In der Nacht träumte ich wieder von Herrn Harly. Überraschenderweise war er in diesem Traum kein Monster oder Vampir oder Hulk, wie man es nach diesem Tag vielleicht hätte erwarten können.
Ich erkannte die Straße, auf der wir uns befanden nur schwer wieder. Es war dieselbe wie in dem ersten Traum, den ich von meinem Lehrer gehabt hatte. Doch diesmal war es ein heller und freundlicher Tag.
Wir liefen nebeneinander her und schwiegen einige Zeit. Schließlich drehte er sich zu mir um und meinte: „Du hattest absolut recht. Ich habe mich furchtbar verhalten. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist."
Ich winkte ab. „Ist doch kein Problem. Hauptsache, du machst das nicht nochmal.", warum zum Teufel duzte ich ihn?„Ich tue es nie wieder. Versprochen! Für dich.", den letzten Satz flüsterte er.
Das gute an Träumen ist, dass sie nicht die Wirklichkeit sind und von daher hatte es keine weitreichenden Konsequenzen, dass ich nicht wusste, was ich antworten sollte.
Ich konnte es nicht fassen, dass ich Donnerstag tatsächlich wieder vor dieser verdammten Tür stand und darauf wartete, dass mein blöder, geisteskranker Lehrer sie aufmacht. Wie konnte ich bitte jetzt noch dorthin gehen müssen, nachdem er mich so angeschrien hatte? Ich hatte zwar meinen Eltern nichts davon erzählt, dennoch hatte ich gehofft, dass Herr Harly von selbst darauf kommen würde, dass die Nachhilfestunden nach dem, was passiert war, keinen Sinn mehr ergeben würden.
Ich verabscheute ihn mehr denn je und ich hatte noch schlimmere Angst vor ihm. Nichts würde dies ändern.
Ich blickte in ein ernstes Gesicht, als sich die Tür öffnete. Er sagte nichts. Ich sagte nichts. In die Stille der Wohnung drang ich ein und wollte das Wohnzimmer ansteuern.
„Warte, Rose.", er war bedacht seine Stimme ruhig zu halten, doch ich bemerkte das leichte Beben, welches die beiden Worte vibrieren ließ.
„Komm bitte mit.", wir gingen in die große Küche und ich setzte mich auf einen der Stühle.
„Warte hier", meinte er und verschwand. Ich sah mich nicht weiter in der Küche um. Ich war zu aufgeregt und gespannt und fragte mich, was nun folgen würde.
Einige Augenblicke später kam er mit einem Bild in der Hand zurück. Er zögerte erst, hielt es mir dann aber hin. Ich sah zu ihm herauf, konnte aber nichts aus seiner Miene lesen, weshalb ich schwer atmend auf das Bild sah.
Das Bild machte einen friedlichen Eindruck. Es war tatsächlich mehr als nur eine Landschaft zu sehen. Im Hintergrund war zwar ein Strand und ganz in der Ferne Berge zu erkennen, dennoch spielte sich die Handlung im Vordergrund ab.
Da waren eine Frau, ein Mann und ein Kind abgebildet. Der Vater trug das Kind in einer Hand und mit der anderen hielt er die Hand seiner Frau. Diese wiederrum küsste die Wange des kleinen Jungen. Die ganze Familie strahlte auf dem Bild und, obwohl er damals braun gebrannter war und seine Haare heller wirkten, erkannte ich Herrn Harly sofort wieder. Es war fast so als wäre der Mann auf dem Bild ein anderer Mensch. So freundlich grinsen, hatte ich Herrn Harly seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
„Es ist wunderschön"
Das war das Erste und Einzige, was mir dazu einfiel und was ich absolut ernst meinte.
Er lachte bitter auf.
„Es ist nur ein Bild, Rose."
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The Guy who was my Teacher
Teen Fiction„Seine Hände waren rau. Der typische Vanille-Zitronen-Geruch verfolgte ihn wie ein Schatten. Und wieder fragte ich mich: Was tat ich hier?" Rose ist eine durchschnittliche Schülerin, verliebt und überhaupt nicht an Mathe interessiert. Kein Wunder...