39.1 Jasmin

1.1K 54 2
                                    

Wir sprachen kein Wort miteinander, er fuhr zu meiner Wohnung und erst dort, fluchte und schrie ich meine Wut aus Leibeskräften heraus. Marius ertrug es schweigend und ich war ihm unendlich dankbar dafür. Irgendwann hatte ich mich beruhigt und ließ mich auf die Couch fallen, er setzte sich zu mir und versuchte mich so gut es ging zu trösten, obwohl es auch ihm sehr schwer fiel. Er ging in die Küche und holte uns etwas zu trinken. Ich stand auf und setzte mich ans Notebook. Schnell fand ich auf YouTube was ich suchte und stellte die Lautstärke höher. Marius blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen und starrte mich an. Er nickte irgendwann leicht auf das. „Sag mir Warum?" Ich drehte mich mit Tränen in den Augen zu ihm und fiel mit in den Text ein. „Nur die Besten sterben jung!" Ich stütze mich auf den Schreibtisch und legt meinen Kopf in die Hände. Hörte nur auf den Gesang und blendet einen Moment alles andere aus. Es war still bis ohne mein Zutun „Geboren um zu Leben von Unheilig" lief.

>Alles brach über mich herein<

Ich bekam Gänsehaut und fing an zu Zittern. Das war das Lied was ich am meisten mit meinem Vater verband. Ich starrt auf den Bildschirm und ließ die Tränen laufen. Marius trat hinter mich und legte mir die Hand auf die Schulter. „Quäle dich nicht selbst." Sagte er als das Lied zu Ende war und ich den Player stoppte. Ich schüttelte den Kopf. „Das verstehst du nicht. Er hat mir gezeigt wie wertvoll Leben ist. Ja das hat er, in dem er es mir zu Hölle gemacht hat!" Ich spürte wie sich sein Griff an meiner Schulter festigte. „Ich werd zu meiner Mutter fahren. Ich muss auf den Friedhof. Abschließen, mit ihm, mit unserer Vergangenheit, mit Allem!"

>Wo kam das plötzlich her<

„Ich muss das machen." „Okay." Sagte Marius schlicht und schwieg wieder. Es tat mir leid, das er grade so überfordert war, aber ich konnte meine Gefühle selbst kaum einordnen. Vielleicht lag es an Jasmin, sie hatte versucht alles aufzuarbeiten und es nicht geschafft. Das durfte mir nicht passieren, ich würde abschließen und mir meine Zukunft aufbauen.

>Für mich und ein bisschen auch für Jasmin<

Ich sprach meine Gedanken laut aus und Marius schluckte hart. „Wow." Flüsterte er in die Stille und drehte sich von mir weg und ging auf den Balkon. Ich biss die Zähne zusammen und schluckte die Tränen hinunter. „Ich kann stark sein. Ich habe Menschen an meiner Seite die an mich glauben, die mich lieben. Die ich liebe." Sagte ich zu mir selbst.

>Wow<

Ich zuckte unmerklich zusammen und sah mich um. Marius stand mit dem Rücken zu mir an der Brüstung. Hatte ich das grade wirklich gesagt. Wenn auch nur zu mir selbst, dachte ich wirklich schon an das „L-Wort" in Verbindung mit Kate. Ich schüttelte den Kopf und ging zu Marius auf den Balkon. Ich stellte mich neben ihn und atmete mehrfach tief durch. Meine Tränen waren versiegt, doch das Unwohlsein blieb. Ich drückte mich näher an Marius und er schloss mich in seine Arme. Ich hielt ihn und spürte wie er weinte. Nun würde ich für ihn stark sein. Eine Weile standen wir so da, bis er sich von mir löste und seine Tränen weg wischte. „Ich kann es nicht glauben." Ich nahm seine Hand und drückte sie. Er lächelte schief und schniefte kurz. Ich erwiderte sein Lächeln. „Es ist okay, auch Männer dürfen weinen." Er räuspert sich. „Fahre wir in die Akademie, ich muss Dampf ablassen." Ich rollte mit den Augen. „Ja das ist die Männliche Methode." Marius ging kurz ins Bad und machte sich frisch, danach kontrollierte ich mein Aussehen und wir machten uns auf den Weg in die Akademie.
Es war noch früh, aber die Tür stand bereits offen. Im Bistro war niemand zu sehen, so warf Marius einen Blick in die Halle und ich ging zum Büro und bleib in der geöffneten Tür stehen. Ralf saß an seinem Computer und schaute auf, sah dann erschrocken zur Uhr und dann wieder mich an. „Hey. Du bist aber früh dran." Ich nickte und atmete tief durch. „Ich... Marius und ich müssen mit euch reden." Ralf zog die Augenbrauen zusammen. „Das klingt ernst." „Ist es auch." Er klickte mit der Maus rum und stand auf. „Dann komm, Nicole müsste auch irgendwo sein." Wir verließen sein Büro und Marius hatte Nicole bereits gefunden die ebenso skeptisch aus der Wäsche guckte. Wir setzte uns in eine der Sitzgruppen und ich bemerkte wie angespannt Nicole war. „Was ist passiert? Ihr seit so ernst?" Platzte es sofort aus ihr heraus. Marius sah mich bittend an und ich holte tief Luft. „Ihr kennt ja beide Jasmin." Ralf und Nicole nickten zeitgleich.
„Und?" Fragte Ralf um mich zum weitersprechen zu animieren. Ich schluckte schwer und erzählte es ihnen. Nicole schüttelte ungläubig den Kopf und sprang förmlich auf. Sie schlug sich die Hände vor den Mund und wirkte aufgebracht. Ralf streckte seine Hand nach ihr aus und zog sie zu sich. So das sie halb auf der Armlehne saß und er den Arm um sie legen konnte. Nicole wischte sich immer wieder die Tränen weg und auch Ralf wirkte geschockt. Er rieb sich über die Stirn. „Damit hab ich nicht gerechnet. Ich mein, sie war länger nicht hier, aber so was." „Das hat niemand." Antwortete ich leise und schluckte gegen die Tränen an. Wir sprachen noch eine Zeit lang bis wir uns irgendwie wieder beruhigt hatte. Ralf wollte ins Büro und es sacken lassen, ob er der Gruppe das erzählen wollte oder nicht, ob die Akademie sammeln wollte für einen Kranz usw. Er war in seinen Gedankengängen schon ein paar Schritte weiter als wir alle.
Marius ging in den Kraftraum und ich blieb mit Nicole zurück und wir versuchten uns gegenseitig zu trösten. Als sie sich wieder gefangen hatte und meinte das sie noch etwas zu erledigen habe, ging auch ich in den Kraftraum. Im Durchgang blieb ich stehen und beobachtete ihn. Marius hatte seine Schuhe und sein Shirt ausgezogen und schlug auf den Boxsack ein. Es wirkte martialisch, wie sich die Muskeln unter seiner Haut bewegten, er immer wieder schwer atmete und Schläge platzierte. „Ich weiß das du da bist!" Sagte er plötzlich und ich grinste schief. „Ich wollte dich nicht stören." Er hielt den Sack fest, atmete durch, aber sah mich nicht an. „Stell bitte die Musik an, wenn du gehst."

ChanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt