Kapitel 65

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Lange konnte ich mich leider nicht verkriechen. Jogi erwartete von uns, dass wir uns heute Abend im Aufenthaltsraum blicken ließen. Ich vermutete zum einen damit er unsere Anwesenheit kontrollieren konnte und zum anderen, damit wir uns alle auf die anderen einstellen konnten, bevor es zur ersten Trainingseinheit ging. Wer nicht erschien, konnte sich warm anziehen und das letzte was ich wollte, war jetzt noch Ärger mit dem Trainer. Es war immerhin meine Chance bei einem Turnier mit der Nationalmannschaft im Tor zu stehen. Sonst war ja immer unsere Nummer eins Manuel dabei. Diese Chance wollte ich unbedingt nutzen. Also machte ich mich lustlos auf den Weg. Auf halber Strecke schloss sich Matze mir an.
"Na, auch so viel Lust wie ich?", fragte er mich nach dem Offensichtlichen.
"Ja, bringt ja nur leider alles nichts. Wir müssen da durch", gab ich seufzend zurück.
"Wir könnten auch einfach nicht hin", erwiderte Matthias schulterzuckend.
"Und einen Stammplatz riskieren? Ne ne, lieber nicht, wenn ich schon mal die Gelegenheit habe und Manuel nicht dabei ist, riskier ich das nicht”, erwiderte ich und schüttelte unterstützend den Kopf.
"Auch wieder war. Das ist unsere Chance. Jetzt sind wir mal die alten Hasen", meinte er leicht nachdenklich.
"Es ist komisch. Ich fühle mich gar nicht so", gab ich zu.
"Ich glaube das tut keiner und ich denke auch nicht, dass sie von uns jetzt ein Verhalten wie von Manuel, Basti oder sonst wem der alten Hasen erwarten", lenkte Matthias ein. Recht hatte er. Wir waren zwar die Erfahreneren hier im Kader, aber noch lange nicht erfahren genug.
"Wir sollten uns beeilen. Wenn wir zu spät kommen, dürfen wir uns am ersten Abend schon eine Standpauke abholen", versuchte ich vernünftig zu sein.
"Wenn eine Schlampe Vernunft heuchelt", erklang hinter uns ein spöttisches Kommentar. Ich brauchte mich gar nicht umzudrehen, um die Person zu erkennen. Es war Bernd.
"Abartig. Da stimme ich dir zu", sagte jetzt kein anderer als Julian. Ich schloss die Augen und versuchte den aufwallenden Schmerz zu unterdrücken.
"Lieber Vernunft heucheln, als noch nicht mal das zu versuchen und ein Arsch zu sein", kam es von Matthias, der sich zu den beiden umgedreht hatte.
"Hat die Schlampe jetzt schon so viel Schiss, dass sie ihren neuen Freier vorschicken muss? Pass auf Matthias. Du wirst schneller ersetzt, als du denkst. Wenn unsere Schlampe hier nicht schon längst wieder parallel vögelt", spottete Bernd und drängte sich zwischen uns vorbei. Julian folgte ihm auf dem Fuße und ich versuchte meine Tränen hinunter zu schlucken.
"Was war denn das?", fragte Matthias.
"Das war gar nichts", murmelte ich.
"Nach nichts sah das aber nicht aus. Ich dachte es wäre besser zwischen euch und ihr würdet euch vertragen?", blieb Matthias hartnäckig.
"Wir vertragen uns doch. Und nun lass es bitte gut sein. Ich will nicht zu spät kommen, ja?", blockte ich ab und lief einfach los. Matthias folgte mir zum Glück schweigend.
Im Aufenthaltsraum meldeten wir uns bei Jogi und wie erwartet gab er mir die Aussicht für das Turnier die Nummer eins zu werden, wenn ich meine Leistung brachte. Ich versprach mein Bestes zu geben und meine Laune war nun doch erstaunlich gut, als ich mich zu Matthias setzte.
"Na so wie du strahlst hast du gute Neuigkeiten bekommen", grinste er mich an.
"Kann man so sagen", erwiderte ich fröhlich.
"Na so gute Laune, wie du hast, hast du wohl einen neuen Freier oder Schlampe? Pass nur auf, dass er dich nicht zu hart vögelt, dass du morgen nicht vernünftig laufen kannst. Wäre ja bedauerlich, wenn du deswegen nicht trainieren kannst und versagst", wurde mir erneut die Stimmung von meinem Ex versaut.
"Und das kannst du woher beurteilen? Dich würde niemand auch nur mit der Kneifzange anfassen. Egal wie viel Geld du jemandem bietest, jeder würde dich ablehnen", erwiderte ich kühl. Es reichte. Er konnte mich ja gerne auf dem Gang beleidigen und ignorieren, aber hier vor Mannschaft und Trainern ging es einfach zu weit. Und dann noch diese dämliche Andeutung an das, was er mir damals angetan hatte. Weckte es Hoffnung? Nein, ganz im Gegenteil. Die Andeutung zeigte mir, dass unsere Beziehung ein Fehler war. Dass es nie so weit hätte kommen dürfen.
"Du solltest dein Maul halten. Sonst sollte es dir jemand stopfen", zischte er mich wütend an.
"Es reicht! Bernd, Marc, benehmt euch! So ein Verhalten ist inakzeptabel!", durchschnitt Jogis laute Stimme den Raum. Natürlich war niemandem unsere Auseinandersetzung verborgen geblieben und Jogi hatte recht. Unser Verhalten war inakzeptabel.
"Es tut mir leid. Ich ziehe mich lieber zurück", erklärte ich und erhob mich nach Jogis Nicken, um den Raum zu verlassen.
"Warte! Ich komme mit. Die Luft hier unten ist mir zu verpestet durch gewisse Personen", erklang Matthias’ Stimme und natürlich wusste jeder, welches Duo er meinte. Auch Jogi, doch der ließ die Aussage offen im Raum stehen und Matthias und ich konnten den Raum verlassen.
"Erzählst du mir jetzt endlich was los war?", fragte er mich auf halbem Weg.
"Nein", sagte ich hart.
"Warum denn nicht? Marc, du musst mit jemandem reden. Man sieht dir zehn Meilen gegen den Wind an, wie sehr dich das mit Bernd verletzt. Alles in dich reinfressen wird dir nicht helfen", sagte er und dabei klang jedes seiner Worte aufrichtig und ehrlich. Außer Ivan war- nein, noch nicht mal Ivan war in letzter Zeit so zu mir gewesen. Immer war dieser Vorwurf da.
"Du würdest kein Wort mehr mit mir reden, wenn du alles wüsstest", sagte ich beschämt.
"Probier es. So wie es scheint hast du nicht allzu viel zu verlieren", erwiderte er einfach nur.
"Na schön, aber nicht hier", gab ich nach und Matthias folgte mir auf mein Zimmer.
"Dann leg mal los", forderte er mich auf, nachdem wir es uns beide auf meinem Bett bequem gemacht hatten und ich legte los. Ich erzählte ihm alles. Von unserem ersten intimen Kontakt, über unsere Beziehung, unseren Urlaub, den Stress mit Karim und auch unser Ende. Bei diesem angelangt konnte ich die Tränen nicht mehr verhindern und Matthias nahm mich tröstend in den Arm.
"Du ekelst dich jetzt wahrscheinlich vor mir", schniefte ich.
"Aber nein. Jeder sollte lieben wen er will. Das ist mir egal", redete er besänftigend auf mich ein. Aus verweinten Augen blickte ich ihn an: "Danke Matthias."
"Jederzeit. Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst."

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