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Am Freitag stand ich pünktlich, um 17:30 Uhr vor der Ebenholz-farbenen Wohnungstür von Herrn Harly.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich fühlte mich wie vor einem Ballettauftritt oder bevor ich eine Arbeit in Mathe wiederbekam.

Wie ich dieses Gefühl hasste. Eigentlich gab es ja keinen Anlass so aufgeregt zu sein. Ich war eine schlechte Schülerin in Mathe und ich bekam Nachhilfe.
Es war Herrn Harly also klar, dass ich kaum eine seiner Fragen richtig beantworten könnte.

Dennoch fühlte ich mich vorgeführt. Als hätte Herr Harly vorgeschlagen mir Nachhilfe zu geben, nur um mir wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass ich absolut unfähig bin. Denn genau das tat er liebend gerne. Und in dieser Hinsicht war er sehr kreativ.

Mal ließ er jemanden an die Tafel gehen und eine Aufgabe lösen lassen, die wir nie behandelt hatten.
Mal schrie er jemanden, der die Lösung einer Aufgabe nicht hatte an und sehr gerne verdrehte er auch unter lautem Gestöhne die Augen, wenn jemand sich meldete, weil er etwas nicht verstand.

Mit diesem Ungeheuer durfte ich heute also meinen Freitag Nachmittag verbringen, während meine Freunde die Beine lang machten oder sich auf eine Feier vorbereiteten.

Na super!

Ich richtete meine Kleidung und klopfte an die Tür. Keine zehn Sekunden später öffnete sie sich, ohne einen Mucks von sich zu geben.

Herr Harly lächelte und ich versuchte so schnell ich konnte, genauso motiviert zu schauen.

„Guten Tag Rose. Komm doch herein.", begrüßte mich Herr Harly, immer noch lächelnd.
Überrumpelt von so viel Freundlichkeit von Herrn Miesepeter trat ich unsicher in seine Wohnung.

Augenblicklich umhüllte mich der typische Vanille-Zitronen-Geruch und ich rümpfte unwillkürlich die Nase. Es war fast so, als würde mein Körper alles was mit Herrn Harly zu tun hatte, abwehren wollen.

Ich sah mich um.

Die Wohnung war modern. Hell und bequem. Wir standen im Flur, welcher mit einigen Bildern an den Wänden verziert war. Hauptsächlich waren es Landschaften. Hier und da einzelne Gebäude, aber kein Familienfoto oder ähnliches.

„Du brauchst deine Schuhe nicht auszuziehen.", meinte Herr Harly und ging an mir vorbei. Er deutete mir mitzukommen und so gelangten wir in ein großes Wohnzimmer.
Auch hier war es hell. Ich sah ein großes weißes Ledersofa und einen gigantischen Fernseher.

Es schien, als wäre die ganze Wohnung nur auf die Farben schwarz und weiß angepasst wurden. Aber es gefiel mir.

Herr Harly deutete auf einen Tisch in einer Ecke des Raumes.
Die Stühle hatten die Form von Quadern.
Ich wusste doch, dass es hier irgendwelche geometrischen Figuren gab!
Typisch Mathelehrer.

Auf dem Tisch befanden sich in einer schwarzen runden Schale Kekse und kleine Schokoladentafeln.
Das Gegenstück -eine weiße Schale- war mit Chips gefüllt.
Ich sah zusätzlich Wasser, Cola und Limonade.
Also gastfreundlich war Herr Harly schon.

„Ich wusste nicht genau, was du gerne isst und trinkst.
Du hast nie Wasser mit in der Schule, deshalb bin ich davon ausgegangen, dass du es nicht magst, aber dann sah ich, dass du beim Tanzen Wasser mithattest.
Das hat mich ganz schön verwirrt.", er lachte nervös und fuhr mit seinen Fingerkuppen über die -für einen Mann- gute geformten Augenbrauen.

„Ich mag Wasser nicht, aber unsere Ballettlehrerin möchte nicht, dass wir in ihrem Unterricht Säfte trinken. Sie meinte, die wären zu süß und würden unserem Körper schaden.
Ich bin davon überzeugt, dass sie einen Herzinfarkt erleiden würde, wenn sie auch nur das Wort „Cola" hören würde."

Herr Harly lachte schallend. Ich schreckte vor diesem lauten Geräusch zurück.
Auf so eine extreme Reaktion für so einen mittelmäßigen Witz meinerseits, war ich nicht vorbereitet.

„Ich werde mir deine Abneigung gegenüber Wasser merken.", meinte er und schaute auf meine Tasche in welcher meine Matheaufgaben gut verstaut waren.
Naja... eigentlich hatte ich sie nur mit aller Gewalt in die Tasche gequetscht.

„Wollen wir es anpacken? Gemeinsam?"

Unsicher nickte ich. Aus irgendeinem Grund fand ich den Satz merkwürdig.

The Guy who was my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt