„Also. Erzähl mal. In welchem Bereich von Mathematik hast du die meisten Probleme?"
„Ähm...", ich wusste nicht, mit welchem ich anfangen sollte.
Herr Harly grinste. Er wusste genau, wo das Problem lag.
„In Ordnung. Anders. In welchen Bereichen hast du keine Probleme?"
„Ich schätze, Dreiecke und Funktionen verstehe ich eigentlich ganz gut.", ich fuhr mit dem Daumen und dem Zeigefinger meiner rechten Hand über den Nagel des Zeigefingers meiner linken Hand.
Die Situation begann unangenehm für mich zu werden.„Wie sieht es mit Stochastik aus?"
„Meinen Sie sowas wie Zufälle?"
„Ja genau."
Ich verzog eine Grimasse.
„Na da haben wir ja ein Thema, worüber wir reden können."Ganz ausführlich erklärte mir Herr Harly die Berechnungen. Langsam begann ich zu verstehen.
Nach einer halben Stunde sagte er: „In Ordnung. Bist du bereit für Anwendungsaufgaben?", ich nickte. Was blieb mir anderes übrig?Er gab mir einige Aufgabe und verschwand kurz.
Nach fünf Minuten kam er wieder. Er stellte sich hinter den Stuhl, auf welchem ich saß und betrachtete meine Lösungen.Plötzlich legte er eine Hand auf meine Schulter und ich schreckt kurz auf.
Mit einem Hüsteln versuchte ich meine Reaktion zu vertuschen.
Es erschien mir unangebracht so extrem zu reagieren.Herr Harly beugte sich zu mir runter und flüsterte: „Sehr gut. Mach weiter so.", in mein Ohr.
Ich nickte heftig, in der Hoffnung er würde -aus Angst unsere Köpfe würden zusammenstoßen- zurückschrecken.Doch er verharrte in seiner Position. Ganz nah bei mir, den Blick auf meinen Augen geheftet, mit einer Bestimmtheit, welche mich verzauberte aber gleichzeitig auch abschreckte.
Ich wollte diese Intimität nicht mehr, doch sie erschien mir auch zu wertvoll, um sie zu zerstören.Ich spürte seinen warmen, gleichmäßigen Atem auf meinem Nacken. Sekunden später bildete sich Gänsehaut auf dieser Stelle.
„Du weißt, dass ich nur das beste für dich will, Rose."
Es war kaum ein Hauchen aus dem Mund meines Lehrers zu vernehmen. Dennoch merkte ich, dass seine Stimme rauer war als sonst. Tiefer, bestimmter, sanfter.Ein Geräusch entsprang meiner Kehle, welches ich noch nie gehört hatte. Es war eine Mischung aus einem Fiepen und einem Wimmern.
Ich wusste zwar nicht, was Herr Harly mit dem letzten Satz meinte, aber irgendwas stimmte hier ganz gewaltig nicht.
Vielleicht war es nur Einbildung, aber für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass Herr Harly sich mir um einige Zentimeter näherte.Doch dann deutete er mit seinem Finger auf eine der Aufgaben und meinte, ohne mich aus den Augen zu lassen: „Schau dir diese Aufgabe nochmal an."
Dann stürmte er ohne Vorwarnung aus dem Zimmer.
Was war denn das?Verwirrt schaute ich auf die Knicke, die sich auf dem Blatt -durch Herrn Harlys Finger- gebildet hatten, an.
Ich atmete rasselnd aus. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.
Nach zehn Minuten kam Herr Harly zurück ins Zimmer. Seine Haare waren struppig und seine Wangen glühten.
„Die Stunde ist vorbei. Du kannst gehen."
„Und die Lösungen der Aufgaben?"
„Lass sie auf dem Tisch liegen. Ich kontrolliere sie und wir besprechen die Aufgaben nächste Woche."
„Ok.", ich wusste nicht, was ich noch sagen konnte, weshalb ich schnell meine Sachen zusammenpackte und meine Tasche auf meine Schultern warf.
Vom Wohnzimmer bis zur Eingangstür hatte ich das Gefühl, dass Herr Harly versuchte den Abstand zwischen uns beiden so groß wie möglich zu halten.
Was war denn auf einmal los?
„Bis nächste Woche.", mit diesen Worten schmiss Herr Harly die Tür zu und ließ mich im Treppenhaus stehen.
Verblüfft verharrte ich einige Minuten an derselben Stelle, bis ich einen lauten Schrei hörte. Vielleicht war es auch mehr ein Knurren, jedenfalls kam es aus Herr Harlys Wohnung.
Was war das denn?
Mit mindestens 100 Fragen im Kopf verließ ich das Haus.
Meine Mutter stand schon mit ihrem Auto vor der Tür. Mit einem Schwung warf ich mich in das Auto und berichtete ihr, wie toll die erste Nachhilfestunde gewesen war.Doch insgeheim hatte ich Angst vor der nächsten Stunde.
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The Guy who was my Teacher
Teen Fiction„Seine Hände waren rau. Der typische Vanille-Zitronen-Geruch verfolgte ihn wie ein Schatten. Und wieder fragte ich mich: Was tat ich hier?" Rose ist eine durchschnittliche Schülerin, verliebt und überhaupt nicht an Mathe interessiert. Kein Wunder...