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"Hey, Joon", hauchte Seokjin, während er von hinten an den Mann trat. Es war eine Woche nach dem Vorfall vergangen, und heute stand die öffentliche Beerdigung der Königin an. Namjoon sprach seitdem mit keinem mehr, während Hyewon eigentlich nur noch unter Beruhigungsmitteln stand. Aber für heute mussten sie sich zusammenreißen, denn in der Öffentlichkeit durften sie keine Trauer zeigen. Immerhin waren sie von royalem Blut.

"Ich bin für dich da", meinte der blonde Mann, während er den Mann still umarmte. Und sofort begann Namjoon laut zu weinen. "Hey Joonie, es ist alles gut. Du darfst trauern, du darfst weinen. Es war deine Mama, du brauchst nicht den Starken zu spielen." "Es tut mir leid", schniefte Namjoon, während er Seokjin eng an seine Brust drückte. "Es ist nicht deine Schuld, dass sie sich das Leben genommen hat. Es lastete viel Druck auf ihren Schultern. Sie wollte dir einen so angenehmen Übergang von Kronprinz zu König machen, aber sie hat es leider nicht geschafft. Sie hat dich so geliebt, Joon. So wie du sie, deshalb ist deine Reaktion total nachvollziehbar." "Meine Mutter hat sich umgebracht, Seokjin. Niemand weiß wieso." "Ich will dich mit meinen Vermutungen nicht belasten, Joon. Du siehst ihr würdig aus. Und du darfst weinen. Sei einfach der neue König, der genauso menschlich wie alle anderen ist", schlug der Albino vor. "Ich will kein König mehr sein. Ich will nicht über dieses beschissene Land bestimmen müssen! Ich will nicht diese Beerdigung vor Millionen von Menschen bestreiten müssen! Erst bei Hyungmins Beerdigung, dann Gooyums, dann Vaters und jetzt Mutters Beerdigung! Das ist nicht fair und niemand, wirklich niemand will das verstehen!" Es half Namjoon, seinen ganzen Frust loszuwerden. Es tat so fürchterlich gut. Denn es tat so fürchterlich weh.

"Siehst du? Gefühle machen uns doch nur zu einem besseren Menschen, Namjoon", lächelte Seokjin dann. "Wir können direkt nach der Beerdigung mit deinen Beratern sprechen, um das Rechtssystem grundlegend zu verändern, so wie du es wolltest. Es hilft dir doch immer, wenn du über andere Dinge nachdenkst." "Du hast recht, Jinie. Ohne dich wäre ich aufgeschmissen. Wie gefällt dir eigentlich mein Entwurf für den Geschenketag? Ist das gut?" "Joon, du lässt das gesamte Straßensystem in den unteren Kasten aufbauen! Du wirst Schulen bauen, sogar ein Trinkwassernetz ausbauen lassen! So etwas habe ich mir früher immer nur erträumen lassen. Eine Dusche zu nehmen war undenkbar! Du revolutionierst das Land in einer halben Woche komplett! Du bist ein Held!" "Ich bin kein Held. Ich bin nur nicht egoistisch und machthaberisch, so wie Vater und Onkel. Ich möchte tatsächlich stolz auf meine Amtszeit sein, ohne die Menschen auszubeuten. Wie viele kluge Köpfe wir schon durch mangelnde Hygiene oder fehlende Bildung verloren haben. Jeder Mensch sollte dieselben Chancen bekommen." "Für mich bist du ein Held. Mein Held." "Ich liebe dich Honeyhead."

Leise wurde an der Tür geklopft, ehe Jimin einfach in den Raum hinein kam. "Hey", hauchte er ruhig, ehe er auf das Paar zuging. "Ihr werdet draußen erwartet. Der Sarg wird gleich auf die Limousine gelegt, damit wir zum Friedhof gehen können." "Wir kommen, danke Jimin", hauchte Seokjin, während er Namjoons Hand fest in seine schloss und ihn dann mit sich aus dem Gemach zog. Immerhin mussten sie nun den Trauermarsch der ehemaligen Königin antreten.

Leise schniefte der zukünftige König an der Hand seines Verlobten, während er nach draußen in die unheimliche Stille und Kälte trat. Vor dem Palasteingang und der mächtigen Treppe vor diesem stand ein Spalier aus Soldaten, ehe man unten den hellen Sarg der Königin sehen konnte, der auf einer offenen Limousine lag. Namjoon musste ernst bleiben, er durfte keinerlei Emotionen von seinem Gesicht lesen lassen. Und es half ihm, dass Seokjin seine Hand hielt. Normalerweise müsste er sogar hinter ihm hergehen, aber auf diese Tradition hatte Seokjin einfach keinen Wert gelegt. Er wollte- nein musste für Namjoon da sein.

In Stille, während Millionen von Menschen zuschauten, schritten die beiden Männer die Treppe hinunter. Hyewon folgte ihnen dicht, neben ihm lief der Soldat Jeon, während Geongwha mit ihrem Mann folgte. Es war fürchterlich, weshalb Seokjin den Blick nach oben mied. Der Gehweg war nun viel interessanter als alles andere, weshalb er diesen gerne anstarrte. Langsam fuhr die Limousine los, hinter welcher die Königskinder hergehen mussten. Namjoon fühlte sich unterdrückt und bloßgestellt, es war in seinen Augen falsch, dass er keine Trauer empfinden durfte, während die Einwohner am Rand weinten und schnieften. Es war brutal und es zerriss ihm sein Herz- diese Menschen hatten seine Mutter ja nicht einmal gekannt! Sie hatte ihnen nicht beruhigend über die Haare gestrichen, ihnen abends Geschichten vorgelesen oder sie andauernd aus der Parkgarage zerren müssen. Sie hatte nicht alle Menschen gekannt, aber dafür ihre Familie umso mehr, weshalb sie nur ihre Familie trauern sehen wollte. Und genau das wurde ihr verwehrt.

Leise kam die Trauergesellschaft an dem öffentlichen Grabmal der Königsfamilie an. Das Grab war ausgehoben, es standen sechs Männer an ihm aufgereiht und schienen nur zu warten, die wunderschöne Holzkiste unter die Erde zu bringen. Und es fühlte sich so verdammt falsch an. Es wurde nicht geredet, es wurde keine Musik im Hintergrund gespielt. Es war einfach- einfach still. Viel zu leise, wie es Namjoon fand. Denn die Worte, die die Königin zu sagen hatte, wurden gestern Abend im engsten Familienkreis verkündet. So stand es in ihrem letzten Willen. Und so wurde es ihr gewünscht.

Langsam wurde der Sarg von der Limousine genommen, ehe man sich vor dem offenen Grab versammelte und mit dunkelroten Bändern die Königin hinabließ. Und das war der Moment, in dem Namjoon nicht mehr konnte. Kraftlos sackte er in sich zusammen, ehe er laut zu weinen begann. Schlimmer noch, er schrie förmlich. "Mama!", weinte er laut, während er in den offenen Boden schaute. Und mit ihm begann ebenfalls der noch nicht weinende Rest zu weinen.

Es würde sehr wahrscheinlich in die Geschichte des Landes eingehen. Wie die halbe Königsfamilie auf grausamste Art und Weise verstarb, ehe ihr Thronfolger von seinen Emotionen und Gefühlen geleitet nach seiner Mama schrie, die nie wieder antworten würde. Denn sie konnte es nicht. Sie hatte Selbstmord begannen, ihre Lasten auf dieser Erde zurückgelassen, um endlich ihren persönlichen Frieden zu finden.

Mit Tränen auf den Wangen hockte sich Seokjin neben Namjoon auf den Boden, ehe er dessen Gesicht sanft gegen seine Brust drückte. Instinktiv krallte Namjoon sich an ihn, ehe er laut weinend zurückblieb. Er konnte das alles nicht. Er konnte diesen Thron nicht annehmen, er konnte seinen Eltern nicht gerecht werden. Niemand konnte das, nur wurde er ungewollt in diese Rolle gezwungen. Es war sein Schicksal, und er hasste es. Er hasste alles. Die Menschen um ihn herum, die mangelnde Privatsphäre, die wahllosen Attentate auf seine Familie, damit er für etwas starb, was er niemals wollte. Alles für den Thron. Und er wollte alles aufgeben. Alles, was er kannte und alles, für das er stand. Vielleicht wäre aufgeben dieses Mal die einzig vernünftige Antwort auf alle unausgesprochenen Fragen.

Royalty [{NamJin}]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt