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Jan Dressler schloss gerade die Haustür auf, als er das Klingeln seines Zweithandys hörte, welches im Wohnzimmer neben der Fernbedienung lag. Hastig streifte er sich die schlammigen Stiefel von den Füßen, stellte die Schaufel an die Hauswand und wäre beinahe über Silva, seine Jagdhündin gestolpert. Die Luft im Flur war stickig und kaum zu ertragen. Jan Dressler lief zuerst in die Küche und riss das Fenster auf, spurtete dann ins Wohnzimmer und öffnete die Terrassentür. Dieses Haus, es brachte ihn noch um! Schimmel, Staub und Moder, wohin man auch sah. Seit dem Tod seines Vaters und dem Auszug seiner Mutter war hier nichts mehr repariert, gestrichen und erneuert worden. Jan Dressler fehlten die Zeit und das Geld. Die Tapeten begannen sich von den Wänden zu schälen, das Parkett roch feucht, aus dem Keller stieg ein übler Geruch in die Wohnräume, den er mit Tannenduft aus der Spraydose zu bekämpfen versuchte.

Hätte er geahnt, welch attraktive Polizistin sie ihm schicken würden, er hätte für Ordnung gesorgt, sich mehr Mühe mit allem gegeben. Melinda Sieben war von diesem Haus bestimmt schockiert. Er wohnte zwar darin, doch es gehörte nicht zu ihm. Immerhin hatte sie ihm ihre Telefonnummer auf die Hand geschrieben.
Er bekam nur noch selten Besuch. Ein Staubsaugervertreter, die Zeugen Jehovas, ein Kollege vom Forstamt. Es war einsam um ihn geworden. Im Wald, im Amt, zu Hause. Wäre Silva nicht bei ihm, er wäre längst schon in eine Höhle gekrochen und hätte der Welt Lebewohl gesagt.

Auf dem Weg zum Wohnzimmertisch stieß er gegen eine leere Weinflasche, der Inhalt einer halbvollen Chipstüte zerbrach unter seinem Fuß. Am gestrigen Abend hatte er allen Grund zum Feiern gehabt. Ein Gewinn von 2.300 € bei einem Einsatz von 500 €, das konnte sich sehen lassen! Das Glück war ihm schon lange nicht mehr so hold gewesen.

Jan Dressler sah auf seinen Handrücken. Melindas Nummer war fast verschwunden, doch noch immer zu sehen. Er griff nach dem Handy und nahm ab.

„Dressler."

Es war Melinda. Sie sprach sehr leise, er konnte sie kaum verstehen. Sie kam sehr schnell zum Grund ihres Anrufs.

„Holst du mich ab? Parkplatz am Krankenhaus. Ich warte beim Kiosk."

Dressler konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte sie nicht verschreckt, weder mit seinem düsteren Haus, noch mit seinen vielen Nachrichten, die er ihr in den letzten Tagen geschickt hat! Sie wollte ihn sehen, wollte sogar, dass er sie mit dem Wagen abholte. Er versprach ihr, in 15 Minuten bei ihr zu sein.
Die Haustür stand noch immer sperrangelweit offen. Ein kühler Wind wehte herein. Dressler ging, um sie zu schließen. Dabei fielen ihm die Schneeflocken auf, die vom düsteren Himmel herabtaumelten. Sie waren riesengroß, grau wie Asche und schmolzen, sobald sie den Boden berührten. Er dachte an die Pilze im Wald, an den Korb, den er Stella geschenkt hatte und dass es für Schnee eigentlich noch viel zu früh war.
Er drückte die Tür ins Schloss, stieg die Treppe hinauf ins Obergeschoss, zog sich notdürftig um, ging ins Bad, wusch sich Gesicht und Hände und kämmte sich das Haar.

Als er ins Wohnzimmer kam, um die Terrassentür zu schließen, war er nicht mehr allein. Auf dem Sofa saß der alte Gramberg, mampfte zerbröckelte Chips und sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Dressler spürte, wie ihm heiß wurde.

„Verdammt Erik, kannst du nicht zur Haustür reinkommen, wie jeder andere normale Mensch auch? Was willst du hier?"

Gramberg lallte. Er hatte getrunken.

„Was denkst denn du? Mir gehts beschissen, Jan! Mein Sohn hat zwei Polizisten verletzt, die haben geglaubt, er hätte was mit Stellas Tod zu tun! Mein Lokal ist verrammelt und verriegelt, keine Gäste, kein Geld. Alles geht den Bach runter ..."

Gramberg begann zu schluchzen. Was für ein weinerlicher Kerl, dachte Dressler. Macht immer einen auf starken Bären und jetzt das. Jämmerlich, einfach nur jämmerlich. Dressler bemühte sich, freundlich zu bleiben und ließ sich neben Gramberg aufs Sofa fallen.

„Geht uns doch allen ähnlich. Stellas Tod lässt niemanden kalt."

Unbeholfen tätschelte er Grambergs massiven Rücken.

„Vielleicht sollten wir uns mal wieder zu 'ner Runde Doppelkopf treffen. Was meinst du?"

Gramberg nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dressler wippte mit dem Bein und spielte an seinen Fingernägeln herum. Schließlich griff er Gramberg am Arm, zog ihn hoch und schob ihn sanft aber eindringlich in Richtung Ausgang.

„Tut mir leid, Erik. Ich muss nochmal weg! Lass uns treffen, zum Kartenspielen. Morgen Abend?"

Dressler war froh, dass Gramberg sich so gefügig zeigte. Er hätte ihm genauso gut einen Aufstand machen, ein offeneres Ohr einfordern können. Doch der große, alte Mann ließ sich widerstandslos von ihm aus dem Haus, zurück ins Schneegestöber schieben.

„War bloß gerade in der Gegend, dachte, ich schaue mal rein. Kartenspielen, morgen Abend. Gute Sache! Ich sage den anderen Bescheid!"

Dressler half ihm nicht die Stufen zur Auffahrt hinunter. Der alte Zausel hatte allein gesoffen, jetzt sollte er auch sehen, wie er allein nach Hause kam. Mitleid, das hob er sich für besondere Anlässe auf.
Er ging zurück ins Haus, schloss Terrassentür und Küchenfenster, schlüpfte in saubere Schuhe, zog seinen Mantel über und versprühte den letzten Rest Tannenduft im Flur.
Silva saß auf der Schwelle zur Küche und sah ihr Herrchen erwartungsvoll an.

„Bin gleich wieder da und dann bringe ich Melinda mit, ein ganz feines Frauchen, das alles wieder heile heile macht!"

Dressler tätschelte Silvas Kopf und verließ das Haus. Er blickte zur Straße hinunter und vergewisserte sich, dass der alte Gramberg nicht mehr zu sehen war. Wahrscheinlich war er den Kastanienweg hinauf zu seinem Gasthaus getorkelt. Dressler rieb sich die Hände. Es ging niemanden etwas an, dass er mit einer Kriminalkommissarin anbändelte.

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt