Siebzig

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Früher

Rio

Es ging langsam gegen den Herbst und die Blätter fingen schon an, sich zu verfärben. Rio lag unter einem Baum am Fluss und hing seinen Gedanken nach. Morgen war sein sechzehnter Geburtstag. Oder auf jeden Fall war morgen das Datum, das Maria als sein Geburtsdatum bestimmt hatte. Gleich bei ihrer Ankunft hatte sie alle reihum nach ihren Geburtstagen gefragt und als Rio nur die Schultern zuckte und sagte, er wisse nicht genau, wann er geboren worden war, war sie so empört, dass sie sofort ein Datum für ihn festgelegt hatte. Der sechzehnte August sollte es sein. Das sei ein guter Tag, meinte sie. Warum auch immer...

Rio versuchte, Gleichgültigkeit vorzutäuschen, doch in seinem Inneren fühlte er plötzlich eine Wärme aufsteigen, die er so noch nicht gekannt hatte. Er hatte ein Geburtsdatum! Es fühlte sich komisch an. Aber angenehm komisch und von diesem Zeitpunkt an wurde er an diesem Tag gefeiert.

Nun ging es nur noch zwei Jahre, bis er und Max hier endlich wegkonnten. Auch Max hatte sich mit der Idee angefreundet, zuerst ein Jahr in der Stadt zu verbringen, bevor sie wieder aufs Land zurückkehren würden, um ihren Traum einer gemeinsamen Farm zu verwirklichen. Es hatte einiges an Überredungskunst gebraucht, doch schlussendlich hatte ihn ein Ausflug in das Stadthaus von Emilie und Finn überzeugt, dass es durchaus auch in der Stadt schöne Fleckchen geben würde. Rio seufzte tief. Eigentlich war das Leben ganz okay so, wie es im Moment war. Und zum ersten Mal sah auch die Zukunft nicht mehr so düster aus.

Nach ein paar Minuten erhob sich Rio wieder, die Sonne stand schon tief und er wurde sicher im Stall erwartet. Max wollte noch schnell mit dem kleinen Traktor das Heu auf der abschüssigen Weide zusammensammeln, da für Morgen Regen angekündigt war. Rio wollte ihm das eigentlich abnehmen, aber Max bestand immer darauf, das auf dieser Weide selbst zu machen. Sie war etwas steil und man musste sehr vorsichtig fahren, damit der Traktor nicht etwa ins Kippen geriet.

Langsam schlenderte Rio durch den Wald und genoss die frische Herbstluft. Die Tage wurden schon etwas kühler, doch das machte ihm nichts aus. Wie der Sommer seine schönen Seiten hatte, war auch der Herbst mit den bunten Bäumen und dem herabfallenden Laub eine wunderschöne Jahreszeit.

Beim Stall war Tessa schon am Futter vorbereiten und Rio ging ihr schnell zur Hand. Die Pferde waren unruhig und erwarteten ihr Fressen. Hier schlug eines an die Wand, dort war ein ungeduldiges Wiehern zu hören. Schnell verteilten sie als Erstes das Heu und sofort kehrte Ruhe ein und man hörte nur noch das eifrige Kauen der Pferde. Danach wurde das Kraftfutter verteilt, bevor es dann ans Misten ging. Schweigend arbeiteten Rio und Tessa nebeneinander her, ein eingespieltes Team, wie schon so oft.

Die plötzliche Unruhe, die Rio überkam, konnte er sich zuerst nicht erklären. Immer wieder schaute er aus dem Fenster und sah, wie die Sonne langsam unterging. Was war es nur, das seinen Körper buchstäblich vibrieren ließ vor Anspannung?

Als er eine weitere Schubkarre mit Mist hinausfuhr, wusste er plötzlich, was nicht stimmte. Der Traktor fehlte immer noch! Der kleine Traktor mit Anhänger, mit dem Max vor über drei Stunden losgefahren war, um auf der abschüssigen Weide das Heu einzusammeln. So lange konnte er doch nicht gebraucht haben für das bisschen Heu... Mit einer bösen Vorahnung im Herzen besprach er seine Beobachtung mit Tessa und dann machte sich Rio schnell auf den Weg, um nach Max zu schauen..

Jetzt

Rio

Schon über eine Woche liege ich jetzt im Krankenhaus. Seit drei Tagen bei vollem Bewusstsein, doch noch immer will mir niemand sagen, was aus Diego und Damien und auch aus Clay geworden ist. Langsam verliere ich die Geduld. Meine Rippen schmerzen immer noch bei jedem Atemzug. Ich habe mir zwei davon gebrochen, als mein Porsche auf der Böschung zum Seen von einem Baum abrupt gestoppt worden war. Wir hatten unglaubliches Glück, dass wir nicht in den See gefallen waren. Außerdem habe ich mir den Kopf gestoßen und immer noch eine leichte Gehirnerschütterung, so dass ich noch nicht aufstehen darf. Das Herumliegen macht mich fast wahnsinnig und Finn und Emilie, die mich jeden Tag besuchen kommen, haben es nicht leicht mit mir.

Als mich Rettungskräfte aus dem Wrack meines Porsches geborgen hatten, haben sie als Erstes meine Taschen durchsucht und dabei wohl Finns Karte in meinem Geldbeutel gefunden. Ich habe sie die ganzen drei Jahre immer mit mir herumgetragen... immer wieder betrachtet und es gab mehr als einen Augenblick, wo ich versucht war, die Nummer auf der Karte zu wählen...

Da das der einzige Anhaltspunkt für meine Identität war, haben sie Finn angerufen. Und er und Emilie sind, nachdem ich ihnen beschrieben worden war, so schnell wie möglich ins Krankenhaus an meine Seite geeilt und haben mich identifiziert und alles Menschenmögliche für mich veranlasst.

Wofür ich ihnen natürlich dankbar bin. Ich habe mich auch unsagbar gefreut, sie zu sehen, doch nun ist meine Geduld zu Ende. Ich will Antworten!

Rio - from the beginning Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt