Kapitel 31: Anders sein

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Kapitel 31: Anders sein

Mir ist nie aufgefallen, was man bei dem alles beachten musste. Er fixierte die Kanüle mit einem Pflaster. Der hintere Bereich der Verweilkanüle, die in meiner Vene lag, drückte er ab. Dann entfernte er die Kanüle und schloss die Infusion dran und hängte sie auf. Über eine Öffnung der Verweilkanüle spritze er wohl das Schlafmittel hinein.

Er zog sich die Handschuhe aus, nahm die Blutdruckmanschette in seine Hand und deckte meinen Arm zu, damit er warm blieb. Mehr bekam ich nicht mehr mit.

Am Morgen des siebenundzwanzigsten Juli wachte ich gegen halb Neun auf. Neben mir vernahm ich meinen behandelnden Arzt, der auf einem Stuhl saß und mich beobachtete. Ich rutsche mit meinem Po etwas nach oben, um mich aufrecht hinzusetzen. Ich sah ihn wieder an. "Habe ich dich geweckt?" Er sah Müde aus. Sehr Müde sogar. Ich schüttelte meinen Kopf. "Sagen Sie mal, schlafen Sie eigentlich nie?" Er hatte versucht zu lächeln. "Ich brauche nie viel Schlaf. Hast du gut geschlafen?" Ich schaute zu Aiana's Bett, es war leer. "Sie wird gerade Operiert", bemerkte er.

"Ich habe übrigens mit dem Schlafmittel gut geschlafen, einfach nichts gefühlt oder jemanden mit meinen Worten verletzt.." - "Du hast doch niemanden mit deinen Worten verletzt." Ich konnte ihn nicht ansehen. "Doch, das habe ich." Seine Hand fuhr zur meiner, doch ich zog sie weg. "Mirella, denkst du, du hast mich gestern verletzt, weil es dir so schlecht ging?" Ich nickte kurz. "Es lag nicht an dir, Vertrau mir." Ich glaubte ihm schon wieder nicht. "Ich habe Sie aber mit meinen Worten an etwas erinnert." Es war keine Aufforderung an ihn, es mir zu erzählen, denn es ging mich in keinster Weise etwas an.

"Mirella, glaube mir. Es hat nichts mit dir zutun." Jetzt sah ich ihn an. Ich resignierte seine Aussage. "Wie lange sitzen Sie hier eigentlich schon?" - "Noch nicht so lange.." Er hatte mich beim schlafen beobachtet. Das macht doch kein Arzt. Darf er das überhaupt? "Warum?" Ich sah, dass er seine Hände wieder ineinander gefaltet hatte. Gab ihm das irgendwie das Gefühl, sicherer zu sein? "Ich mache mir Sorgen um dich. Ich hatte in meiner Laufbahn als Arzt noch nie jemanden Stationär aufgenommen, der dir ähnelt. Weder von deiner Anamnese, noch von deinem Charakter her." - "Ich bin halt anders." - "Und das ist auch gut so."

Irgendwie ist es komisch, mit einem Arzt über solche Dinge zu reden. Ich konnte es immer nur mit Elina und auch sie sagte, dass ich besonders wäre. Besonders sein ist heute nichts spezielles mehr, denn es gibt Menschen, die sind besser als ich. "Ich bin ein Mädchen, das kämpft. Ich bin die, die anderen hilft, wenn sie es brauchen. Hab kein Selbstbewusstsein und man hat mich betrogen und verarscht. Werde gemobbt, ausgelacht, für das, was ich bin, obwohl ich nichts dafür kann. Hab mich geschnitten, gegessen, gehungert, gekotzt, geweint und stumm gelitten. Hab mich gehasst, dich gehasst, alle anderen gehasst. Und doch kämpfe ich stets weiter. Und ich weiß nicht mal, wofür."

Er sah mich einfach nur an. Ich wischte mir mit meiner Hand die Tränen aus dem Gesicht. "Ich bin ersetzbar." Er legte seine Hand auf meine und dieses mal zog ich sie nicht weg. Ich merkte die Wärme, die von ihm aus ging. "Mirella, man kann gegen Depressionen angehen. Mach dich selber nicht so fertig. Du bist so mutig und schlau, dass ich jedes mal denke, dass ich mit einer Kollegin rede, wenn ich wieder Fachchinesische Worte zitiere." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, bis ein Mann hektisch ins Zimmer gelaufen kam.

BEENDET! Eines Tages - Frederik Seehauser - Klinik am SüdringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt