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Mehr als nur erschöpft und müde packte Seokjin am späten Abend seine Arbeitssachen zusammen, die er morgen noch brauchen würde. Er hatte sich gründlich beeilt, seinen heutigen Abschnitt zu schaffen, jedoch war er ein wenig zu langsam gewesen, weshalb ihm noch wenige Fenster fehlten. Er würde morgen einfach ein wenig früher beginnen und die Fenster noch reinigen, damit es den Aufsehern nicht auffiel. Er hoffte, dass sie vor morgen keine Runde zum Anschauen machen würden. Es stand auch alles wichtige in seinem Arbeitsplan, aber es war ihm einfach zu peinlich gewesen, zu sagen, dass er weder lesen noch schreiben konnte. Aber so etwas lernte man in den unteren Kasten nur sehr selten.

Seokjin leerte gerade seinen Eimer, da hörte er jemanden eine wunderschöne Melodie pfeifen. Neugierig drehte er sich um, nur um den Farmer von heute morgen wiederzusehen. Und direkt bekam er Wut auf ihn.

"Du! Farmer!", schrie er deshalb, weil er den Namen des Mannes schon wieder vergessen hatte. "Honeyhead! Was ein Zufall, dass ich dich hier wieder antreffe!", grinste der Mann tatsächlich sehr erfreut. Er mochte Seokjin und seine impulsive Art, womit er gar nicht gerechnet hatte, aber er war begeistert von ihr. Obwohl der junge Mann sehr geheimnisvoll und merkwürdig war. Vielleicht war er aber heute auch nur schlecht gelaunt.

Wütend nahm Seokjin seinen zweiten Eimer in die Hand, in dem sich noch immer dreckiges Wasser befand. "Wegen deinem scheiß Gespräch heute morgen bin ich nicht fertig geworden!", ließ Seokjin seine über Wochen gesammelte Wut raus, ehe er den Eimer nach vorne riss. Und dadurch kam das gesamte Wasser mit allem Dreck genau auf den Farmer zu, der nicht mal die Chance hatte, auszuweichen.

"Spinnst du?!"

Entsetzt starrte der große und stark aussehende Mann den etwas kleineren an. "Was kann ich denn dafür, wenn du nicht arbeiten kannst?!" Diese unnützen Anschuldigungen wollte der Mann nicht auf sich sitzen lassen. "Du bist nicht besser, Farmer!" Seokjin wusste nicht, warum er das gerade getan hatte, aber er fühlte sich tatsächlich ein wenig schuldig. Das würde er natürlich nicht zugeben, aber es war so. "Du weißt doch nicht einmal mehr meinen Namen, du Putze!" Und damit schaute Seokjin schnell von dem Mann weg, bevor er sich einfach umdrehte und schnell zu seiner Schaukel lief.

Gerade, als er sich bückte, um seine Sachen aufzuheben, wurde er grob nach vorne gestoßen, weshalb er kopfüber in den matschigen Boden fiel, auf welchem er gerade sein Wasser entleert hatte. "Oh! Tut- Tut mir echt leid, Honeyhead", murmelte der Farmer direkt entschuldigend, weshalb er dem Mann am Boden aufhelfen wollte. Doch dieser schien nicht so, als wenn er aufstehen wollte.

Seokjin lag quer auf dem Bauch auf dem Boden, hatte Tränen in den Augen. Er kam einfach mit der gesamten Situation hier am Palastgebäude nicht klar. Dazu war er auf sich alleine gestellt und die einzige Person, die freiwillig nach Wochen mit ihm reden wollte, war nun wütend auf ihn. Und das alles nur, weil er jemanden brauchte, an dem er seine Wut abbauen konnte.

"Bitte geh einfach", hauchte Seokjin deshalb. "Geh."

Der Farmer wusste echt nicht, wie er reagieren sollte. Zum einen wollte er sich für sein Temperament entschuldigen, zum anderen wollte er den hellblonden Mann nicht nur noch mehr belästigen. Denn dieser wollte anscheinend seine Ruhe vor allem und jedem haben. Er hatte sehr wahrscheinlich keine gute Erfahrung mit fremden Menschen gemacht, deshalb wollte er auch nicht weiter stören. Es war ein innerer Konflikt mit sich selbst.

"O-Okay", hauchte der Mann in Latzhosen dann. "Ich muss dann jetzt gehen. Ich komme nur einmal wöchentlich, ich hoffe wir sehen uns irgendwann wieder", seufzte er, bevor er einfach ging. Die anderen Farmer müssten noch mit die alten Fässer und Container auf ihre Anhänger packen, damit sie mit ihren Landmaschinen den langen Weg nach Hause antreten konnten, um wieder ihre Felder zu bestücken und zu ernten. Es war ein harter Job, aber er brachte als untere Kaste doch eine Menge Geld ein. Und deshalb musste er nach Hause.

Sobald sich Seokjin sicher war, dass der Mann weg war, richtete er sich ein wenig auf. Sein Rücken schmerzte wieder und er war ungünstig auf seinen rechten Arm gefallen, sodass dieser an einigen Stellen blau wurde und ebenfalls schmerzte. Aber er durfte es sich nicht anmerken lassen, sonst könnte er aus dem Dienst gezogen werden. Er verstand immer noch nicht, wieso man einen schwachen und unterernährten Mann wie ihn am Palast eingestellt hatte. Immerhin hat er den ersten Monat nicht einmal gearbeitet, sondern er lag nur als Last in einem der Krankenbetten. Er verstand das System und die Denkweise der Personen einfach nicht.

Schnell wischte er sich die einzelnen Tränen aus dem Gesicht, ehe er sich hinstellte. Er musste schnell in das Arbeitslager am hinteren Ende des Hofes zurück, um sich ein wenig zu waschen und etwas Nahrung sowie Flüssigkeiten zu sich zu nehmen. Er hungerte nämlich schon den gesamten Tag über, da er sein Mittag hatte ausfallen lassen, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen.

Mit seiner täglichen Ausrüstung lief er zum Rüstungsschuppen, um alles wieder ordnungsgemäß abzugeben. Dort wurden dann seine gearbeiteten Stunden aufgeschrieben, damit der Leistungsstand immer nachgewiesen werden konnte. Er musste seine gesamte Ausrüstung abgeben, damit die Aufseher ihn nicht des Diebstahls anzeigen konnten. Denn dann wäre er ein toter Mann. Vor dem Lager selber standen kaum Arbeiter, immerhin war es schon sehr spät. Deshalb beeilte sich Seokjin nur noch mehr, um schnell seine Abendration an Essen zu bekommen. Hungern half nämlich nicht wirklich.

Nachdem der einfache Mann seine Utensilien abgegeben hatte, lief er in den Speisesaal der Arbeiter in den Komplex, in dem er lebte. Er lag auf dem Gelände des Palastes, aber immer noch ziemlich weit entfernt, da man als Adeliger nicht als erstes die schmutzigen Arbeiter sehen wollte, wenn man hier abreiste. Und Seokjin konnte das komplett verstehen. Wenn er König wäre, hätte er auch versucht, sein Land von der besten Seite zu zeigen. Aber Aeros war seit dem großen Krieg ein einziges Drecksloch. Zumindest dann, wenn man arm war. Denn an Wohlstand mangelte es diesem Land unter keinen Umständen.

Müde und hungrig stellte Seokjin sich schnell mit einem Tablett in die Schlange für die Essensausgabe, damit auch er am nächsten Morgen gekräftigt aufstehen konnte. Und sofort schweiften seine Gedanken zu dem anderen Arbeiter der Kaste Neun. Hoseok. Wie es ihm gehen mochte? Ob man ihn gut behandelte? Oder ob sie sich jemals wiedersehen würden? Er vermisste den jüngeren Mann sehr, keine Frage. Aber ihm stand bestimmt ein wohlhabendes Leben bevor, das würde er ihm niemals nehmen wollen.

Royalty [{NamJin}]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt