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Es war eine längere Zeit vergangen, in der Seokjin in dem Lazarett lag. Tatsächlich wurden seine Wunden hier versorgt, er hatte Nahrung und sogar frische Kleider bekommen. Und tagtäglich kam jemand zu ihm, um mit ihm zu reden. Aber Seokjin verweigerte dies, weshalb sogar General Min zwischendurch da war und sich die Situation anschaute. Selbst da hatte Seokjin kein Wort gesagt. Er wollte lediglich zu Hoseok. Er würde der erste sein, mit dem er sprechen würde.

Heute war der Tag gekommen, an dem er aus dem Lazarett durfte. Sein Rücken war nicht mehr von tiefen und offenen Schnitten übersät, sondern lediglich dicke und große Narben waren zurückgeblieben. Diese wurden aber unter dem Hemd, welches er trug, perfekt versteckt. Passend zu diesem hatte er eine dunkle Hose an, die in dicke und feste Stiefel gesteckt war. Denn das war seine neue Arbeitskleidung. In dieser würde er den Befehlen seines obersten Herren nachkommen, damit er am Leben blieb.

Auch hatte er ein Zimmer im Arbeitslager auf dem Hofe des Palastes bekommen. Er hatte tatsächlich Platz, ein eigenes Bett und er bekam täglich Nahrung und genügend frisches Wasser. Sogar duschen konnte er sich, was er wahrscheinlich viel zu selten tat. Denn er kannte es nicht. Er kannte das alles nicht, nur die Sprache, die sie sprachen. Aber er sprach sie nicht. Zu sehr fürchtete er sich vor Konsequenzen, wenn er etwas falsches sagen würde.

Gerade stand er mit seinen Arbeitsklamotten vor dem Lager, in dem er seine Ausrüstung für den heutigen Tag bekommen würde. Seine Aufgabe war es von nun an, die Fenster des riesigen Palastes zu reinigen. Und diese Aufgabe würde er für immer erfüllen, damit er in Hoseoks Nähe sein konnte. Er wusste nicht, wie es diesem ging, aber er hoffte inständig, dass er noch lebte.

Es war Sonnenaufgang, als Seokjin an seinem Arbeitsplan mit seiner täglichen Ausrüstung ankam. Er war der einzige Arbeiter an diesem Platz, da es nur wenige seiner Kaste hier gab. Die anderen Arbeiter seiner Art waren an anderen Posten postiert, jeder hatte seinen Abschnitt zu reinigen. Und sobald die letzten Fenster von diesem gereinigt waren, fing alles wieder von vorne an. So war es abgesprochen und geplant. Wenn er an einem Tag nicht das schaffen würde, wie es vorgesehen war, müsste er länger als geplant arbeiten. Passierte das jedoch zu oft, würde er abgeschoben werden. Wieder an Kaste Neun. Und er wusste, dass er dort nie wieder herauskommen würde, wenn er einmal dort gelandet wäre. Deshalb würde er alles in seiner Macht stehende tun, um hier zu arbeiten.

Immer noch ein wenig müde und erschöbt nahm Seokjin sein Sicherungsgeschirr in die Hände, um es sich um die Hüfte zu schnüren. Das wäre seine Sicherung auf der kleinen Schaukel, die er als persönlichen Aufzug verwenden musste, damit er auch an höher liegende Fenster käme. Ihm wurde gesagt, wie hoch der Palast war, aber Seokjin hatte es schon wieder vergessen. Jedenfalls war er ziemlich hoch und wenn er jemals stürzen würde, wäre es mit ihm vorbei. Das wusste er noch.

Er griff gerade nach seinem Eimer, als er aus dem Augenwinkel eine ihm fremde Person sah. Der Kleidung nach her war der große Mann ein Farmer, aber dem Armband nach war er aus Kaste Vier. Denn er trug es falsch herum. Die römische Zahl war auf dem Kopf. Wenn dies ein Aufseher oder eine Palastwache sehen würde, würde er definitiv hingerichtet werden. Und das musste Seokjin unbedingt vermeiden.

Schnell ließ er den Eimer und seinen Abzieher zu Boden fallen, bevor er schnell zu dem dunkelhaarigen Mann lief. So ein Fehler konnte, aber durfte nicht passieren. Bei dem Mann angekommen schien dieser Seokjin gar nicht zu bemerken, weshalb er erschrocken aufkeuchte, als der Fensterputzer ihn förmlich umriss. "Was-", setzte der Mann an, wurde jedoch schnell von Seokjins Hand auf seinem Mund unterbrochen. "Sei still!" Hektisch riss Seokjin an dem elastischen Stoffband, um es ihm von dem Arm zu ziehen. Und natürlich gefiel seinem Gegenüber das nicht, weshalb er Seokjin von sich schubste. Er strauchelte ein wenig, weshalb er zu Boden fiel. "Was willst du?! Bist du so scharf auf eine andere Kaste?! Du bist eine Zehn! Kriminell!", rief der schwarzhaarige Mann laut aus, weshalb Seokjin ängstlich seine Augen aufriss. "Dein Armband! Es ist falsch herum! Die töten dich noch!", antwortete Seokjin leise zischend, damit niemand auf sie aufmerksam wurde. "Die Naht ist außen, es ist falsch herum! Du bist keine Vier, sondern eine Sechs!" Überrascht hielt der fremde Mann in seiner Bewegung inne. "I-Ich trage es falsch? W-Wie?" "Warte, lass mich dir helfen", meinte Seokjin, während er schnell von dem dreckigen Boden aufstand und wieder zu dem Mann lief. Vorsichtig zog er ihm das Band ab, drehte es und zog es ihm wieder über den nackten Arm zum Beginn seines kurzen Ärmels.

"Bitte."

Seokjin drehte sich um und wollte schnellstmöglich zu seinem Arbeitsplatz kommen, damit er seinen täglichen Abschnitt des Schlosses gereinigt bekam. "Warte!" Der Mann hielt ihn an seiner Schulter schnell zurück. "Danke. Wer bist du?", fragte er dann, weshalb Seokjin kurz lächeln musste. "Ich bin Fensterputzer, Kaste Acht. Ich muss los." "Kaste Acht? Und dein Name?" "Den musst du nicht wissen", antwortete Seokjin ihm. "Aber wie soll ich dich denn dann nennen?", fragte der Farmer weiter. "Denk' dir was nettes aus", meinte Seokjin, während er weiter zu seinem Arbeitsplatz lief. "Warte!"

Lächelnd hielt Seokjin an, ehe er sich umdrehte. "Was ist denn?" "Ich bin Joon", lächelte der Mann, sodass in seinen Wangen kleinen Kuhlen hervorstachen. Grübchen. Der Mann hatte zwei tiefe Grübchen. Und wundervolle Augen. "Schön für dich, Joon. Man sieht sich bestimmt wieder." "Ich werde mich revanchieren, Honeyhead." "Honeyhead?!" Entgeistert schaute Seokjin seinen Gegenüber an. "Wieso denn dieser Name?!" "Deine Haare", grinste dieser Joon.

"Das ist Albinismus."

"Ich weiß. Golden Village. Jeder hat von ihm gehört", antwortete der Schwarzhaarige. "Ich hasse es." "Du siehst gut damit aus." "Ich bin auffällig. Jeder starrt, weißt du? Man wird immer in diese 'Golden Village' Schublade gesteckt. Hast du gerade auch", antwortete ihm Seokjin schnippisch. Er hasste es, wenn ihn jemand nur aufgrund seiner hellen Haare ansprach. "Oh, das wusste ich nicht, tut mir leid." "Gut, dann kann ich ja jetzt arbeiten. Die Fenster putzen sich nicht von alleine. Leb wohl, Joon."

"Ich hoffe, ich sehe dich irgendwann mal wieder. Du bist anders, weißt du?", lächelte der Mann, während er seine Hände an die Bänder seiner Latzhose legte. "Gefällt mir." "Danke. Was macht ein Farmer eigentlich in einem Distrikt wie diesem hier? Die Felder liegen ziemlich weit weg. Müssten fünfzehn Tage Fußmarsch sein, wenn ich es noch richtig weiß." "Sechzehn. Woher weißt du das?" "Golden Village liegt in die andere Richtung genauso weit weg. Halt am Meer", grinste Seokjin. Ihm wurde der Mann ein wenig sympathischer. Denn er sprach ihn an, obwohl er zwei Kasten höher lag als er selber.

"Kommst du aus dem Golden Village?"

"Nein, ich komme aus Distikt Acht. Unten bei Texalon. In der Nähe von Ambromda. Wo auch Kaste Neun lebt. Eigentlich nur Kaste Neun", erklärte der Mann dem Farmer. "Interessant. Kommen denn deine Eltern aus dem Golden Village?", fragte der Mann in Latzhosen weiter, weshalb Seokjin verneinend seinen Kopf schüttelte. "Dann wäre ich jetzt nicht als Fensterputzer hier. So toll es doch jetzt ist zu reden, ich muss dringend an die Arbeit." "Da war Ironie in deiner Stimme", lächelte Joon breit. "Schön, man sieht sich!", beendete Seokjin schnell das Gespräch, ehe er auch schon hastig zu seiner kleinen Schaukel an dem Gebäude lief.

Dort griff er schnell nach seinem Abzieher und seinem Eimer, welche er unter die kleine Holzbank schnallte, ehe er sich auf diese setzte. Mit einem kleinen Karabiner hakte er sich an ein dünneres Seil, damit er bei einem Sturz ein wenig gesichert war. Danach zog er sich an einem dickeren Seil den mächtigen Palast empor, um oben an den großen und majestätischen Fenstern anzufangen. Er war jetzt schon seinem Zeitplan hinterher. Und das alles nur, weil dieser Farmer zu blöd war, sein verdammtes Armband richtig herum zu tragen.

Royalty [{NamJin}]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt