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"Was haben Sie gerade gesagt?"

"Du hast mich schon verstanden! Was ist nur mit dir los? Du wirfst dich ihm an den Hals wie ein ordinäres Weib aus der Gosse! So kenne ich dich nicht. Ich hatte gedacht, dass du mehr Würde hättest."

"Ich glaube, Herr Harly, dass Sie zu persönlich werden und dass Sie mein Privatleben nichts zu interessieren hat. Des Weiterem lasse ich mich nicht von einer Person beleidigen, die mich absolut nicht kennt.", ich kochte vor Wut.

"Ich beleidige dich nicht. Ich berichte nur wie du dich momentan verhältst. Wenn du dies als Beleidigung siehst, dann liegt es an dir, das zu ändern."

Ich japste, schloss den Reißverschluss meines Ranzens, warf ihn über die Schulter und lief zur Tür. Das Gespräch war hiermit für mich beendet.

Für Herrn Harly anscheinend noch nicht.

"Ich möchte nur wissen, was deine Eltern davon halten würden, wenn ich ihnen von dem Gesehenen berichten würde."

Ich wusste genau, worauf er anspielen wollte.

"Keine Angst. Ich verpetze Sie nicht. Ich bin schon groß, wissen Sie?"

Ich funkelte ihn an. Seine Augen musterten mich von oben bis unten. Ich fühlte mich in dem Moment wie eine Schaufensterpuppe, wie ein Fernseher oder ein Bild. Aber kein Stück wie ein Lebewesen.

"Glaube mir. Das ist mir ziemlich bewusst.", flüsterte er. Auch wenn seine Stimme leise war und ich mich ein ganzes Stück entfernt von ihm befand, hörte ich jedes einzelne seiner Worte so klar als stünde er direkt neben mir.

Ich wich zurück und erreichte die Tür. Als ich auf dem Gang war, sprintete ich in Richtung Ausgang. Nur weg von diesem Menschen. Er, der so viele Gefühle in mir hervorrief, dass ich einfach nicht mehr wusste, wohin damit.

Da ich ziellos durch die Gänge unserer Schule lief, welche mir wie ein fremder Ort vorkam, war es kein Wunder, dass ich irgendwann jemanden traf, der mich ansprechen würde.

Es war Julian.

Erst sah ich ihn nicht, doch als er meinen Namen rief, zuckte ich zusammen.

Seine Stimme war erstaunlich sanft gewesen und mein Körper hatte sofort auf sie reagiert. Gänsehaut bildete sich auf meinem Nacken und aus irgendeinem Grund hatte mein Herz wohl Langeweile an dem gleichmäßigen Schlagen gehabt, denn nun schlug es mit rasender Geschwindigkeit in meinem Brustkorb.

Da ich solch eine Reaktion meines Körpers nicht erwartet hatte, musste ich einen Augenblick die Augen schließen und durchatmen, bevor ich „Ja?" antwortete.

„Wohin des Weges?"

Er sprach mit mir, als wären wir immer noch Freunde. Als hätte es diese Spannung zwischen uns die letzten Wochen nicht gegeben. Ich war perplex.

„Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich laufe nur so rum."

„Aha...ok."

Um meine seltsame Antwort zu kaschieren, fügte ich noch „Ich komme von Herrn Harly" hinzu.

„Kommst du jetzt besser mit ihm klar, durch die viele Zeit, die du mit ihm, durch die Nachhilfestunden verbringst?"

Fast hätte ich ihm die Wahrheit gesagt. Dass er mir Angst machte, dass ich mich unwohl fühlte und, wenn er mich musterte Einsamkeit spürte. Zusätzlich vermisste ich den Jungen, der mir gegenüber stand so furchtbar sehr. Ich wollte ihn wiederhaben. Ich wollte, dass er mich an seinen himmelblauen Pullover drückte und mir ins Ohr flüsterte, dass alles gut werden würde. Fast konnte ich seine Haare auf meiner Nase kitzeln fühlen. Ich hatte eine furchtbare Sehnsucht nach unserer sorgenfreien, lockeren Beziehung. Ich wünschte, es wäre alles so wie vor ein paar Wochen.

The Guy who was my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt