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Zuerst hatte Jannik sich geziert. Weshalb sollte er dieser Kommissarin den Gefallen tun und Stellas Zimmer renovieren, die ganze verfluchte Arbeit noch einmal machen? Niemals! Doch irgendwie hatte diese Frau Sieben auch was Cooles an sich gehabt. Wie sie beide da so auf dem Baumstamm gesessen und geraucht hatten, das war schon was gewesen. So sehr viel älter als er konnte sie nicht sein. Höchstens zehn oder zwölf Jahre. Etwa so alt wie Stella. Beide Frauen empfand er als ziemlich unnahbar und das lag nicht nur am Altersunterschied. Sie schienen zu wissen, was sie vom Leben wollten, standen mit beiden Beinen im Hier und Jetzt. Selbst als es Stella schlecht ging, empfand Jannik sie noch immer als stark und selbstbewusst. Als sie ihn bat, ihr bei der Renovierung des Zimmers zu helfen, hatte er sofort zugesagt. Damals war es ihr schon wieder besser gegangen, nach einer Zeit der Niedergeschlagenheit und Schweigsamkeit. Sie lachte wieder und erlaubte sich Scherze mit ihm. Plauderte über zukünftige Reisen in ferne Länder.
Natürlich hatte er nicht ein einziges Mal nein gesagt, wenn sie ihn fragte, ob er sie beim Pilzesammeln begleiten wollte. Er nutzte jede Minute, um mit Stella zusammen zu sein. Er hatte sie gemocht. Vielleicht sogar ein bisschen mehr als das. Wahrscheinlich waren die mit Zaubersymbolen bekritzelten Wände in ihrem Zimmer deshalb ein solcher Schock für ihn gewesen. Das musste das Werk einer Wahnsinnigen sein, einer kranken Seele. Das jedenfalls waren seine ersten Gedanken gewesen. Hatte er sich in Stella getäuscht? Was verbarg sich hinter der Fassade dieser geheimnisvollen Frau?
Natürlich war er in Panik geraten, als Bullerjahn zusammen mit einem Kollegen bei ihm auftauchte. Stella hatte lange bei ihnen im Gasthaus gelebt und gearbeitet. Er hatte Zeit mit ihr verbracht, war in sie verliebt gewesen. Unter keinen Umständen wollte er in Verdacht geraten, Stella getötet zu haben. Er wollte nichts sagen, nichts hören, wollte nur noch weglaufen. Das mit dem Kuli tat ihm leid. Das hatte er so nicht gewollt. Kurzschlusshandlung eben. Jannik war froh, dass Bullerjahn ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte und dass er am Ende doch noch mit einer Polizistin hatte sprechen können. Der Waldspaziergang mit Melinda Sieben hatte sich nicht wie eine Befragung angefühlt, eher wie ein Waldtrip mit einer guten Bekannten. Hinterher hatte es ihm fast schon leidgetan, dass er ihr nicht mehr über Stella hatte erzählen können.

Jannik ärgerte sich darüber, dass die Ermittlungen nicht vorangingen, dass niemand wusste, wer Stella umgebracht hatte und weshalb sie gestorben war. Die Medien blieben seltsam stumm. In der Zeitung fand man nichts als haltlose Verdächtigungen und Vermutungen irgendwelcher Provinzredakteure. Erst heute veröffentlichte der Kreisanzeiger den ersten großen Bericht über den Fall. Man hatte Stellas Gesicht digital nachkonstruiert und suchte nun nach Augenzeugen. Offenbar hatte es in der Ermittlergruppe personelle Veränderungen gegeben, doch das interessierte Jannik nicht weiter.

Gestern, beim Blick in den Eimer mit der weißen Wandfarbe, war ihm schließlich die Idee gekommen. Er musste selbst aktiv werden, ein bisschen in der Gegend herumstochern und schauen, ob er nicht ein paar Leute aufschrecken konnte, die mit Stellas Tod in Verbindung standen. Wenn die Polizei nicht in die Strümpfe kam, dann musste er selbst aktiv werden. Hinterm Haus, unter einer von Moos überzogenen Plane, fand er was er suchte. Handliche Pflastersteine, die beim Bau der Einfahrt übrig geblieben waren. Jannik hatte gezählt und war auf fünf potentiell Verdächtige gekommen, mit denen er beginnen wollte. Die fünf Mitglieder der Gramberger Skatrunde. Der alte Joost, Martin mit der platten Nase, der spindeldürre Lothar, der rothaarige Peter und Jan der Förster, auch wenn es Jannik in der Seele schmerzte, diesem ein Fenster einzuschmeißen. Er war immer freundlich und hilfsbereit, gehörte aber nun einmal auch zu den fünf Männern, die er in den vergangenen Wochen am häufigsten in Stellas Nähe gesehen hatte. Seinen eigenen Vater konnte Jannik außen vorlassen. Dessen aufgelöstes Gesicht, als man ihm die Nachricht von Stellas Tod überbrachte, würde Jannik niemals vergessen.

Den Ablauf seines Plans stellte er sich so vor: Totenkopf auf Pflasterstein malen, Scheibe einschmeißen und beobachten, ob der Betroffene die Polizei anrief. Dafür brauchte Jannik das Fernglas. Er wusste in welchem Schrank sein Vater es verwahrte. Jannik wollte das Haus beobachten und nach Streifenwagen und Polizisten Ausschau halten. Sein Gedanke: wer etwas auf dem Kerbholz hatte, holte sich nicht die Staatsmacht aufs Grundstück. Jannik hielt seine List für unwiderstehlich, doch nachdem er den ersten Stein durch Jan Dresslers Wohnzimmerfenster gepfeffert hatte, fühlte er sich so hundeelend und niedergeschlagen, dass er die übrigen vier Steine im Wald vergrub und reumütig nach Hause schlich. Er schämte sich. Zum einen für sein überschäumendes Temperament, zum anderen für seinen Plan, den er inzwischen für eine absolute Schnapsidee hielt. Vielleicht war es erfolgversprechender, eine Observation der fünf Skatmänner durchzuführen. Er wusste auch schon, wen er für eine solche Operation ins Boot holen konnte. Die hübsche Sophie aus der Parallelklasse, auf die er schon länger ein Auge geworfen hatte. Soweit er wusste, konnte sie sehr gut mit Fotoapparaten umgehen.

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt