Kapitel 45

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„So, wie ihr wisst stehen für heute Mittag teambildende Maßnahmen auf dem Programm und ich freu mich euch mitzuteilen, dass wir zum Minigolf gehen", verkündete uns Jogi strahlend, während wir beim Mittagessen saßen.
„Na super", brummte ich nicht gerade erfreut. Die Morgeneinheit, dieses Mal in Form eines richtigen Trainings war anstrengend genug gewesen und eigentlich hatte ich wieder auf etwas Entspanntes wie einen Spielenachmittag gehofft. Nur das war wohl beim Minigolf nicht möglich.
„Ist unser kleiner Marc etwa traurig, dass er mit anderen Bällen spielen muss, als er gerne würde?", flüsterte mir Marco ins Ohr. Natürlich wusste ich ganz genau was er meinte und wurde rot.
„Halt die Klappe Reus", zischte ich und Marco lehnte sich lachend wieder auf seinem Stuhl zurück. Bernd, der am Nachbartisch saß, hatte das ganze beobachtet und suchte jetzt meinen Blick, aber ich wich ihm aus. Hier vor der Mannschaft hatte ich einfach viel zu große Angst, dass man uns erwischen könnte. Ein Moment der Unachtsamkeit könnte alles zerstören. Und das wollte ich nicht. Viel zu glücklich machten mich die Schmetterlinge in meinem Bauch und viel zu schützenswert sah ich das Pflänzchen unserer Beziehung. Denn die war noch frisch und zart und irgendwie hatte ich Angst, dass Bernd es sich anders überlegen könnte. Nein, auch dass ich es mir anders überlegen könnte. Worauf basierte unsere Beziehung denn? Wir hatten Sex gehabt. Okay, verdammt guten Sex, aber sonst? Wir hatten einen Filmabend gemacht und er hatte nicht mal gewusst, dass ich Horrorfilme hasse. Und ich hatte nicht gewusst, dass er sie mag. Ich hätte auch nie gedacht, dass er und Marco irgendeinen Punkt fanden, in dem sie sich verstehen würden und hatte mich getäuscht. Was kannte ich von Bernd schon groß außer, dass er ein wunderbarer Liebhaber war? Genau, nichts. Und das machte mir Angst. Was wenn wir irgendwann merkten, dass wir nicht zusammen passten? Erschwerend kam ja unsere Konkurrenz in der Nationalmannschaft dazu. Würden wir das auf Dauer von unserer Beziehung getrennt halten können oder würde einer von uns sich irgendwann zwischen dem Platz hier und der Rettung unserer Beziehung entscheiden müssen? Und so wie ich mich und Bernd kannte, würde ich da den Kürzeren ziehen. War ich dazu bereit? Ich wusste es nicht. Und wenn etwas zur Mannschaft durchsickern würde? Würde Bernd dann zu mir stehen oder würde er versuchen sich so gut es geht aus der Affäre zu ziehen? Woher sollte ich wissen, dass ich ihm vertrauen konnte? Ich kannte ja noch nicht mal seine Lieblingsfarbe, sein Lieblingsessen oder sein Lieblingsgetränk. Ehrlich gesagt hatte ich mich nicht mal ansatzweise mit Bernd als Person beschäftigt und mir noch nicht mal die Mühe gemacht ihn zu googlen. Wie also hatte ich da von Liebe sprechen können, nachdem er mir so viele Jahre meines Lebens zur Hölle gemacht hatte? Nur weil wir ein paar Mal umwerfenden Sex hatten? Und weil die Schmetterlinge in meinem Bauch verrückt spielten? Nicht wirklich überzeugend.
„Wenn du hier noch länger rumsitzt und vor dich her starrst, verpasst du den Bus und es ist nicht gerade unauffällig", riss mich Bernd's Stimme aus meinen Gedanken und völlig entsetzt blickte ich hektisch umher. „Keine Sorge, ich bin nicht dumm. Es ist keiner mehr hier", setzte Bernd leicht gekränkt hinzu und ich fühlte mich sofort schuldig. Ich wollte ihm nicht dieses Gefühl vermitteln, nur weil ich dank meinen Gedanken gerade vollkommen paranoid war.
„Bernd, es tut mir leid. Das hatte ich auch nicht angenommen. Ich bin seit der Sache mit Karim einfach ein bisschen paranoid", versuchte ich zu erklären.
„Ist schon gut", sagte er mit sanftem Lächeln und hielt mir auffordernd die Hand hin. Ich griff ohne zu zögern nach ihr. Wusste, dass es die richtige Entscheidung war und kämpfte innerlich meine Schuldgefühle nieder. Was war ich schon für ein fester Freund, der seinen Partner indirekt gezwungen hatte, sich gegen dessen besten Freund zu stellen? Ein verdammt schlechter.
„Bernd, die anderen...", sagte ich zögerlich, nachdem wir uns gegenüberstanden.
„Ich weiß", seufzte er. Dann beugte er sich vor, hauchte mir einen hauchzarten Kuss auf den Mund und ehe ich erwidern konnte, hatte er sich schon wieder gelöst. Zurück blieb der Geschmack eines süßen Versprechens.
„Wir sehen uns dann wohl im Bus", seufzte ich wehmütig und Bernd nickte, ehe er mir voraus zum Bus ging. Nur irgendwie meinte es irgendjemand nicht gerade nett mit uns und so gab es nur noch zwei freie Plätze als Bernd und ich ankamen. An sich ja kein Problem, da wir die letzten waren, aber die Plätze waren genau nebeneinander.
„Na das kann ja was werden", murmelte ich und erntete daraufhin mitleidige, aber auch mahnende Blicke von Mannschaft und Stab. Der einzige, der glücklich und zufrieden grinste war Marco, wofür er von Mario zu meiner Genugtuung einen Schlag gegen den Hinterkopf kassierte. Mit gequältem Ausdruck setzte ich mich neben Bernd. Wie sollte ich das bitte aushalten, so nahe neben ihm zu sitzen und ihn nicht anfassen zu dürfen? Mich nicht an ihn lehnen zu dürfen und auch nicht seine Wärme genießen zu können? Bernd's Gesichtsausdruck zeugte von ähnlichen Emotionen, die von unserer Mannschaft komplett falsch gedeutet wurden. Aber wenn ich ehrlich war, hätte ich es vor wenigen Tagen selbst noch nicht für möglich gehalten einmal friedlich neben Bernd zu sitzen und mich zu quälen, weil ich ihm nicht näher sein konnte. Da die Fahrt nicht weit war hatte ich kaum Gelegenheit meinen Gedanken weiter nachzuhängen, denn Jogi hielt eine Durchsage über das Busmikrofon: „Also Jungs hergehört. Heute geht es ja wieder darum das Team zu stärken. Allerdings soll es heute mal nicht um die Durchmischung gehen, sondern wir wollen die einzelnen Abteilungen untereinander Stärken. Deswegen werdet ihr in vier Gruppen zusammen gehen. Die eine Gruppe bilden die Torwarte, dann die Abwehr, dann das Mittelfeld und zuletzt der Sturm. Soweit klar?" Ein kollektives „Ja" ging durch den Bus und meine Motivation sank noch mehr. Wie sollte ich das aushalten, wenn ich auch noch mit Bernd in einer Gruppe spielen musste?
"Gut. Es wird nicht darum gehen, wer am besten war, sondern dass ihr das beste Teamergebnis habt", erklärte Jogi weiter, wurde jedoch von Marco unterbrochen: "Wie soll denn das funktionieren, wenn die Mannschaften nicht gleich groß sind?" Und Marco hatte recht. Da fehlte irgendwo die Logik.
"Das mein lieber Marco geht ganz einfach. In dem Team werden die Ergebnisse aller zusammenaddiert und dann durch die Anzahl der Gruppenmitglieder dividiert. So etwas nennt sich Durchschnitt", klärte Jogi auf und klang dabei wie ein Mathelehrer der sich innerlich fragte, wo seine Schüler die letzten Jahre ihres Lebens den Matheunterricht verbracht hatten, "am Ende erhält das beste Team eine Belohnung, damit ihr auch genügend Anreiz habt, um euch anzustrengen. Schummeleien werden nicht geduldet. Das Trainerteam spielt natürlich auch mit und sollten wir gewinnen, behalten natürlich wir die Belohnung für uns. Also strengt euch an und gebt euer Bestes", motivierte uns Jogi und alle waren hellauf begeistert. Was würde wohl die Belohnung sein? Mir fiel nichts ein und wahrscheinlich würde das Trainerteam auch sowieso alle Ideen übertreffen.
"Wir werden jetzt gleich ankommen und die Teams werden sich zusammentreffen. Danach holt immer einer aus dem Team die Schläger und die Bälle, sowie das Schreibbrett für die Zettel. Es wird bis sechs Schläge gespielt, wer dann noch nicht eingelocht hat muss aufhören und erhält einen Strafpunkt. Es wird also eine sieben notiert. Der Ball darf nur mit dem Schläger gespielt werden und auch nicht von irgendeinem Fuß aufgehalten oder unterstützt werden. Wir wünschen viel Spaß und möge das bessere Team gewinnen", beendete Jogi seine Rede und ein Applaus ging durch den Bus, welcher im selben Moment anhielt und seine Türen für uns öffnete. Auf zum Minigolf. Das sahen auch die anderen so und die Mannschaft strömte nach draußen. Schnell wurde begonnen sich in den Teams einzufinden, was für die drei Torwarte leichter war, als für alle anderen. Manuel war einfach zu Bernd und mir gekommen, da wir gemeinsam ausgestiegen waren.
"Ich geh schnell Schläger und so holen", erklärte sich Bernd bereit und ließ mich mit Manuel allein. Vermutlich mit Absicht, denn schon anhand von Manuel's Miene konnte ich erkennen, was gleich kommen würde.
"Hör mal Marc, ich mag dich wirklich und ich verstehe auch, dass das mit dir und Bernd nicht so einfach ist, aber tu mir bitte den Gefallen und streitet heute nicht mit ihm. Die letzten Tage waren schön harmonisch und ich wünsche mir für das Team, dass es so bleibt", machte Manuel seinen Standpunkt klar.
"Aber natürlich. Für das Team", spuckte ich angesäuert heraus. Bernd und ich sollten nur um des Team's Willen unseren Konflikt beilegen. Nicht wegen uns oder weil es uns dabei schlecht gehen könnte. Nein, wegen dem Team. Manuel konnte meinen Tonfall nicht einordnen und starrte mich verblüfft an. Bestimmt würde er gleich eine Erklärung fordern, aber zum Glück kam gerade Bernd zurück.
"So, ich hab alles", sagte er fröhlich, bis er die Spannung zwischen Manuel und mir wahrnahm, "oh, was ist denn hier los?"
"Nichts", winkte ich ab, "Manuel hat mir nur gerade erklärt, dass wir uns um der Mannschaft Willen weiter vertragen sollen." Bernd verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.
"Na dann Ter Stegen. Für das Team", brummte er und hielt mir die Hand wie bei der Begrüßung hin.
"Friede Marc?", fragte er mich dazu und ich schlug ein.
"Friede Bernd." Manuel's Augen drohten gerade aus ihren Höhlen zu fallen denn damit hatte er vermutlich nie im Leben gerechnet. Wenn der wüsste.  
„Ich bin mir gerade nicht sicher, was hier abläuft, aber mir soll es recht sein", brummte er und lenkte dann geschickt ab: „Na kommt, lasst uns anfangen. Wir wollen die anderen Teams doch schlagen." Bernd und ich grinsten uns an. Ja, wir wollten die anderen Teams schlagen, wir wollten immer gewinnen. Etwas was uns beide verband.
„Worauf wartest du dann noch Neuer? Oder fühlst du dich auf deine alten Tage schon zu alt, um mit uns mitzuhalten?", fragte Bernd neckend und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Der arme Manuel verstand offensichtlich die Welt nicht mehr, den völlig neben der Spur machte er sich auf den Weg zur ersten Bahn. Bernd und ich folgten ihm langsam und mit Abstand zwischen uns. Es durfte ja nicht zu auffällig wirken, wie tief unsere Zuneigung ging. Manuel begann und ich musste sagen, er war ziemlich gut. Als nächstes folgte Bernd und auch er machte eine gute Figur. Dann war ich an der Reihe und hatte so gar keine Lust mehr auf Minigolf. Neben den beiden würde ich eine verdammt schlechte Figur abgeben. Minigolf war noch nie meine Stärke gewesen. Ein Seufzen unterdrückend versuchte ich mich also irgendwie ansatzweise so hinzustellen, wie Manuel und Bernd es vor mir taten, aber irgendwie fühlte es sich falsch an. Zu meinem Leidwesen wurde mir das auch noch von Manuel bestätigt, der sagte: „Stell dich richtig hin Marc, sonst wird das nie was." Ich wurde mal wieder rot und rührte mich nicht von der Stelle.
„Warte, ich helfe dir", erklang Bernd's Stimme und ehe ich reagieren konnte, war er schon hinter mir. Sanft legte er seine Hände auf meine Hüften und brachte mich so dazu, meine Beine anders zu positionieren. Ganz sanft ließ er sie meine Seiten hoch zu meinen Armen wandern und umgriff dann mit seinen Händen die meinen. Dabei presste er sich unweigerlich gegen meinen Rücken.
„So und jetzt schlagen", hauchte er sanft neben meinem Ohr und gemeinsam vollführten wir die Bewegung. „Sehr gut mein Engel", lobte er mich so leise, dass es niemand außer mir mitbekam und löste sich dann von mir. Ein bisschen Stolz flammte bei seinem Lob dann doch in mir auf, obwohl das ja eigentlich albern war. Zudem fiel mir jetzt wieder Manuel und der Rest der Mannschaft ein und panisch blickte ich mich um. Zum Glück hatte aber wohl niemand auf uns geachtet und selbst wenn Manuel es getan hatte, so ließ er sich jetzt nichts anmerken.
„Na los Marc, du kannst den Ball aus dem Loch holen. Oder willst du hier Wurzeln schlagen?", forderte mich Bernd auf und erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich den Ball mit Bernds Hilfe mit einem Schlag versenkt hatte. Hastig befolgte ich die Aufforderung und wir gingen weiter zur nächsten Bahn. Auch hier half mir Bernd wieder und am Ende, als wir mit allen Bahnen durch waren, hatte ich den Bogen raus.
„Ich würde schnell was zu Trinken holen. Wollt ihr auch was?", fragte Bernd, der genau wie ich am Ende immer mehr Probleme hatte den Drang nach Körperkontakt zu unterdrücken.
„Eine Cola für mich bitte", meinte Manuel und ließ sich auf eine Bank, neben der wir standen, fallen.
„Okay, Marc für dich auch?", fragte Bernd an mich gewandt und ich verzog angewidert das Gesicht. „Nee, ich hasse Cola. Lieber eine Fanta bitte", sagte ich und nach einem Nicken hatte Bernd sich auf den Weg zu dem kleinen Kiosk gemacht. Ich ließ mich neben Manuel nieder und erneut überkamen mich meine Gedanken. Bernd wusste nicht, dass ich Cola hasste und ich wusste nicht, ob er sie mochte. Was wussten wir denn schon voneinander? Wirklich fast nichts. Wie sollte das für eine Beziehung reichen?

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