sie fast nie einzeln an, aber das hieß doch noch lange nicht, dass sie schwul waren. Denn genau auf das wollte Emilie doch hinaus.

„Wie kommst du denn auf die Idee?"

„Ich habe das im Gefühl. Sie beobachten einander immer, wenn sie denken, der Andere merkt es nicht. Sie berühren sich häufig, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ich weiss, Rio ist erst zwölf, aber er ist körperlich und auch geistig seinem Alter weit voraus. Und Max ist schon siebzehn..."

„Und was gedenkst du jetzt zu tun? Du willst doch nicht etwa, dass ich mit ihnen rede?" Finn machte große Augen. Das wäre echt das Letzte, was er machen möchte.

„Nein, mein Liebling," beruhigte sie ihn sogleich, "aber ich werde mit Max reden. Er ist schließlich der Ältere. Bei Rio muss ich etwas vorsichtiger sein. Ich weiss nicht, ob er überhaupt weiss, was da in seinem Körper vorgeht und wie er seine Gefühle einzuordnen hat."

„Willst du den Dingen nicht einfach seinen Lauf lassen? Schließlich wachsen die Zwei auf einer Farm auf und wissen, woher die kleinen Pferdchen kommen und wie sie gemacht werden."

Emilie schnaubte empört. „Typisch Mann. Du denkst nicht bis vor die Nasenspitze. Du weißt ja auch, bei wem sie aufgewachsen sind. Was denkst du, haben sie ihr Leben lang von den Carters gepredigt bekommen? Sicher nicht, dass gleichgeschlechtliche Liebe von Gott gesegnet wird. Nein, ich muss unbedingt mit Max reden. Das werde ich gleich das nächste Mal tun, wenn ich auf die Farm gehe!" Damit schien das beschlossene Sache zu sein und beide wandten sich wieder ihren jeweiligen Arbeiten zu.

Rio

Wie jeden Abend sassen Rio und Max auf ihren Betten und unterhielten sich leise. Rio hatte die Gitarre auf den Knien und zeigte Max die neuen Griffe, die er gelernt hatte, währenddem Max ihm hin und wieder lustige Passagen aus dem Buch vorlas, das er gerade in der Hand hielt. Doch plötzlich hielt Rio inne und schaute ihn aufmerksam an.

„Max, du wirst doch nächstes Jahr achtzehn?!" Das war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Max runzelte die Stirn.

„Ja, und?"

„Dann ist es doch so, dass du von hier weggehen könntest..."

„Das könnte ich, doch das werde ich nicht, das weisst du doch. Das haben wir doch schon besprochen und Miss Duncan und die Carters sind einverstanden, dass ich weiterhin auf der Farm arbeite. Wo sollte ich sonst auch hin? Ich kenne nichts Anderes... außerdem wirst du die nächsten fünf Jahre auch noch hierbleiben müssen."

„Ja, klar. Aber möchtest du nicht auch mal etwas Anderes von der Welt sehen?" Fragte da Rio. „Ich möchte nicht, dass du nur meinetwegen hier bleibst und dann irgendwann das Gefühl hast, etwas verpasst zu haben..."

Max setzte sich auf und rückte etwas näher zu Rio.

„Rio, ich werde dich hier nicht zurücklassen." Rio wollte schon etwas darauf erwidern, als Max ihm sogleich das Wort abschnitt. „Nein, Rio! Ich werde nicht ohne dich hier weggehen! Damit ist Schluss mit dieser Diskussion!"

Rio - from the beginning Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt