Kapitel 22

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Vollkommen in Gedanken versunken saß ich ein paar Wochen später im Mannschaftsbus. Mein Kopf lehnte an der Fensterscheibe. Aus meinen Kopfhörern dröhnte mir die neueste Musik entgegen. Neben mir saß Sergi, ebenfalls mit Kopfhörern. Der Bus war auf dem Weg zum Stadion von Borussia Mönchengladbach. Es war das zweite Champions League Spiel und ich würde heute im Tor stehen. Zugegeben, ich war nervös. Wer wäre das nicht? Bernd, schoss es mir in dem Moment durch den Kopf. Ich hatte ihn noch nie nervös erlebt. Egal ob er jetzt für die Nationalmannschaft oder für seinen Verein auf dem Platz stand. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Schwachsinniger Gedanke. Auch Bernd wäre nervös und ich sollte aufhören, mir Gedanken um ihn zu machen. Genau das hatte mir auch Sergi gesagt. Natürlich wusste er nicht genau, was da zwischen Bernd und mir lief, wusste ich es ja selbst nicht so genau, aber ein paar Passagen kannte auch er. Unsere jahrelange Feindschaft und seine Beleidigungen mal ausgelassen beziehungsweise abgeschwächt. Ich vertraute Sergi. Tat ich wirklich, aber ich traute es mir selbst nicht zu, die Tatsachen auszusprechen. Vielleicht war ich wie Ivan sagte zu naiv, aber in diesem Fall wollte ich eben nun mal naiv sein. Vielleicht war das auch der Faktor, warum ich um Ivan derzeit eher einen Bogen machte. Viel Zeit verbrachte ich mit Sergi. Manchmal gingen wir essen, manchmal zockten wir bei einem von uns FIFA und manchmal redeten wir einfach auch nur. Er erzählte viel über seine Zeit mit Marc Bartra und bei jedem Wort merkte man, dass er ihn vermisste und ich kannte dieses Gefühl von Verlust, verspürte ich es doch seit der Nationalmannschaft bei jedem Gedanken an Bernd. Aber Sergi erzählte auch Sachen aus seiner Kindheit, was er alles erlebt hatte und war auch an mir interessiert. Nicht nur an dem Kollegen, sondern an dem ganzen Menschen. Ich konnte bei ihm ich sein und er konnte er sein. Das machte diese Freundschaft so besonders und ließ sie so leicht missverstanden werden. Für unsere Kollegen waren wir wohl inoffiziell ein Paar, zumindest wenn ich ihre Andeutungen richtig verstand. Irgendwo verständlich. Wir machten selten etwas getrennt. Ging er auf eine Party, ging ich mit. Genauso umgekehrt. Bei der Zimmeraufteilung, bei der Sitzordnung im Bus und bei Partneraufgaben, waren es immer wir beide, die das Tandem bildeten. Auch dass wir öfters gemeinsam zum Training fuhren besänftigte die Gerüchteküche nicht wirklich. Inzwischen hatten wir uns einen Spaß daraus gemacht so oft wie möglich gemeinsame Bilder zu posten. Aber ich musste auch sagen, ich genoss das alles sehr. Ivan ist und würde auch mein bester Freund bleiben, aber Sergi folgte in der Reihe sofort darauf, wenn er nicht sogar schon eine Sonderposition in meinem Herzen eingenommen hatte. Er war wie ein Bruder, den man einfach lieb haben musste.
Aus den Gedanken gerissen wurde ich, als mir jemand in die Seite piekste. Da ich das hasste blickte ich wütend zur Seite und einem grinsenden Sergi ins Gesicht. Genervt nahm ich die Kopfhörer ab.
"Wir sind gleich da", teilte er mir grinsend mit. Ich nickte nur grummelnd.
Der Ablauf für das Spiel war wie immer der Selbe aber dennoch total anders. Es war immerhin das erste Mal seit meinem Wechsel nach Barcelona, dass ich wieder gegen meinen Kindheitsverein spielen würde. Die gesamte Umgebung, das Stadion und die Leute waren so vertraut und von bekannten Gesichtern wie wurde ich herzhaft in die Arme gezogen. Es löste irgendwie ein ganz heimisches Gefühl aus wieder im Borussia Park zu sein und auch diese Fans wieder jubeln zu hören. Das Spiel lief wie vermutet mehr über unser Team. Gladbach hatte bei der Qualität, die wir ihnen entgegen brachten einfach keine Chance und so taten sie mir schon wieder Leid.
Sergi war während des gesamten Spiels vor mir in der Außenverteidigung gewesen. Er spielte rechts außen und lief immer wieder seine Wege ab. Im Allgemeinen hatten wir aber auch oft Zeit miteinander zu reden, da sich das Meiste eher im Strafraum der Gladbacher abspielte. Ein Ball jedoch konnte auch ich nicht halten weshalb das Spiel letztendlich 2:1 für uns ausging.
Sergi kam nach dem Abpfiff direkt wieder grinsend zu mir gelaufen und fiel mir in die Arme.
"Grande Amigo!", rief er erfreut und klopfte mir während der Umarmung auf den Rücken.
"Gracias", antwortete ich nur grinsend und hob Sergi einfach hoch. Zusammen lachten wir noch eine ganze Weile, tauschten Trikots mit den Gladbachern und bedankten uns Händchen haltend bei unseren mitgereisten Fans.
Sergi hatte mir die Rückkehr nach Gladbach sehr viel einfacher gemacht. Natürlich hatte ich mich auch gefreut einmal wieder in meine alte Heimat zu kommen, doch hatte die Ungewissheit über die verschiedenen Reaktionen der Fans mich doch verunsichert.
"Siehst du und hier geht's zum Museum. Dort hängt auch noch ein Trikot von mir aus dem Jahr 2009 eingerahmt", erzählte ich Sergi mit strahlenden Augen als ich ihm nachdem wir uns fertig gemacht hatten nochmal meine alte Heimstätte zeigte.
"Muy Bien Marc! Das Stadion ist wirklich schön!", sagte Sergi mit einem Grinsen und tastete nach seinem Handy, "Verdammt... ich hab mein Handy in der Kabine liegen gelassen! Ich komm gleich wieder ja?", informierte er mich und verschwand darauf schon wieder. Ich sah ihm kurz nach und entschloss mich dazu noch ein wenig durch die Flure des Borussia Park's zu schlendern während ich auf meinen Freund wartete.
Gerade hatte ich das Ende des Flures erreicht und betrachtete noch einmal die Wandgemälde, als mich eine Hand plötzlich grob am Arm packte und mit sich zog. Ich hatte nicht einmal die Chance mich nach meinem Entführer umzusehen, als bereits um mich herum wieder alles schwarz wurde.

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