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Arndt balancierte zwei Kuchenpakete in die Küche und ließ sie auf die Arbeitsplatte gleiten.

„Zitrone-Sahne, Kirsch-Sahne, Schwarzwälder Kirsch, Donauwelle und ein paar trockene Vollkorntaler." Er lachte. Der Gefühlsausbruch von vorhin schien vergessen. Melinda war skeptisch.

„Will er wirklich bloß Kuchen mit uns essen, oder führt er noch was anderes im Schilde?"

„Kann mir vorstellen, dass er über Winkler sprechen will."

„Und wie wir da heile durchkommen."

„Vielleicht."

„Sowas wie ein Strategiegespräch."

„Könnte sein. Oder Bullerjahn hält uns eine Dankesrede. Er klang gut gelaunt."

Bullerjahn stand schon um halb vier vor der Tür. Anders als erwartet kam er allein, ohne Bea. Er freute sich über den Kuchen. Arndt hatte den Kaffeetisch im Wohnzimmer gedeckt. Dort war es gemütlicher als an dem kleinen Küchentisch. Der Kuchen schmeckte handgemacht. Echte Sahne, echte Früchte. An der Ostsee hatte es nur Tiefkühlkuchen gegeben. Dafür war dort das Licht ein anderes gewesen. Arndt sah aus dem Fenster. Es schneite nur noch leicht. Immer wenn vorbeifahrende Autos durch den geschmolzenen Schnee pflügten, hörte man das Schmatzen des Wassers. Laut Wetterbericht sollte es in den kommenden Tagen wärmer werden. Wir haben das Pilzsammeln vergessen, dachte er. Wer Anfang September in den Harz kommt sollte Pilze sammeln gehen.

„Können mir die Herren nachher etwas aus dem Keller herauftragen?" Bullerjahn leckte sich etwas Sahne vom Finger und sah Melinda amüsiert an.

„Wenn es keine Weinkiste ist!" Er zwinkerte Arndt verschwörerisch zu. Natürlich, Bea hatte Bullerjahn von der peinlichen Begegnung mit den neuen Kollegen erzählt. Was glaubte er? Dass alle Frauen zu heimlichen Saufgelagen neigten?

„Eine Truhe. Sie ist schwer."

Bullerjahn zog die Augenbrauen hoch.

„Sie waren doch aber nicht in Schraders Keller ...?"

„Warum?"

Melinda fühlte sich ertappt. Bullerjahn sah sich um bevor er weitersprach, als befürchtete er einen Lauscher, der sich hinter dem Sofa versteckt hielt.

„Als man das Knabengymnasium 1985 mit dem Städtischen Gymnasium zusammenlegte und das Schulgebäude zum neuen Präsidium wurde, hat man alles in diesem Haus umgebaut. Alles bis auf Schraders Kellerraum. Den hat man nicht angerührt. Der Kerl war etwas speziell, wenn sie verstehen, und die Leute, nun ja, sie waren schon damals recht abergläubisch."

Melinda verstand kein Wort. Gut, Schrader schien ein waschechter Nazi gewesen zu sein, der sich sein restliches Leben lang nicht von seinen Vorstellungen distanziert zu haben schien. Weshalb hatten sie den Keller damals nicht ausgeräumt? Weg mit dem Zeug, und gut war's.

Zwei Tortenstücke und ein abgebrochener Keks lagen noch auf dem Keller. Die Kaffeekanne war leer, ebenso die Teekanne. Melinda, Bullerjahn und Arndt hatten sich in die Polstermöbel zurückgelehnt und schwiegen gesättigt. Draußen war es dunkel geworden. Ein leichter Regen klopfte zart, wie hunderte kleiner Kinderfinger an die Fensterscheiben. Bullerjahn raffte sich als erster auf etwas zu sagen.

„Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich sie neulich so kurz entschlossen am Kino stehengelassen habe. Ihr Anfall ..."

Er zeigte auf Arndt. „Ihr Anfall hat mich völlig von den Socken gehauen. Tut mir leid. Hat mich wahrscheinlich an meinen Vater erinnert. Ich war fünf als er krank wurde. Auch er hatte ständig diese Zuckungen. Epilepsie. Mit vierzig ist er gestorben."

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt