Kapitel 30: Verzweifelt

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Kapitel 30: Verzweifelt

"Ich weiß nicht, was du alles durch gemacht hast und was noch folgen wird, aber ich bin mir sicher, dass nach schweren Zeiten, gute folgen." Sie lächelte, so wie sie es immer tat und hielt meine rechte Hand fest. "Wir können uns nicht aussuchen, wen Gott als nächstes zu sich holen wird." Ihre Worte taten mir im Herzen weh, aber sie waren aufrichtig und ehrlich. Je mehr ich darüber nachdachte, über das, was in den letzten Wochen passiert war, hoffte ich, dass bald die guten Zeiten kommen würden. Ich konnte positives gebrauchen. Und das fing schon mit dem lächeln von Schwester Charlotte an. Es gab mir Kraft, die mir fehlte, weiter zu machen. Dann wurde sie von einem anderen Arzt gerufen.

Ich schaute zur linken Seite. Dort saß er auf seinem Stuhl, die Brille liegend auf dem Schreibtisch. Er schien traurig zu sein. Ich wollte nicht, dass er sich meinetwegen miserabel fühlte. "Es tut mir leid." Er sah auf. "Ich will nicht, dass Sie sich meinetwegen so mies fühlen." - "Es ist schon Ok, Mirella. Wirklich, es ist alles gut." Das glaubte ich nicht. Seine Stimme klang anders als sonst. Seitdem ich hier war, habe ich ihn noch nie so gesehen und ich habe auch noch nie so empfunden wie jetzt. Es war leichtsinnig von mir, ihn damit zu quälen. Denn wenn ich ihn jetzt so sah, wie er da sitzt, überkommt mich ein Gefühl der Verzweiflung.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte ihn wirklich nicht in meine Probleme involvieren. Jetzt war es zu spät. Ich musste es wieder gut machen. Irgendwie. "Es tut mir wirklich leid." Ich stand aus dem Rollstuhl auf und wollte gerade gehen, da stand er urplötzlich neben mir und hielt mich am Arm fest. "Nein, Mirella. Du setzt dich jetzt wieder in den Rollstuhl, bevor .." Bevor was? "Es tut mir leid." Er drückte mich zurück und brachte mich in mein Zimmer.

Ich im Bett liegend, stand er einfach da. Aiana schlief immernoch und das war auch gut so. Ich wollte auch bei ihr nicht, dass sie irgendetwas mitbekommt. Ich wiederholte meinen Satz noch einmal. "Es tut mir leid." Ich fühlte mich schrecklich. Mir tat das alles so leid und nur meinetwegen fühlte er sich schlecht. Ich wollte schlafen. Schlafen, um nichts zu fühlen. Schlafen, um keinem weh tun zu können. "Mach dich für nichts verantwortlich. Du kannst nichts dafür, es ist nur so, dass ich mich an etwas erinnere .." Ich habe ihm mit meinem Gefühl etwas gegeben, wozu er in der Lage war, sich zu erinnern. Wurde er mal genauso verletzt, wie ich? Ich wollte das alles nicht. Ich wollte nichts fühlen. Ich wollte erst nicht fragen. "Kann ich Schlafmittel haben? Bitte.." Mit meinem letzten Wort fingen meine lippen an zu zittern und es bildeten sich Tränen in meinen Augenwinkeln.

Er ging ohne ein Ton aus dem Zimmer. Ich schaute auf meine Bettdecke. Ich hoffte so sehr, dass ich Schlafmittel bekommen würde. Draußen stürmte es immer noch. Ich stand aus dem Bett auf und ging zum Fenster. Dort blieb ich stehen und schaute in den dunkelschwarzen Himmel. Meine Hand lag auf meinen Rippen, denn sie taten immer noch weh. Aber nicht mehr so sehr, wie zuvor. Ab und zu leuchtete es hell auf und darauffolgend kam ein lautes grummeln des Donners. Überraschend kam der Arzt wieder. Als ich die Tür zufallen hörte, drehte ich mich um. Er hatte blaue Einweghandschuhe an und in der einen Hand hielt er die Infusion und in der anderen die Venenverweilkanüle fest. Unteranderem hatte er eine Sprühflasche dabei, damit er meinen Arm desinfizieren konnte.

Er sagte kein einziges Wort, doch mit seinem Blick zeigte er mir, dass ich mich wieder ins Bett legen sollte. Ich wollte ihn nicht weiter verärgern, also legte ich mich schließlich wieder hin. Er legte die Infusion auf meine Bettdecke und befestigte die Blutdruckmanschette oberhalb meines linken Arms. Er hielt meinen Arm fest. Ich betete, dass er eine geeignete Vene findet und nicht anfing, mich über meine Narben auszufragen. Er desinfizierte eine kleine stelle in meiner Armbeuge, stach mit dem Kanülenansatz in meine Vene und entfernte die Manschette an meinem Oberarm.


BEENDET! Eines Tages - Frederik Seehauser - Klinik am SüdringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt