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Erst konnte sie Zippo im verschneiten Garten nicht ausmachen, doch als Melinda die Gartenpforte mit dem Fuß ins Schloss drückte, schoss er hinten bei den Brombeersträuchern aus seinem Versteck und sprang so ungestüm an ihr hoch, dass ihr die auf dem Arm so sorgfältig ausbalancierten Holzscheite vor die Füße fielen.
»Na mein Großer, hast du unser neues Zuhause hübsch bewacht?«
Sie ging in die Knie und kraulte Zippo zwischen den Ohren. Dabei bemerkte sie sein erdverschmiertes Maul und die dreckigen Pfoten.
»Hast du wieder Möhren ausgegraben? Armer Hund, bekommst nichts zu fressen!«
Sie brauchte Hundefutter und musste den Kühlschrank auffüllen, sonst würde auch sie irgendwann das verbliebene Gemüse vom Sommer aus der Gartenerde graben. Die mageren 400 Euro auf ihrem Konto wollten klug eingesetzt werden. Ein kleiner Einkauf kostete etwa 30 Euro. Damit kam sie durch die nächste Woche. Mit 50 Euro wollte sie eigentlich Sophie von der Tankstelle überreden, das verunstaltete Zimmer der falschen Stella zu renovieren. Welche Schnapsidee! Erstens wusste Melinda gar nicht, was Sophie handwerklich drauf hatte, und zweitens waren 50 Euro nicht gerade ein Vermögen, mit dem sich ein Teenie hinter dem Ofen hervorlocken ließ. Mehr Geld konnte sie für die Renovierung jedoch unmöglich ausgeben.

Sie sammelte die nassen Holzscheite auf und trug sie ins Gartenhaus, wo sie sie feinsäuberlich unter dem Ofen aufstapelte. Dann ging sie zur Eckbank, nahm Stellas Fallakte heraus und blätterte sie durch. Grambergs Nummer fand sie schnell. Es dauerte eine Weile bis er abnahm. Ob er noch immer im Bademantel durchs Haus lief?
»Ich bin's nochmal, Melinda Sieben. Kann ich Jannik kurz sprechen?«
Sie hörte wie Gramberg die Treppe hinaufstapfte, die Wohnungstür aufstieß und nach seinem Sohn rief. Wenige Sekunden später war Jannik am Apparat.
»Frau Kommissarin, das ging aber schnell!«
»Ja, das ging schnell! Hör zu, ich habe mir Folgendes überlegt. Dein kleines Liebesgeheimnis, die Jannik-Stella-Sache, ist bei mir sicher.«
Atempause.
»Dafür tust du mir einen Gefallen. Als ich heute bei euch war, musste ich Stellas Zimmer leider etwas genauer unter die Lupe nehmen ...«
»Soll heißen?«
»Es muss noch einmal renoviert werden.«
»Aber ...«
»Morgen rückt bei uns eine Sondereinheit aus Hannover an. Kann mir vorstellen, dass die Damen und Herren sehr unangenehme Fragen stellen! Du verstehst? Lass das Hexengekritzel verschwinden! Eine Hand wäscht die andere, Sportsfreund! Ach ja und es wäre sehr nett von dir wenn du das Ganze bis morgen erledigst und mir anschließend ein Beweisfoto schickst!«
Melinda hörte Jannik leise fluchen, ignorierte es jedoch. Sie gab ihm ihre Nummer, wünschte ihm einen schönen Tag und legte auf.

Die Tür des Gartenhauses stand noch offen, Schnee wehte herein und bildete zarte Puderstreifen auf dem Holzboden. Melinda sah auf ihr Handy. In zwanzig Minuten begann die Pressekonferenz im Präsidium. Zum ersten Mal würden Details zum Tod Stella Blumes bekannt gegeben, die alle in der Stadt kursierenden Gerüchte, da war sie sich sicher, auf einen Schlag hinwegfegten. Sie war neugierig, wie realistisch Phantombild-Lissi das Gesicht der falschen Stella rekonstruiert hatte. Von der Qualität des Fotos hing im großen Maße ab, wie hilfreich die Hinweise aus der Bevölkerung ausfielen. Arndt hatte ihr das Bild bisher nicht geschickt. Hieß das, es gab kein Bild oder hatte er es schlichtweg vergessen?
Zippo lag zusammengerollt im Garten und kaute an einem Stück Holz herum. Melinda rief nach ihm, doch er hob nur kurz den Kopf und widmete sich dann wieder seiner Beute. Sie überlegte, ob sie Arndt anrufen und ihm viel Glück für die Konferenz wünschen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Stattdessen rief sie Bullerjahn an und kündigte ihm einen weiteren Besuch von Eberts Archiv an. Vielleicht Donnerstag oder Freitag, je nachdem wie sie mit ihrem persönlichen Kram vorankam. Sie sagte Kram, weil sie nicht den Eindruck hinterlassen wollte, dass sie sich von morgens bis abends mit dem Mord an Stella Blume beschäftigte, obwohl sie genau das tat.
Melinda griff nach einer Scheibe Knäckebrot und biss hinein.
»Wirst du etwas zu Stellas Identität sagen? Wirst du sagen, dass Stella Blume gar nicht Stella Blume ist?«
Sie konnte Bullerjahn am anderen Ende der Leitung herumdrucksen hören.
»Melinda, Christiansen hat uns den Fall weggenommen. Die Kollegen aus Hannover sind schon seit heute Mittag da, lümmeln in deinem Büro herum, schlürfen Kaffee und knabbern Kekse. Arndt, Skagen und ich haben vor einer halben Stunde die Übergabe gemacht.«
Melinda glaubte, sich verhört zu haben. Sie schluckte. Mit allem hatte sie gerechnet. Dass Bullerjahn und Arndt weiterhin eingebunden blieben, dass die Kollegen aus Hannover ihnen bloß zuarbeiten würden. Doch nicht, dass sie den kompletten Fall loswurden.
»Und nun?«
»Nichts und nun. Der Drops ist gelutscht. Nach der Stella-Sache wird Christiansen unsere Abteilung endgültig abwickeln.«
Melinda hörte das Rascheln von Papier und im Hintergrund das Zischen einer Kaffeemaschine.
»Ist sie wieder heil?«
»Meine Tochter hat mir eine neue geschickt. Dieses Mal eine richtige, mit Mahlwerk und Milchaufschäumer.«
»Wie heißt deine Tochter eigentlich?«
»Rona. Sie ist Grundschullehrerin in Hamburg.«
»Hübscher Name. Erzählst du mir mehr von ihr, wenn wir uns am Samstag zum Essen sehen?«
Wieder Papierrascheln, dann ein Schmatzen. Melinda wertete das als Zustimmung.
»Die falsche Stella hat die Wände ihres Zimmers mit Beschwörungsformeln vollgekritzelt. Beide Grambergs erzählten mir, dass sie Angst gehabt hat. In den Wochen vor ihrem Tod hat sie nicht im Gasthaus, sondern woanders gewohnt.«
Stille.
»Bullerjahn, bist du noch dran?«
Die Kaffeemaschine war verstummt. Melinda hörte den alten Dielenboden in Bullerjahns Büro knarzen. Tassen klimperten aneinander. Stimmen im Hintergrund. Ah, das nenne ich einen echten Kaffee! Da macht die Arbeit doch gleich doppelt so viel Spaß! Sind noch Kekse da? Wieder Schritte. Wieder Papierrascheln.
»Bullerjahn? Servierst du etwa den Typen aus Hannover Kaffee?«
Schweres Ausatmen am anderen Ende.
»Der Fall ist gelaufen Melinda und es wäre gut, wenn auch du deine Finger da heraushieltest! Und keine Sorge, die neuesten Erkenntnisse haben wir für uns behalten. Wäre ja noch schöner, wenn wir diesen Schnöseln alles auf dem Silbertablett servieren. Die sollen sich selbst anstrengen!«
Bullerjahn lachte heiser, doch wirklich fröhlich klang er nicht.
»Habe schon was Neues auf dem Tisch. Oben in Riefensbeek gab es letzte Nacht einen Einbruch. Schmuckdiebstahl. Der Hausbesitzer wurde niedergeschlagen.«
»Klingt aufregend.«
»Sehr!«
»Sind Einbrüche nicht eigentlich Steffens Baustelle?«
»Der ist Vater geworden. Hat eine Woche Urlaub genommen.«
»Und Petersen?«
»Der kümmert sich um den Kleinkram. Ich muss jetzt los!«
»Machs gut, Bullerjahn!«
»Melde dich nochmal, wenn du ins Archiv willst!«
Sie legte auf und warf das Handy auf den Tisch.

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt