Der muffige Geruch nach Mottenkugeln stieg ihnen in die Nasen. Melinda und Arndt schoben alte Schuhe, zusammengerollte Decken, staubige Mäntel und löchrige Holzfällerhemden zur Seite, um wenigstens ein bisschen Platz für sich zu haben. Am Ende hockten sie so dicht nebeneinander, dass sie den Atem des anderen im Gesicht spürten. Die Gewehre hielten sie noch immer fest umklammert und schussbereit. Wenn jemand den Schrank öffnete, konnten sie sie blitzschnell ziehen und feuern. Arndt räusperte sich umständlich.
»Melinda ...« Er flüsterte.
»Was gibt's?«
»War es Richard Harms, der dich hierher ...?«
»Nee.«
Arndt kratzte sich am Kopf. Er griff nach dem Ärmel eines Hemdes und presste ihn sich aufs Gesicht. Melinda roch wirklich übel.
»Sondern?«
»Dressler, dieses Schwein.«
»Dressler?«
»So sieht's aus!«
»Ich glaub's nicht ...«
Melinda wechselte ihre Sitzposition. Jetzt saß sie mit dem Rücken zu Arndt und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.
»Ich weiß schon lange nicht mehr, was ich noch glauben soll!«
Erst zögerte er. Dann streckte er aber doch die Hand aus und strich Melinda über das kurze, ungewaschene Haar.
»Was sagt die maigrüne Spange?«
Melinda zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Habe ich verloren.«
»Blöd!«
»Richtig blöd.«
Das Poltern an der Tür wurde heftiger. Der Tisch schrammte hörbar über die Holzdielen. Der letzte der Revolverhelden betrat die Jagdhütte. Arndts Stimme war bloß noch ein Hauch.
»Was wollen die von dir?«
Melinda griff nach seinem Gesicht. Strich ihm über die Wange.
»Sie haben mich mit Dressler gesehen. Denken, ich wäre seine Frau oder Freundin. Er hat irgendwelchen Mist gebaut. Scheint sich auf finstere Leute eingelassen zu haben. Glaube, es geht um Geld. Der Anführer nennt sich ›der General‹ ...«
Arndt schluckte. Diesen Namen kannte er. Ein besonders brutaler Fall vor vielen Jahren. Zwei Tote im Glücksspielmilieu. Die Täter waren entkommen und der General mit einem wasserfesten Alibi davongekommen.
»Mit denen ist nicht zu spaßen, Melinda.«
»Erzähl mir was Neues! Sie haben Dresslers Haus abgefackelt und sein Auto in die Luft gejagt. Ich konnte gerade noch ...«
Arndt strich ihr noch einmal übers Haar und berührte ihren Nacken. »Dressler war im Wagen?«
Sie nickte stumm. »Er hat seine gerechte Strafe erhalten!«
»Wie meinst du das ...?«Die schweren Schritte kamen näher. Arndt und Melinda hörten wie Gegenstände durch die Gegend geschmissen wurden. Etwas flog gegen die Schranktür. Wohl unbeabsichtigt, denn die Schritte entfernten sich in Richtung Badezimmer. Ein Duschvorhang wurde hörbar zur Seite gerissen, Wandschränke geöffnet und Gefäße durch die Gegend gepfeffert.
»Keine Schmerztabletten hier? Verdammt, was ist das für ein Laden? Kein Ibuprofen? Kein Antibiotikum ...?«
Arndt spürte wie ihm ein winzig kleiner Stein vom Herz fiel. Der letzte der General-Lakaien sorgte sich offenbar mehr um das Wohlergehen seiner Kameraden, als um die Liquidierung der säumigen Zahler. Doch das musste nicht so bleiben. Arndt fasste sich ein Herz.
»Melinda?«
»Leise!«
»Melinda?«
»Was ist?«
»Wenn wir das hier nicht überleben, dann möchte ich dir doch wenigstens gesagt haben, dass, dass ...«
»Sei still!« Sie knuffte ihm mit dem Ellenbogen in den Bauch. Es tat höllisch weh.
»Aber ich ...«
»Klappe! Hörst du das?«
Arndt stellte die Lauscher auf. Tatsächlich. Hinter dem Gezeter des Revolvermannes, der offenbar doch noch die richtigen Schmerzmittel gefunden hatte, stieg ein weiteres Geräusch empor. Das Brummen von Motoren. Waren das Helikopter oder Motorräder? Jemand kam ihnen zu Hilfe. Christiansen hatte Arndts Bitte offenbar erhört. Der Kerl vor dem Schrank lief aus dem Haus, nur um nach kurzer Zeit zurückzukehren, brüllend, heulend. »Mann, ihr habt ihn umgebracht! Ihr habt ihn umgebracht! Wo seit ihr? Zeigt euch, ihr verfluchten Bastarde!« Wieder flogen Sachen durch die Hütte. Arndt tippte auf Gläser, Teller und Kühlschrankinhalte. Schließlich war der keuchende Atem des Mannes ganz nah. »Ihr habt euch doch nicht etwa im Schrank versteckt?« Arndt und Melinda hielten die Luft an. Das Motorengeräusch war lauter geworden. Was auch immer dort draußen herumfuhr oder flog, es war jetzt in unmittelbarer Nähe. Eine Megafonstimme hallte durch das Tal. »Hier spricht die Polizei! Ergeben Sie sich und kommen Sie mit erhobenen Händen aus dem Haus!«
Die Schranktür wurde aufgerissen und die Mündung einer Pistole schaute herein. »Na, wer von euch Hübschen möchte als erster Bye Bye sagen?« Der Revolvermann grinste dreckig und entblößte dabei eine Reihe krummer, dreckiger Zähne. Arndt und Melinda zückten die Gewehre, doch zu spät. Ein Schuss peitschte durch die Jagdhütte. Dreckzahn verdrehte die Augen, knickte zur Seite und rollte leblos auf den Boden.In der Eingangstür stand ein Mann, der in gemächlichem Schritt auf Arndt und Melinda zukam. In seinem Mundwinkel hing ein brennender Zigarillo. »Wird es etwa zur Normalität, dass ihr in irgendeiner Hütte oder einem Schrank festsitzt und ich euch den Arsch retten muss?« Bullerjahn lachte und zog an seinem Glimmstengel. Seine Nase und seine Wangen leuchteten rot. Auf dem Kopf trug er eine Art Fliegerhelm mit Schutzbrille. »Ich bin schon mal vorgefahren, der Hubschrauber mit den Experten kommt gleich.« Er zeigte nach draußen. »Unglaublich, was der Fuhrpark des Präsidiums alles beherbergt. Ein Schneemobil, stellt euch das vor! Tolles Ding!«
Er half Melinda und Arndt über den Körper des Revolvermannes hinweg aus dem Schrank zu klettern. »Sie nicht schön aus da draußen. Ihr habt den Kerl direkt am Hals getroffen. Viel Blut auf unschuldigem Schnee!« Wieder lachte er. Es klang erleichtert, trotz aller Dramatik der Umstände. Er begutachte ihre Verletzungen. »Melinda, Schulterschuss, okay. Kriegen wir hin. Arndt, Streifschuss Hüfte? Lässt sich reparieren.« Er reichte ihnen Wolldecken und drückte sie auf die Küchenbank. Dann setzte er Wasser für einen Tee auf. »Wenn ihr hier noch irgendwas klären wollt bevor die Experten alles in Beschlag nehmen, dann jetzt!«
Melinda sah sich um. Jan Dresslers Jagdhütte. Wie oft waren Iris und er hier gewesen? Was hatten sie hier getan? Sie konnte es sich vorstellen. Jan war tot, was sollte sie noch in seinen Sachen herumwühlen? Was sollte das bringen? Wie sinnvoll war es, Beweismittel eines Toten zu vernichten? Überhaupt, wollte sie das? Sicherlich nicht. Bullerjahn wandte sich an Arndt. »Wie ist es mit dir?«
Schulterzucken. »Nicht mehr mein Fall!«
Arndt und Melinda schlürften Fencheltee mit Zucker während Bullerjahn sich in der Hütte umsah. Schließlich kam er mit einer durchsichtigen Aufbewahrungskiste und einem roten Wanderrucksack zu ihnen zurück. »Kaum hast du Antworten auf deine Fragen gefunden, tauchen auch schon neue Fragen auf. Das Leben ist die reinste Wunderkiste ...« Mit diesen Worten wuchtete er den Wanderrucksack neben Melinda auf die Bank und zog etwas aus einer der Reißverschlusstaschen. Es war ein Personalausweis. Melinda sah das Bild. Sie las den Namen und erblasste.
»Frankys Rucksack? Wie kommt der hierher?«
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Pilzgericht (Krimi)
Misterio / SuspensoDer zweite Fall für Holler & Sieben. Eine Tote im Pilzkorb, ein verliebter Förster, ein mysteriöses Phantom, ein Wald voller Geheimnisse und eine Vergangenheit, die einfach nicht ruhen will. Für Holler und Sieben kann es nur heißen: Zähne zusammen...