4. Im Krankenhaus

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Am Donnerstag weckte mich Schwester Anja, ging ihrer Morgenroutine nach und entfernte die Pflaster von den Narben. „Der Doktor möchte sie sich gleich anschauen und verbindet sie dann ggf. Neu." Ich nickte wissend.

Etwas später brachte sie mir mein Frühstück und ließ mich lieb von Birte grüßen die Termine hatte und etwas später kommen würde. Also frühstückte ich heute mal beim Tv schauen, etwas was ich zuhause nie gedurft hatte.

>Tat ich es wirklich nur für mich oder auch für Birte, egal. Ich kann alleine essen<

Mit einem gewissen Stolz schob ich das Tablett mit dem leeren Teller zur Seite und schaute weiter Fernsehen. Nach etwa einer Stunde klopfte es und Dr. Brunner und Dr. Heer traten zur Visite ins Zimmer. Dr. Brunner untersuchte meine Narben und war zufrieden, ich benötigte nur auf den Bauchnabel ein Pflaster, die beiden anderen kleinen Nähte konnten offen bleiben. Auch wurden meine Schmerzmittel reduziert, da ich kaum Schmerzen verspürte. Mit dem Essen funktionierte es auch und so stand meiner morgigen Entlassung nichts im Wege. Sie verabschiedeten sich und verließen mein Zimmer, was Birte in dem Moment betrat.

„Guten Morgen." Sie lächelte mich an und umarmte mich. „Guten Morgen." Erwiderte ich und konnte es mir nicht verkneifen auf den Teller zudeuten. Sie lächelte mich an. „Super, dann bist du ja gestärkt für einen Ausflug." „Ausflug?" Fragte ich skeptisch. „Na ich dachte wir gehen eine Runde im Park spazieren, damit du mal frische Luft bekommst." Ich freute mich wirklich und angelte sofort nach meiner Sweatshirt Jacke und den Schlappen unter meinem Bett.

Draußen angekommen atmete ich mehrfach tief durch, es fühlte sich gut an, an der frischen Luft zu sein. Wir umrundeten das Gebäude und kamen in die Parkanlage. Wir wählten den Weg um den kleinen Teich und ließen uns dort auf einer Bank nieder. Birtes Lieblingsplatz wie sie mir verriet. Eine weile beobachteten wir die Enten die auf dem Teich schwammen und hingen unseren Gedanken nach. Es kam mir plötzlich in den Sinn und so sah ich zu Birte und fragte. „Glaubst du an Gott?" Birte runzelte die Stirn und grinste schief. „Du kannst Fragen stellen." Ich lächelte sie an. „Na ja ich hab gestern viel darüber Nachgedacht. Du weißt schon, wenn es ihn gibt warum lässt er gewisse Dinge zu usw." Sie nickte wissend. „Vor allem glaube ich das Zweifel zum Glauben dazu gehören, sonst würde es ja wissen und nicht glauben heißen." Ich ließ ihre Worte einen Moment wirken und nickte dann. „Das gefällt mir. Ich wurde wie du vielleicht weißt, streng Katholisch erzogen und da gab es keine Zweifel oder zumindest wurde nie darüber gesprochen." Birte sah wieder aufs Wasser und legte den Kopf schief. „Jeder Mensch verflucht Gott von Zeit zur Zeit und hat seine Zweifel. Das du das in deiner Situation tust ist für mich mehr als verständlich." Ich nickte und folgte ihrem Blick. Sie begann wieder zu Sprechen. „Ich hab mal ein gutes Buch zum Thema Gott und Glauben gelesen, "Die Hütte-Ein Wochenende mit Gott". Mir gefällt eine Szene am Ende besonders. *Ein Mann trifft auf Gott und verurteilt Gott, wegen seiner "falschen Entscheidungen". Da verlangt Gott von den Mann zwischen seinen beiden Kindern zu wählen. Eins kommt in den Himmel und das andere in die Hölle. Gott zählt ihm ein paar Vergehen seiner Kinder auf und er soll richten. Er kann sich nicht entscheiden, weil er jedes seiner Kinder liebt und wählt sich selbst, an der Stelle eines seiner Kinder.* Wenn wir Gott als Vater sehen, hat auch er die selbe Entscheidung getroffen."

Mir rollte eine Träne über die Wange und ich brauchte einen Moment um ihre Worte zu verarbeiten. Birte legte ihre Hand auf mein Knie und drückte leicht. „Du bist sehr reif für dein Alter." Ich zog eine Augenbraue hoch und sah sie an. „Du hast es verstanden und gleich auf deine Situation umgesetzt." Ich legte meine Hand auf ihre und drückte sie leicht. „Danke." Wir hingen beide noch einen Moment unseren Gedanken nach. Birte klopft leicht auf mein Knie. „Komm gehen wir noch ein Stück." Wir gingen eine etwas größere Runde zurück ins Gebäude.

Wieder in meinem Zimmer angekommen, steht dort bereits das Mittagessen auf meinem Tisch. Birte besorgt sich ebenfalls eine Kleinigkeit und wir essen gemeinsam. Dabei sprechen wir über den morgigen Tag, meine Ängste und Befürchtungen im Bezug auf das Jugendamt und wie es weiter gehen wird. Ein seltsames Gefühl kommt in mir auf und ich will und kann es nicht ganz zulassen. Sollte mein Leben jetzt wirklich besser werden.

>Hoffnung<

Etwas was ich so lange nicht verspürt habe, dass ich schon kaum noch wusste wie es sich anfühlt. Birte sieht mich an, als könnte sie sehen was ich denke und lächelt.

„Ich habe mir viele Gedanken gemacht in den letzten Tagen und es überwältigt mich immer wieder wie Du, deine Kollegen und die Behörden mit mir umgehen." Birte hört mir interessiert zu. Ich spreche einfach meine Gedanken aus. „Mir wurde über Jahre erzählt, dass mir niemand glauben wird, dass ich schuld daran bin, es gewollt habe usw. Und jetzt treffe ich durchweg auf Menschen die mir meine Erzählungen glauben. Das heißt nicht, dass ich die Schuld nicht weiterhin auch bei mir sehen, aber es ist ein überwältigendes Gefühl." Birte schlägt kurz die Augen nieder und sieht mich dann intensiv an. „Becky...lass mich ganz offen sprechen." Ich nicke kurz. „Wie soll man dir nicht glauben. Das deine Verletzungen nicht selber zugefügt sein können ist offenkundig. Das noch eine menge mehr passiert ist, leider auch. Auch wenn du noch nicht darüber gesprochen hast. Ich glaube ich spreche nicht nur für mich, sondern auch für alle Anderen, dass wir grade nur darum bemüht sind, das Beste für dich zu wollen. Und ja ich kann verstehen das du Schuldgefühle hast, aber du hast keine Schuld und ich werde nicht müde dir das zu sagen! Leider wird es wie immer im Leben, Menschen geben die dir nicht glauben werden oder dich in Zweifel ziehen, ich hoffe das du zu dem Zeitpunkt stark genug bist.

>Mama...überkommt mich die bittere Erkenntnis<

Obwohl du mir in so kurzer Zeit schon überdeutlich gemacht hast wie viel du ertragen kannst." Wieder rollen Tränen über meine Wangen. Birte kommt zu mir, drückt mich an sich und wischt dann die Tränen fort.„Mama." Gebe ich flüsternd von mir. Sie hält mich an den Schultern fest und sieht mich fragend an. „Mama wird mir nicht glauben und daran Zweifeln." Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.

Birte zieht mich wieder in ihre Arme und atmet langsam ein und aus. „Kleines, ich hoffe das sie ihre Fehler irgendwann einsehen wird." Ich nicke an ihre Schulter gekuschelt und halte sie ganz fest. Als wir uns voneinander lösen flüstere ich ihr ein Danke zu. Sie schüttelt nur den Kopf. „Nicht dafür." Ich lege mich auf mein Bett zurück und bin erschöpft. „Möchtest du etwas ruhe haben? Schlafen oder TV schauen? Dann würde ich mal zumSozialendienst gehen und gucken was ich so in Erfahrung bringen kann." Ich nicke mit einem leichten lächel und nehme mir die Fernbedienung von meinem Tischchen. Birte verschwindet durch die Tür und ich zappe durch das TV-Programm und lasse mich davon einlullen und döse immer mal wieder weg. Als Birte wieder mein Zimmer betritt ist es bereits 15.30 Uhr, sie war also fast zwei Stunden weg. Ich sehe auf und lächel sie an. „Hi!" „Na du, wieder wach?" Grinst Birte mich an und setzte sich zu mir auf einen Stuhl. „Ich bin schon ein bisschen wach, es gab ja schon Kaffee, obwohl das in meinem Fall eher Tee und Kekse waren, aber mal kein Zwieback." Ich zwinker ihr zu und sie lächelt. „Mhh, das Wetter ist immer noch recht schön, wollen wir noch mal in den Park?" Ich setzte mich auf die Bettkante, nicke eifrig und ziehe mir meine Schlappen an. „Sehr gern." Gemeinsam verlassen wir erneut das Gebäude, umrunden es und gehen wie am Morgen den Weg Richtung Teich. Ich stecke meine Händein die Taschen meine Jogginghose und ziehe die Schulter etwas hoch. „Erzählst du mir was der Sozialedienst gesagt hat?" Birte nickt kurz und sieht zu mir. „Eigentlich gar nicht viel. Es ist alles geklärt, wenn die Ärzte morgen bei der Visite deine Entlassung bestätigen wird Frau Schwarz informiert und dann kommt entweder sie oder direkt jemand von der Wohngruppe dich abholen." Ich nicke nachdenklich. „Und dann hat Frau Schwarz gesagt darf ich mir Sachen von zuhause holen." „Ja, ob das direkt morgen sein wird oder am Wochenende, weiß ich nicht. Das werden sie dann mit dir besprechen. Nächste Woche musst du noch nicht wieder zur Schule, aber in der Woche darauf könntest du wieder normal gehen."

>Schule<

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