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»Huckeduster? Ein uraltes Wort für einen Dieb, denke ich. Was hat das mit Ebert und diesem Archiv zu tun?«

Ein Seufzen erklang von der anderen Seite des Tisches. Bullerjahn rieb sich den Bauch. Dann griff er die Nussschale und schmiss sie in den Mülleimer.

»Die standen wohl schon etwas zu lange hier herum! Kann auch am Kaffee liegen. Die Maschine, die mir meine Tochter geschenkt hat ist kaputt. Muss jetzt diese Plörre aus dem Automaten trinken.«

Melinda schlug die Beine übereinander und begann auf der Schreibtischplatte einen Rhythmus zu klopfen.

»Und? Was ist mit dem Huckeduster?«

Bullerjahn verzog das Gesicht, als leide er unter einem plötzlichen Blinddarmdurchbruch. Könnte auch an den Zigarren liegen, dachte Melinda. Er muss sich anstrengen, wenn er das Rentenalter erreichen will.

»Bei uns im Harz ist ein Huckeduster noch etwas anderes.«

Er griff sich an die eine Schulter, dann an die andere und massierte sich mit starrem Blick den Hals.

»Eine Art Geist, ein Gespenst, ein Dämon, der einen Menschen erwählt, dem er auf den Rücken springt, sich festkrallt und bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslässt. Er versucht, ihn zu steuern, zu beeinflussen, indem er ihm Dinge ins Ohr flüstert, ihm besondere Fähigkeiten verleiht und versucht, in die Irre zu führen. Der Huckeduster ist ein Spieler, ein Narr, ein gefährlicher Clown ...«

Bullerjahn hätte noch lange so weitererzählt, wenn Melinda ihn nicht unterbrochen hätte.

»Woher weißt du das alles?«

»Vom alten Ebert. Aus den Büchern hier, den ganzen Aufzeichnungen.«

Sein Kopf flog herum, als sähe er das Archiv gerade zum ersten Mal. Dann heftete sich sein Blick auf Melindas Rücken, als säße dort ein besonders furchteinflößendes Rieseninsekt. Melinda spürte, wie ihr flau wurde im Magen.

»Okay, der alte Ebert kannte den Wandersmann, er hat einen Huckeduster entdeckt, aber ich verstehe noch immer nicht was ...«

»Der Wandersmann ist der Huckeduster!«

»Aber Ebert ist tot!«

»Ja, er lebt nicht mehr, doch der Wandersmann ist quicklebendig!«

Melinda konnte förmlich hören, wie es in ihrem Kopf arbeitete, wie sich die Puzzleteile der Erkenntnis aufeinander zubewegten und miteinander verbanden. Die plötzliche Einsicht sprang sie mit voller Wucht an und flutete ihr Hirn mit Essigsäure.

»Du meinst, der Wandersmann hat sich einen anderen Wirt gesucht? Du meinst ...«

Melinda riss sich hoch, wobei der Hocker polternd zu Boden fiel. Sie griff sich auf den Rücken, tastete ihn hektisch ab, erst mit der einen, dann mit der anderen Hand, drehte sich panisch um sich selbst und forderte Bullerjahn kreischend auf, ihr zu sagen, wer oder was da auf ihrem Rücken klebte.

»Ich fürchte, so einfach macht es einem der Wandersmann nicht!«

»Was meinst du? Du hast mir doch gerade erklärt, dass ich die nächste bin, die, ich meine, dieser Huckeduster. Und du sitzt da und paffst in aller Seelenruhe deine Zigarre. Mattias, ich habe einen Mitbewohner auf dem Rücken!«

Ihre Stimme überschlug sich. Nachdem Melinda sich noch ein paar Mal um sich selbst gedreht und Bullerjahn ihr wiederholt versichert hatte, dass da nichts auf ihrem Rücken hing, begann sie sich zu beruhigen, hob sie den Hocker auf und setzte sich wieder. Ihre Haare waren zerzaust, zwei ihrer Klemmen lagen auf dem Boden. Sie schwitzte und ihr Atem ging schnell.

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt