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Kerner und Aust sprangen in den Dienstwagen, nicht ohne noch einmal wehmütig auf die Leuchtreklame der Pizzeria zu blicken. Genauso träge wie sie vorhin auf dem Findling in Wald herumgelungert hatten, legten sie jetzt ihre Gurte an, rückten ihre Dienstmützen zurecht und ließen den Wagen auf die Fahrbahn rollen. Melinda schmiss sich auf den Fahrersitz ihres Wagens, in dem es nach überreifer Banane roch, stellte das Radio an und fuhr den beiden Kollegen hinterher. Der Sender war nicht richtig eingestellt, es krisselte und knackte aus den Lautsprechern, Melinda drückte blind auf ein paar Knöpfen herum. Klassik. Eine Sinfonie. Schmetternd, mächtig. Genau das Richtige in dieser Situation! Melinda spürte, wie sie sich innerlich straffte, der Blick schärfer wurde, ihr Kopf geschmeidiger arbeitete.
Kerner und Aust fuhren die Dörgestraße hinauf, am Club Depot vorbei, bogen hinter der Stadthalle und dem Park rechts ab, rollten an der Schachtruppvilla vorbei und stellten den Dienstwagen auf dem dahinter liegenden Parkplatz ab. Melinda hielt neben ihnen und schaltete das Radio aus. Sie hätte gern gewusst, von wem das Stück stammte, wie es hieß, um es sich später, nachdem das hier vorbei war, noch einmal anhören zu können. Durch die Windschutzscheibe beobachtete sie wie Kerner und Aust über den Parkplatz davon schlenderten. Kerner zog sich im Gehen die Hose zurecht und verfiel in einen watschelnden Gang, Aust tastete nach seinem Pistolenhalfter, als wäre er sich nicht sicher, ob er die Dienstwaffe dabei oder sie im Revier liegengelassen hatte. Eine Dienstwaffe, die wüsste ich auch gern an meiner Seite, lieber Kollege, dachte Melinda. Erstmal mussten sie und Arndt jedoch Dr. Rose davon überzeugen, dass sie im besten Sinne dienstfähig und nicht gemeingefährlich oder vollkommen plemplem waren. Da stand ihnen noch ein großes Stück Überzeugungsarbeit bevor. Mit wohlmeinenden Worten würde Lena Christiansen sich nicht zufriedengeben! Und diesen Dr. Rose, der die amtsärztliche Untersuchung durchführte, kannten sie auch nicht. Was für ein Typ war das und wie ließ er sich überzeugen? Gut möglich, dass Bea oder Bullerjahn mehr wussten.

Das Städtische Gymnasium, ein dreigeschossiger Betonriegel aus den Siebziger Jahren, kauerte wie ein gestrandetes Raumschiff in dem menschenverlassenen Stadtpark, der bis auf wenige Laternenlichter unbeleuchtet und düster dalag. Hinter keinem der Fenster brannte Licht, der Haupteingang war verammelt. Melinda legte die Hände an die Scheibe und versuchte etwas zu erkennen. Nichts. Eine unbeleuchtete Eingangshalle, rechts eine Vitrine mit Infoblättern und Vertretungsplänen. Nichts von Belang.
Was hatte sie erwartet? Spätestens um 19.00 Uhr, wenn die Reinigungskräfte ihre Arbeit erledigt hatten, schlossen Schulen ihre Pforten.
„Okay Chefin, und was nun?"
Kerner hatte sich breitbeinig vor ihr aufgebaut, die Hände in die Seiten gestemmt.
„Der kleine Pisser kommt doch von allein wieder nach Hause gekrochen, müssen wir uns doch nicht die Nacht um die Ohren schlagen!"
Er blickte zu Aust hinüber, hoffte auf Zustimmung. Dieser musterte jedoch die Fenster im Obergeschoss, rüttelte dann noch einmal an der Tür und setzte sich dann in Richtung eines gläsernen Anbaus in Bewegung, immer dicht an der Gebäudewand entlang.
Kerner lachte verächtlich, zeigte dabei auf seinen Kollegen.
„Der hat Witterung aufgenommen! Macht der Kohldampf! Je schneller wir hier durch sind, desto schneller kommen wir zu unserer Pizza!"
Melinda ging es nicht anders, auch ihr knurrte allmählich der Magen.
Sie sah Kerner fest in die Augen.
„Und wenn sich herausstellen sollte, dass Jannik Gramberg etwas mit Stella Blumes Tod zu tun hat, wir Christiansen aber sagen müssen, dass uns Funghi, Margarita oder Quattro Stagioni wichtiger waren, dann gnade uns Gott! Es steht einiges für mich auf dem Spiel, Kerner! Einiges!"
Kerner glotzte sie nur blöd an.
„Sie und ihr Kollege, Sie sind auf Bewährung hier?"
„So in etwa!"
„Sie sind doch die beiden, die letztes Jahr diesen Serienkiller ..."
Weiter kam Kerner nicht. Aust rief ihnen etwas zu, mit wild fuchtelnden Armen.
„Genau die zwei sind wir! Zwei durchgeknallte Kollegen, mehr tot als lebendig, zwei, die ihr in dieser merkwürdigen Stadt dringend braucht!"
Dann rannten sie los.

Kerner hing an der Wand, zwei Meter über ihnen. Die Füße standen auf einem knorrigen Ast, seine Hände umklammerten dichtes Blattgrün. Melinda bemerkte den Klettverschluss an seinen Schuhen. Altherrenschuhe. Bequemlichkeitslatschen. Sie passten zu Kerner. Wie war dieser unbewegliche Kerl da hinauf gekommen?

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt