Kapitel 64

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Schlurfend betrat ich das Teamhotel in dem ich für die nächsten Tage unterkommen würde. Ein Teil von mir hatte sich durchaus gefreut als ich Jogis Anruf bekam, in dem er mir mitteilte, dass er mich gerne im vorläufigen Kader für den Confed Cup hätte. Es war schon immer eine Ehre für mich gewesen für mein Land auflaufen zu können und es zu vertreten. Doch im nächsten Moment war mir wieder Bernd eingefallen.
Die letzten Wochen und Monate waren hart gewesen. Ich hatte mich in den ersten Tagen nur für das Training aus dem Haus getraut. Es hatte eine ganze Weile gedauert bis ich alles um mich herum wieder richtig wahrgenommen hatte und mich wieder auf etwas konzentrieren hatte können. Ivan war mir dabei die größte Hilfe gewesen. Sergi hingegen hatte ich versucht so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Nach einigen Wochen hatte ich schließlich die grauen Wolken etwas vertreiben können. Die Entfernung und unser enger Zeitplan mit drei Wettbewerben, in denen wir noch immer spielten, machte es mir schließlich kaum mehr möglich einen Gedanken an Bernd zu verschwenden. Bis jetzt.
Jetzt stand ich nämlich hier. Im Teamhotel der Nationalmannschaft. Hier würde ich drei Tage verbringen, ehe wir ins Trainingslager fliegen würden, wo wir noch intensiver und enger zusammen trainieren würden.
Es lief mir jetzt schon eiskalt den Rücken runter wenn ich daran dachte, dass ich bald wieder Bernd's sich einbrennenden Augen kontinuierlich ausgesetzt war. Wenn ich nur allein daran dachte mit ihm zusammen zu arbeiten. Zu trainieren. Ihm nahe zu sein...
Ein wenig kribbelte es auch in meinem Magen bei dem Gedanken, doch im nächsten Moment war dieses wieder verflogen als ich an Bernd's letzten Worte dachte.
"Das mit uns ist aus Marc. Und es ist alles deine Schuld", hallten die Worte in meinem Kopf nieder und mit ihnen dieser bittere Unterton. Ich musste schlucken. Ich konnte nicht jetzt hier in der Lobby wieder in Tränen ausbrechen. Ich war stärker!
Ich atmete einmal tief durch, ehe ich auf die Rezeption zuging, um mir meine Zimmerkarte zu holen. Als ich die Karte schließlich in meinen Händen hielt, machte ich mich auf den Weg zu meinem Flur. Ich hoffte einfach nur, dass ich niemandem mehr begegnen würde. Doch gerade als ich die Worte in meinem Inneren ausgesprochen hatte, hörte ich Schritte den Gang entlang kommen, den ich vor wenigen Sekunden betreten hatte.
"Na sieh mal einer an wen wir da haben", hörte ich kurz darauf Bernds verächtliche Stimme.
"Oh, ist das nicht der Schlampenjunge von dem du erzählt hast Bernd?", fragte eine weitere Stimme, die ich zunächst nicht zuordnen konnte. Schnell sah ich auf und entdeckte schließlich Julian Brandt grinsend zu Bernds Linken. Er spielte ebenfalls in Leverkusen und war erst ein paar mal für die Nationalmannschaft berufen worden. Es wunderte mich daher kein Stück, dass er sich zuerst an Bernd geklammert hatte. Er kannte ja schließlich kaum einen Spieler. Ich hätte es wohl nicht anders getan.
"Ganz genau. Das ist die kleine Schlampe vor der Karim und ich dich gewarnt haben", bestätigte Bernd dem jungen Blondschopf. Mir schmerzte das Herz bei seinen Worten.
"Widerlich", sagte Julian nur verächtlich und musterte mich niederträchtig, "dass der sich überhaupt noch hierher traut."
"Er sucht sich wahrscheinlich sein nächstes Opfer bei dem er gut absahnen kann. Schließlich macht er in Barcelona ja nichts anderes. Einen Tag den, am nächsten Tag nen anderen", Bernds Augen funkelten mich bei seinen Worten finster an. Ich konnte deutlich spüren wie sauer er noch immer war, dass ich ihn damals mit Sergi hintergangen hatte. Es war doch nur ein Kuss gewesen, aber dennoch war er tief verletzt und dadurch gezeichnet. Das spiegelte sich auch jetzt in seinem Blick wieder.
"Schon traurig, dass es so geldgeile Menschen gibt", warf Julian nur ein und schaute missbilligend zu mir.
"Ja. Und es ist nie genug. Viel Spaß beim lutschen von irgendeinem anderen reichen Fettsack Schlampe. Hoffentlich bringst du ihn zum schreien."
Mit diesen letzten verächtlichen Worten wuschelte Bernd mir kurz durchs Haar, ging an mir vorbei, wobei er mich absichtlich anrempelte und lief dann mit Julian lachend weiter den Gang hinunter.
Ich atmete zitternd durch und versuchte alles menschenmögliche, um meine Tränen zurückzuhalten. Eine ganze Weile stand ich so da bis ich erneut ein paar Schritte näher kommen hörte.
"Marc? Alles okay?"
Ich biss mir kurz auf die Unterlippe ehe ich mich wieder aufrichtete und zu meinem Gegenüber sah. Matthias Ginter war mit besorgtem Blick vor mir zum Halten gekommen und musterte mich nun.
"Hey, ja, alles okay, danke", murmelte ich schnelle, ehe ich mich hastig an ihm vorbeischob und weiter den Flur runter eilte, um zu meinem Zimmer zu kommen.
Als ich schließlich vor der richtigen Nummer stand, öffnete ich die Tür und trat ins Zimmer. Ich ließ sie direkt hinter mir wieder ins Schloss fallen.
Ich war froh, dass wir für die wenigen Tage Einzelzimmer zugeteilt bekommen hatten. So brauchte ich mir nämlich keine Sorgen machen, dass jeden Moment jemand das Zimmer betreten könnte und meine Tränen sah, die nun langsam meine Wangen hinab glitten. Erschöpft ließ ich mich auf das Bett sacken. Alles in mir kam wieder hoch. Mir wurde wieder bewusst wie miserabel mein Leben war. Ganz genau so, wie es vor Bernd bereits schonmal der Fall gewesen war. Alles war wieder wie früher. Bernd hasste mich und ich ging daran kaputt. Es war alles wieder wie vorher.
Mit diesem schmerzlichen Gedanken ließ ich mich nun letztendlich ganz auf das Bett fallen, rollte mich in einer Kugel zusammen und ließ den Tränen freien Lauf.

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