Siebenunddreissig

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Früher

Rio

Wie immer fuhr am Morgen der Bus mit den herausgeputzten Kindern vor und wenig später kamen die potenziellen Eltern angebraust. Dieses Mal waren es fünf Paare, die auf ein geeignetes Kind hofften. Rio beobachtete das Ganze wieder von der Scheune aus, hinter der er sich mit Max im Schatten versteckte. Als das letzte Paar auf den Hof fuhr und ausstieg, schnappte Rio erstaunt nach Luft.

Der Mann war ein Riese!

Obschon er noch recht jung wirkte, überragte er alle Anwesenden. Außerdem hatte er eine Statur wie ein Wikinger. Blonde Haare und eisblaue Augen rundeten das Bild noch ab. Trotz seiner Größe bewegte er sich leichtfüßig und half der Frau, die mit ihm gekommen war, galant aus dem Wagen. Auch sie war eine Erscheinung! Sehr groß für eine Frau, mit langen Beinen und fraulichen Kurven, passte sie perfekt zu ihrem Begleiter. Bei genauerem Hinsehen sah man, dass sie vermutlich etwas älter als der Mann war, doch sicher war sie nicht älter als dreissig. Ihr hüftlanges, schwarzes Haar hatte sie zu einem bequemen Pferdeschwanz zusammengefasst und auch sonst waren sie sehr leger gekleidet.

Als Max und Rio sahen, dass Joe und Dora aus dem Haus kamen, um die Gäste zu begrüssen, war das ihr Zeichen, um auch aktiv zu werden. Schnell rannten sie in die Scheuen, um Getränke auf Tabletts zu stellen, die sie dann den Leuten servieren würden.

Währenddessen beschnupperten sich schon mal die Waisen und die Erwachsenen und begannen erste, noch etwas zögerliche Gespräche.

Als Rio mit seinen Getränken bei dem großen Mann angekommen war, musste er seinen Kopf weit in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können. Meistens nahmen sich die Erwachsenen einfach etwas zu trinken, ohne die Kinder, die die Tabletts hielten, überhaupt zu beachten, da sie wussten, dass diese Kinder auf die Farm gehörten und nicht zur Adoption freistanden. Doch nicht dieses Paar. Eingehend wurde Rio betrachtet und als er die Frau von Nahem sah, konnte er erstmals ihre wunderschönen, bernsteinfarbenen Augen sehen. Die Augen einer Löwin, dachte Rio sofort, obschon er bisher nur Bilder dieser Tiere gesehen hatte. Vorsichtig nahm der Mann zwei Gläser von dem Tablett und reichte eines davon weiter an die Frau.

„Ich bin Finn McGraw und das ist meine Lebenspartnerin Emilie Dupre." Im ersten Moment war Rio etwas perplex, weil sich ihm noch nie jemand bei diesen Parties vorgestellt hatte. Doch dann besann er sich auf das oberste Gebot bei diesen Events, das ihnen Joe eingebläut hatte: Seid immer freundlich und lächelt, egal was passiert. Also machte er eine kleine Verbeugung, wobei die Gläser etwas ins Rutschen kamen. Schnell hielt er das Tablett wieder gerade, bevor ein Unglück geschehen konnte und nannte schüchtern seinen Namen.

„Hallo Rio, freut mich, dich kennenzulernen," sagte Finn und zwinkerte ihm freundlich zu. „Lebst du schon lange auf der Farm?"

„Ich bin jetzt seit vier Jahren hier," und weil in dem Moment Joe in der Nähe vorbei ging, fügte er noch schnell hinzu: „Und es gefällt mir sehr gut."

Misstrauisch hatte Joe die Szene von Weitem verfolgt und als er näher kam, bekam er gerade noch Rios letzten Satz mit. Na also, dachte er, hatte seine „Erziehung" doch etwas gebracht bei dem rebellischen Jungen. Manchmal hatte er schon befürchtet, dass es Rio nie lernen würde, sich angemessen zu benehmen. Doch es missfiel ihm, dass sich Rio mit diesen Leuten so lange unterhielt. Also trat er dazu und legte ihm einen Arm um die Schulter, was den Jungen automatisch zusammenzucken liess, was wiederum die Gläser ein zweites Mal bedenklich ins Wanken brachte. Doch auch dieses Mal konnte Rio sie auffangen und versuchte, sich dann nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn die Berührung des Mannes erschreckte und anwiderte.

Finn

„Na, hat ihnen unser Rio ein wenig von seinem wunderschönen Zuhause erzählt?" Fragte Joe das Paar mit seinem breitesten Lächeln. Erstaunt hatte Finn die Szene beobachtet und hatte natürlich Rios Reaktion auf Joe genau gesehen, obschon der Junge sich sehr schnell wieder zusammengerissen hatte. Der Mann, er hatte sich als Joe Carter vorgestellt, den Besitzer der Farm, wurde Finn von Sekunde zu Sekunde unsympathischer. Er hatte dem Jungen den Arm so fest um die Schulter gelegt, dass dieser sich vorkommen musste, wie in einem Schraubstock.

„Ja, Rio hat uns gerade erzählt, wie sehr es ihm hier gefällt." Antwortete Finn nun auf Joes Frage. Da mischte sich plötzlich Emilie ein, die bis dahin noch kein Wort gesagt hatte. „Mister Carter, ich würde liebend gerne ihre süßen Kühe aus der Nähe sehen. Wären sie vielleicht so nett, sie mir zu zeigen?"

Beim Anblick der wunderschönen Frau, die ihn jetzt auch noch mit einem Blick ansah, als wäre er der einzige Mann auf dieser Welt, verschlug es Joe kurzfristig die Sprache. Dann kam aber wieder Leben in ihn. „Nennen sie mich doch Joe," stieß er hervor und leckte sich nervös über die Lippen. Dann bot er ihr galant seinen Arm an. „Sehr gerne zeige ich ihnen alles höchstpersönlich." Emilie hackte sich bei ihm ein und ließ sich fortziehen, jedoch nicht ohne noch schnell einen Blick zurück auf Finn zu werfen und ihm zuzuzwinkern.

Amüsiert lächelte Finn in sich hinein. Seine Emilie hatte wieder einmal schnell reagiert und dafür gesorgt, dass er mit dem schwarzhaarigen Jungen ein paar Minuten alleine sein konnte. So konnte er vielleicht seine Mission doch noch erfüllen.

Finn und Emilie sind da!!
Was sie wohl für eine Mission haben?

Rio - from the beginning Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt