10. Dienstag

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Um 6.00 Uhr kam Nadine in mein Zimmer geschlichen und weckte Lotta. Ich war ebenfalls wach, aber fühlte mich total erschöpft von der Nacht. Nadine lächelte mir zu. „Bleib ruhig noch etwas liegen." Ich nickte schwach und hörte Lotta flüsternd protestieren über die Ungerechtigkeit und das sie auch noch müde sei. Nadine lächelte es weg, half ihr aus dem Bett und beide verschwanden aus meinem Zimmer. Ich wälzte mich ein paar mal herum und schaffte es dann tatsächlich noch mal einzudösen. Als ich das nächste mal die Augen öffnete zeige mein Wecker 8.15 Uhr. Ich stand auf schaltete das Radio ein und legte mich wieder auf mein Bett. Wie hatte ich es vermisst gemütlich bei Musik wach zu werden. Nach ca. 20 Minuten beschloss ich aufzustehen und ging meiner Morgenroutine nach. Als ich in mein Handtuch gehüllt vor dem Kleiderschrank stand, ärgerte  ich mich, meine Kleidung nicht vernünftig eingeräumt zu haben. Ich hatte viele Sachen, aber vieles war auch leicht kaputt oder zu klein geworden. Meine Mutter interessierte sich selten für meine Sachen und allein hatte ich keine Lust auszusortieren. Ihr war es wichtig gewesen, dass ich in der Schule vernünftig gekleidet war. Ich suchte mir eine Jeans und eins meiner unzähligen Baseballshirts raus und zog es über. Bevor ich runter ging, lief ich noch mal ins Bad und fasste meine Haare zu einem einfach Zopf zusammen. Unten angekommen war niemand zu sehen. Ich klopfte am Büro und Nadine öffnete mir mit einem lächeln. Sie begleitete mich in die Küche. Ich machte mir Cornflakes und sie nahm sich einen Kaffee. Wir saßen gemeinsam am Tisch und plauderten locker über alles mögliche. „Warst du Sonntag eigentlich mit zur Radtour?" Ich schüttelte den Kopf. „Nee bin spät aufgestanden." Nadine lächelte. „Kennst du denn die Gegend hinter der Unterführung?" Ich schüttelte kauend den Kopf. „Ich hab eher die andere Seite der Wohnsiedlung erkundet. Wo man zu einem Wäldchen und einen kleinen Tümpel kommt." Nadine nickte mir zu. „Dahinter ist doch das Freibad oder?" Ich nickte bestätigend. „Gehst du gern schwimmen?" Fragte sie interessiert.

>Scheiß Frage...<

Ich kaute auf meiner Unterlippe und ließ meinen Blick auf meiner Schale ruhen. „Na ja, früher war ich gern im Schwimmbad. Jetzt....geht es nicht mehr." Aus dem Augenwinkel sah ich die Skepsis auf ihrem Gesicht und das sie überlegte ob sie fragen konnte. Ich bedachte sie mit einem Blick. „Du weißt es nicht oder kannst es dir nicht denken?" Nadine schüttelte den Kopf. „Ich wollte mit der Frage auch keine Wunden aufreißen, tut mir leid." Ich lächelte zynisch. „Und genau darum geht es." „Magst du es mir erzählen?" Sie legte den Kopf leicht schief und sah mich aufmerksam an. „Ungern, aber du wirst es eh von Kirsten erfahren, denke ich." Ich machte eine kleine Pause und überlegte.

„Mein Körper ist überseht mit Narben und verheilte Wunden, so das ich mich nicht in Badesachen zeigen würde." Nadine nickte. „Verstehe." Sie schwieg ein paar Minuten. „Danke." Ich sah irritiert zu ihr. „Wofür?" Sie lächelt leicht. „Für dein Vertrauen, es mir zu erzählen. Das ist nicht leicht, dass kann ich mir vorstellen." Es war mit ihr ähnlich wie mit Birte, sie brachte mich auf eine angenehme Art und weise zum reden und strahlte Vertrauen aus.

Als ich das Thema wechselte und meine Kleidung ansprach, erklärte Nadine sich bereit das mit mir gemeinsam zu machen. Kurz nach dem Frühstück standen wir auch schon in meinem Zimmer vor dem Kleiderschrank. Nadine hatte einen Müllsack besorgt und schon guckten wir Stapel für Stapel durch und sortierten, Pullis, Shirts, T-Shirts und Hosen. Am Ende war mein Schrank ordentlich aufgeräumt, aber deutlich leerer. Dafür lagen einige Sachen mittlerweile neben dem gut gefüllten Müllsack auf meinem Bett. Kleidung die zu klein war, aber die vielleicht noch einen Abnehmer im Haus fand. „Wow, du hast wirklich nicht übertrieben." Sie sah kopfschüttelnd zu dem Sack und dem Kleiderhaufen auf meinem Bett. „Da müssen wir wohl mal Shoppen gehen." „Shoppen? Aber.....Ich hab kein Geld." Nadine nahm auf meinem Schreibtischstuhl platz und winkte lächelnd ab. „Das regeln wir schon, aber drei gute Jeans und zwei die so na ja sind, finde ich wenig." Ich nickte leicht und setzte mich auf das freie Stück auf meinem Bett. „Hauptsache ich sehe in der Schule ordentlich aus, dass war meiner Mutter wichtig." Nadine nickte und sah sich ein wenig um. „Sonst sieht es aber recht gut aus." Sie deutete mit dem Kopf zum Regal. „Dein Musikgeschmack ist, sagen wir mal, recht ausgefallen?!" Sie lächelte schief. Ich verdrehte die Augen. „Katja?" Sie nickte. „Sie hat einiges Dokumentiert und das man das noch mal diskutieren müsste, was du so hörst." „Sie hört das doch auch." Konterte ich und lächelte leicht. Nadine schüttelte amüsiert den Kopf. „Katja ist auch volljährig. Und über die politische Einstellung der Bösen Onkelz lässt sich ja streiten." Ich schüttelte den Kopf. „Diese Meinung teile ich aber nicht und mir gefallen auch nur einige Lieder und nicht alles." Sie schaute mich leicht überrascht an. „Du hast dich damit beschäftigt?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab Politik in der Schule, also weiß ich was rechts, links, mitte zu bedeuten hat und die Diskussionen über die Onkelz waren ja auch kein Geheimnis." Nadine nickte anerkennend. „Also das war nie mein Genre, von daher kenne ich kaum etwas von ihnen. Katja meinte du kannst dich darüber ausdrücken." Ich sah auf meine Hände, meine grade noch vorhandene Selbstsicherheit war verflogen. „Es kam gestern ziemlich viel hoch und ich hab ihr einiges mit Liedern vor den Kopf gehauen." Gab ich kleinlaut zu. Nadine lächelte mich aufmunternd an. „Kein Grund sich zu schämen, es war sehr hart gestern und dann müssen einige Dinge nun mal raus und Katja kann da durchaus mit umgehen." Ich nickte leicht. „Möchtest du mir davon erzählen?" Ich atmete tief durch und überlegte. „Es fühlt sich beschissen an, immer wieder sagen zu müssen mir ist das und das passiert." Nadine nickte und sah mich an. „Das Stimmt, aber ich möchte dich kennenlernen, wissen wie du tickst, was du magst und was nicht." Ich legte den Kopf schief und lächelte leicht. „Okay, also was ich an Musik mag weißt du schon mal und was ich hasse sind Bananen und Würstchen!"

>Hauptsache sie fragt nun nicht nach dem Grund<

Nadine nickte wissend. Ich war leicht verwirrt, dass hätte ich nicht erwartet. Ich hatte mir schon auf die Zunge gebissen es gesagt zu haben, weil sie sicher fragen würde warum, aber nichts. Nadine senkte kurz den Blick und schaute dann zu mir auf. „Das ist doch schon mal ein Anfang. Und du magst Rätsel." Sie deutete mit dem Stift in der Hand auf das Heft auf dem Tisch. „Stimmt." Wir lächelten beide. Ich vermutlich mehr aus Erleichterung, dass sie es ohne Erklärung hin nahm oder es sich vielleicht denken konnte. Um das Thema zu wechseln deutet ich auf meine Uhr, die noch in einer Kiste lag. „Ähm, die würde ich gern aufhängen. „Kein Thema, das bekommen wir wohl hin." Also schaffen wir erst mal deine Klamotten hier in den Keller und besorgen uns einen Hammer und einen Nagel. Keine 15 Minuten später standen wir zusammen vor meinem Schreibtisch über dem nun die Uhr hing. „Super, vielen dank." „Nicht dafür." Nadine grinste und wog den Hammer in ihrer Hand. „Dann bring ich den mal wieder runter. Und was hast du vor?" „Die Sachen aus der letzten Kiste verstauen und meine Schulsachen in Ordnung bringen." „Fleißig, fleißig." Kommentierte sie grinsend und verließ mein Zimmer.

So war ich bis zum Mittag beschäftigt. Danach half ich Nadine bei der Vorbereitung für das Mittagessen. Nach dem Essen verbrachte ich Zeit mit Caro und Anke und wir hörten gemeinsam Musik. So verlief der Tag recht entspannt, ebenso wie das Abendessen. Als ich es mir mit den Anderen vor dem Tv gemütlich machen wollte, rief mich Moritz zu sich. Ich ging zu ihm ins Büro und auch Katja folgte mir. Er bot mir an mich auf die Couch zu setzten und Katja setzte sich neben mich auf die Armlehne der Couch. Es fühlte sich merkwürdig an. „Was ist los?" Fragte ich verunsichert. Moritz schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, es ist alles okay. Ich hab vorhin einen Anruf bekommen. Die Polizei möchte dich morgen erneut befragen." Ich nickte leicht. „Okay." Katja lächelte mich aufmunternd an. „Nadine wird dich dahin begleiten, du bist nicht allein" Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, ist gut."

>Ich muss die Scheiße, aber allein erzählen<

Moritz lächelte mir ebenfalls zu. „Gut, das ist morgen Vormittag." Ich nickte nur. Katja strich mir kurz über den Rücken und ich sah zu ihr hoch. „Es gibt auch noch etwas schönes. Deine Oma hat angerufen und möchte sich mit dir Treffen." Mir fiel fast die Kinnlade herunter. „Oma will mich treffen?" Katja lächelte. „Ja, wenn es dir recht ist." Ich nickte, war mir aber unsicher was ich davon halten sollte. „Keine Sorge, sie kommt am Freitag Vormittag her da habt ihr ruhe im Haus und wir sind jeder Zeit da, wenn du dich unwohl fühlen solltest."

>Oma kommt<

Ich spielte nervös mit meinen Händen im Schoss. „Ich weiß nur nicht was ich davon halten soll. Was weiß sie, was haben meine Eltern ihr gesagt?" Moritz schüttelte den Kopf, dass Jugendamt ist bemüht das der Kontakt zu deiner Familie nicht verloren geht. Sie weiß wohl was vorgefallen ist und möchte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten kümmern." Ich atmete tief durch und versuchte ein leichtes lächeln. „Okay." Beide lächelten mir zu. „Das wars schon, sagte Moritz." Ich stand langsam auf, bedankte mich und ging zu den Anderen ins Wohnzimmer.

Jason lächelte mich fröhlich an und klopfte auf den freien Platz neben sich. Ben grinste schief. „Was ein süßes Paar!" Kommentierte er trocken. Jason und ich guckten ähnlich schockiert und alle lachten.

>Niemals<

Auf das TV- Programm konnte ich mich nicht konzentrieren, zu viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Morgen zur Polizei, Birte kommt mich besuchen, Oma kommt her und nun nagte ich auch noch an der dummen Bemerkung von Ben rum. War Jason darum so nett zu mir, weil er eine Freundin suchte. Ich dachte an das einzige was grade positiv war.

>Birte kommt!<

In Gedanken versunken starrte ich auf den Bildschirm bis Kirsten kam und uns nacheinander ins Bett schickte. Bei leiser Musik schaffte ich es erstaunlich schnell einzuschlafen, aber schon nach wenigen Stunden schreckte ich wieder schweißnass aus einem Alptraum hoch. Kirsten sah kurz nach mir, ich zog mir etwas frisches an und kurz darauf stand Lotta in der Tür. Es wurde eine angenehme Gewohnheit, dass sie jede Nacht zu mir ins Bett kam und mir halt gab.

>Lotta, mein Seelentröster<

ChanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt