Den Geländewagen hatte Jan Dressler dieses Mal hinter der Hütte geparkt, wo er weder von der Forststraße noch von den unterhalb verlaufenden Wanderwegen aus gesehen werden konnte. Im Notfall konnte Jan durch die Hintertür hinauslaufen und mit dem Wagen durch den Wald entkommen. Er kannte Wege durch den Forst, die andere nicht einmal erahnten.
Die Eingangstür hatte er verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Seit über eine halbe Stunde wischte er die Bilder auf seinem Handy hin und her, vergrößerte sie, verkleinerte sie. Ohne Ergebnis. Die Stellwände mit den Ermittlungsergebnissen enthielten nicht den kleinsten Hinweis auf Stellas Schatz. Konnte es sein, dass diese überbezahlten Superermittler selbst noch nicht dahintergekommen waren? Wussten sie überhaupt mit wem sie es bei Stella zu tun hatten? Oder waren sie im Bilde und hatten ihre Erkenntnisse aus lauter Nachlässigkeit nicht auf den Stellwänden verewigt? Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Glück im Spiel, Geld in der Liebe. Was war denn nun richtig? Was traf auf ihn zu? Jan kratzte sich an der Stirn bis die Haut brannte und entschied sich für das Letztere. Glück im Spiel, Geld in der Liebe. Der falsch gestickte Spruch seiner Mutter. Wie sehr wünschte er sich, dass dieser auf ihn zutraf, doch dem war nicht so. Weder war ihm das Glück in der Liebe hold, noch das Glück in Sachen Finanzen. Dabei benötigte er das Geld so dringend! Melinda wusste über alles Bescheid, da war er sich sicher. Sie war klug, entscheidungsstark. Sie konnte um die Ecke denken und sie war zentraler Teil des Ermittlerteams. In ihrer schäbigen Kladde hatte nichts zu Stellas Schatz gestanden. Weshalb auch? Noch heute würde er sich für seine kindische Hoffnung am liebsten ohrfeigen. Keine Polizistin, die etwas auf sich hielt, schrieb Ermittlungsergebnisse in ein schäbiges Notizbuch und stellte es sich ins Bücherregal ihrer Gartenhütte. Er dachte nach. Wischte erneut die Bilder von rechts nach links und wieder zurück. Die ganze Arbeit, die ganze Verkleiderei. Alles für die Katz.
Auf dem Kopf trug er noch immer die Mütze der Adam Technik GmbH. Nur gut, dass ihn diese Wuchtbrumme im lila Kleid nicht zu fassen gekriegt hatte. Ob jemand das Nummernschild seines Wagens gelesen und notiert hatte? Er hoffte, dass dem nicht so war. Zu gönnen war es ihm, so blöd wie er sich angestellt hatte. Erneut unterdrückte er den Wunsch, sich zu ohrfeigen. Silva saß neben dem Tisch und beobachtete ihn mit traurigen Augen. Nein, den Hund durfte er nicht auch noch enttäuschen. Er konnte ja nichts für das Versagen seines Herrchens.
Jan kraulte Silva das Kinn.
»Was meinst du Silva, was sollen wir jetzt tun?«
Silva legte den Kopf schief.
»Ich glaube, wir müssen das Fräulein Sieben ein wenig härter anfassen. Dann verrät sie uns bestimmt, was wir wissen wollen!«
Mit einem unheimlichen Grinsen im Gesicht schielte Jan zu dem frisch gereinigten Jagdgewehr hinüber, das in der Ecke neben der Tür stand.
Silva ließ sich auf den Boden gleiten und bedachte ihr Herrchen mit ängstlichen Blicken.
»Eine harte Hand, die hat sie ja bereits kennenlernen dürfen!«
Jan Dressler stand auf, schob die Gardine ein wenig zur Seite und starrte hinaus in das Dunkel des Waldes. Nur wenige Kilometer von seiner Jagdhütte entfernt, oberhalb eines zugewachsenen Höhleneingangs befand sich der Holzverschlag, in dem dieser Freisler Melinda und ihren Kollegen gefangengehalten hatte. Ein unheimlicher, gespenstischer Ort, um den schon Jans Vater einen großen Bogen gemacht hatte. »Dort singt kein Vogel, äst kein Wild, baut kein Fuchs seine Höhle!« Die Worte seines Vaters klangen ihm noch wie damals in den Ohren.
Noch einmal blickte Jan zu dem Gewehr hinüber und zog den Vorhang wieder zu. Das rotweiße Absperrband der Polizei zog sich damals kurz hinter der Jagdhütte durch den gesamten Wald. Mehrere Tage lang durfte er ihn nicht betreten. Einen Tag vor Melindas Befreiung stand plötzlich dieser Franky vor seiner Tür und fragte, ob er bei ihm übernachten dürfte. Jan bat ihn herein. Im Morgengrauen des nächsten Tages sah Jan ihm vom Fenster aus zu, wie er unter dem Flatterband hindurchtauchte und in der Dunkelheit des Waldes verschwand. Er hatte nie wieder etwas von Franky gehört oder gesehen. Der Polizei verschwieg er, ihn jemals kennengelernt zu haben, doch im Wandschrank stand noch immer sein Rucksack, den Jan bis heute nicht anzurühren wagte.
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Pilzgericht (Krimi)
Misterio / SuspensoDer zweite Fall für Holler & Sieben. Eine Tote im Pilzkorb, ein verliebter Förster, ein mysteriöses Phantom, ein Wald voller Geheimnisse und eine Vergangenheit, die einfach nicht ruhen will. Für Holler und Sieben kann es nur heißen: Zähne zusammen...