Kapitel 2

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Rechtzeitig machte ich mich auf den Weg zum Trainingsplatz. Damit war ich zwar als einer der ersten da, aber ich war heute lieber zu früh, als zu spät. Jedes noch so kleine Detail würde heute den Unterschied machen, ob Bernd oder ich im Tor stehen würde. Schweigend wartete ich, bis die restlichen aufkreuzten. Es war nicht so, dass ich sie nicht mögen würde und dass ich mich für was besseres hielt, sodass ich mich nicht mit ihnen unterhalten wollte, es lag vielmehr daran, dass es mich einfach ablenken würde und das konnte ich vor einem wichtigen Training wie heute einfach nicht gebrauchen. Sie würden wahrscheinlich eh auch nicht verstehen, warum es mir so wichtig war, heute zu spielen. Naja, nicht alle. Manuel verstand mich, aber von ihm war das auch zu erwarten. Bei den anderen nicht. Natürlich verstand ich mich mit allen und kam auch gut mit ihnen zurecht, nur war ich halt auch ein Mensch, der ab und zu mal ganz gerne seine Ruhe hatte. Ganz im Gegensatz zu Bernd. Der hing förmlich auf Karim und tat sich ohne diesen immer unglaublich schwer.
Zum Glück kam der Rest dann ziemlich schnell, sodass Jogi das Training eröffnen konnte. Ein paar Runden zum Warmlaufen und Dehnen, wie immer und dann rief uns Andreas auch schon zum Torwarttraining. Wir gingen dafür auf einen Nebenplatz, wo wir unsere Ruhe vor den Feldspielern hatten. Gleichzeitig bedeutete das aber auch, dass ich mit Andreas, Manuel und Bernd allein war. Jogi würde sich also vermutlich auf Andreas' Einschätzung verlassen. Vielleicht auch noch auf Manuel's. Also hieß es, beide auf meine Seite zu bekommen. Bei Manuel war das recht einfach, immerhin waren mir seine Worte  aus dem Fahrstuhl im Gedächtnis geblieben. Ich musste für ihn einfach nur mein Bestes zeigen. Bei Andreas war das etwas schwerer. Er war nicht leicht einzuschätzen und eine gute Leistung würde bei ihm nicht ausreichen. Es musste eine andere Lösung her, nur leider fiel mir keine ein. Dieses Problem stellte ich allerdings erstmal hinten an, als Andreas mich ins Tor stellte und mich mehrere Bälle halten ließ. Ich war ganz zufrieden mit mir. Sieben hatte ich gehalten und nur drei waren mir durch ins Netz gerutscht. Von Manuel bekam ich ein anerkennendes Nicken und Andreas sagte mir, dass es eine durchaus gute Leistung war. Da ergab dann ein Wort das Andere und ehe ich mich versah, hatte ich ihn bereits nach Tipps aus seiner Erfahrung gefragt, was er mir natürlich sofort mit einem gewissen Funkeln in den Augen erzählte. Dieses Funkeln verriet mir, dass ich intuitiv alles richtig gemacht hatte, um ihn für mich zu gewinnen. Ich hatte nicht offensichtlich geschleimt, sondern war an einer generellen Leistungsverbesserung orientiert. Dass ich da dann speziell von ihm seine Erfahrungen beziehungsweise Tipps erfahren wollte, schmeichelte ihm dann verständlicherweise schon. Natürlich war Manuel und Bernd bekannt, was ich da bezweckte, aber beide sagten nichts dazu, wobei Bernd schon ziemlich angepisst darauf reagierte. Aber hey, er würde vermutlich auch alles tun. Dieses Mal war nur ich einmal der Schnellere.
Während dem weiteren Training nahm die Anspannung zwischen mir und Bernd merklich zu. Jeder von uns beiden wollte den anderen ausstechen und beweisen, dass man selbst der Bessere war. Da waren auch absichtlich gespielte, unmögliche Bälle normal. Gegen Ende des Trainings kam dann Jogi zu uns und redete mit Andreas und Manuel, während Bernd und ich noch ein paar Runden liefen.
"Bernd, Marc, kommt mal bitte her", rief Jogi uns dann irgendwann zu und brav steuerten wir die Dreiergruppe an. Wir mussten nicht fragen worum es ging, denn es war offensichtlich, dass Jogi uns sagen würde, für wen er sich entschieden hatte.
"Also, ihr habt beide heute ein gutes Training abgelegt. Ihr seid beide auf einem top Niveau und die Entscheidung war nicht leicht", fing er an und machte dann eine bedeutungsvolle Pause, in der ich immer nervöser wurde. Warum konnte er nicht einfach sagen, wer von uns beiden, sondern musste es wie in diesen Fernsehsendungen unnötig in die Länge ziehen?
"Marc, du wirst morgen im Tor stehen", haute Jogi dann nach einer gefühlten Ewigkeit raus und am liebsten hätte ich vor Freude und Erleichterung Luftsprünge gemacht. Ich unterließ es jedoch, da dass dann wohl doch unangebracht gewesen wäre. Stattdessen antwortete ich ganz ruhig: "Vielen Dank für dein Vertrauen. Ich werde euch nicht enttäuschen." Darauf bekam ich ein nachsichtiges Lächeln, denn Jogi war schwer zu enttäuschen. Er war fair und wusste, wann man etwas dafür konnte und wann es einfach Pech war.
"Dann los, umziehen", scheuchte uns Andreas zu der Kabine, wo wir wieder auf die anderen Spieler treffen würden. Die beiden Trainer sammelten noch das Material zusammen, während wir drei uns schweigend auf den Weg machten. Nur eines bereitete mir etwas Kopfzerbrechen, nämlich Bernd's gifitge Blicke in meine Richtung, die vermutlich nachher noch einen Streit bedeuten würden. Innerlich seufzte ich. Ich war diese Auseinandersetzungen so leid. Sie waren unnötig und kräfteraubend, aber irgendwie konnte ich auch nicht ohne sie, da sie irgendwie schon immer da gewesen waren. In der Kabine setzte ich mich direkt auf meinen Platz und begann mit dem Umziehen, als ich Bernd und Karims lautes Gespräch vernahm.
"Wie die Lusche von ter Stegen darf spielen und nicht du? Ist Jogi auf den Kopf gefallen oder was?", fragte Karim lautstark.
"Nein, ist er wohl leider nicht und ich darf die Bank drücken", schnaubte Bernd.
"Schweinerei. Du hättest es verdient und nicht dieser Schleimbolzen. Ohne Schleimerei hätte er es vermutlich eh nicht geschafft", stachelte Karim Bernd immer weiter an und dieser wurde tatsächlich immer aggressiver, als er sagte: "Und wie der geschleimt hat! Anders würde er es doch nie zu etwas bringen! Er hat es nicht verdient hier zu sein!" Inzwischen hatte ihr Gespräch die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen, aber das kümmerte die beiden nicht. Sie waren sich dessen sogar sehr gut bewusst und liebten es mich derartig zu demütigen.
"Ich kann eh nicht verstehen, warum Jogi so einen überhaupt mitnimmt", fügte Bernd hinzu und betonte das "so einen", ziemlich abfällig. Da wurde es mir dann doch zu viel und ich rief den beiden genervt zu: "Seit ihr jetzt fertig mit eurer Lästerstunde? Ihr nervt gewaltig." Allerdings hatte es nicht den Effekt, den ich wollte, da Bernd sich jetzt direkt an mich wandte.
"Ach kann das arme kleine Baby von ter Stegen die Wahrheit nicht ertragen? Sollen wir deine Mami anrufen, damit sie dich abholt?" Damit war er allerdings etwas zu weit unter die Gürtellinie gegangen und ich wurde wütend.
"Ach halt doch einfach die Fresse Leno, wenn du keine Ahnung von etwas hast. Nur weil du kein Fußball spielen kannst, musst du das nicht automatisch auf andere projizieren", konterte ich und bekam am Rande mit, wie die Anderen schleunigst den Raum verließen. Unsere Streitereien waren nicht gerade schön und keiner wollte sich das noch freiwillig geben. Keiner außer Karim, der sich immer daran ergötzte.
"Ich weiß ja nicht, was in deinem Köpfchen vor sich geht, aber da vertauschst du etwas. Ich bin nicht derjenige, der ins Ausland musste um spielen zu können und es selbst dort nicht immer tun kann." Autsch. Damit hatte Bernd einen wunden Punkt getroffen. Ich wünschte tatsächlich öfters spielen zu können, aber es war okay für mich und Barcelona war echt klasse. Diesen Moment um mich zu fassen und mir zu überlegen, was ich kontern könnte, werteten Bernd und Karim wohl als Sieg und grinsten sich an. Dann legten sie noch hinterher: "Ach ja und dass dich keiner leiden kann, ist ja auch kein Geheimnis. Die anderen meiden dich, weil du so ein widerlicher Kotzbrocken bist. Du hättest uns allen einen Gefallen getan, wenn du niemals geboren worden wärst!" Diese Aussage trieb mir die Farbe aus dem Gesicht und vor Entsetzen und ja, auch aus Betroffenheit brachte ich erst recht kein Wort mehr raus. Die beiden schienen auch nichts anderes erwartete zu haben und stolzierten nur so aus der Kabine. Ich blieb allein zurück. Allein mit meinen Zweifeln und der Frage, ob Bernd vielleicht recht hatte. Gequält saß ich auf der Bank, ließ den Kopf hängen und war kurz davor in Tränen auszubrechen. War da etwas dran? War keiner hier geblieben um mal für mich zu sein, weil sie mich hassten? Hielt Karim deswegen auch immer zu Bernd und niemand zu mir? War er besser als ich? Wäre es wirklich besser gewesen, wenn ich nie geboren wäre? Hätte ich dann vielen Menschen und mir selbst nicht einiges, wie diese ständigen Streitereien, erspart?

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