(Un)vergessen

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Wie du raubst,
wie du plagst,
wie du fasst,
wie du mich verrückst.
Du dich traust,
wie du's wagst,
wie du nicht erschrickst.
Wie du kämpfst,
dich verrennst,
wenn Du traurig bist.

(Herbert Grönemeyer – Fang mich an)

Es war nach neun am Abend, als Hermine bei Severus aus dem Kamin stieg. Sie hatte viel früher Schluss machen wollen, aber das Korrigieren der Essays ihres vierten Jahrgangs hatte sich länger gezogen als erwartet. Drei Wochen lang hatte sie dieses Thema nun schon mit ihren Schülern bearbeitet und trotzdem hatten sie noch eine bestenfalls irritierende Vorstellung vom Prinzip der Londoner U-Bahn. Unterrichten war ihr deutlich einfacher erschienen, als sie noch Professor Aldens Assistentin gewesen war.

Das Wohnzimmer war dunkel und ausgekühlt, eine Gänsehaut lief ihr über die Arme; anscheinend hatte Severus am Wochenende keine nennenswerte Zeit hier verbracht – und wenn doch, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, ein Feuer zu entzünden. Sie hatten sich seit drei Tagen nicht gesehen, nicht mal gestern Abend, nachdem sie Rose nach Hause gebracht hatte, weil er so von dem Trank zur Herstellung einer Verbindung vereinnahmt war. Lediglich zu dem einen oder anderen Telefonat hatte er sich überreden lassen, aber auch da hatte Hermine den Eindruck gehabt, dass er nicht wirklich zugehört hatte. Er war eine frustrierende Gesellschaft, wenn er in dieser Phase seiner Entwicklungen steckte.

„Severus?", rief sie, bekam aber keine Antwort. Mit einem Seufzen warf sie ihre Tasche auf den Sessel und zog ihren Umhang aus. So wie sie ihn kannte, hatte er schon viel zu lange nichts Vernünftiges mehr gegessen und auch sie selbst hatte das Abendessen in Hogwarts ausfallen lassen in der Hoffnung, die Essays so ein bisschen schneller abarbeiten zu können. Also wanderte sie zuerst in die Küche und warf einen Blick in den Kühlschrank, aber mehr als ein kleines Stück Butter und eine Flasche Ketchup fand sie dort nicht. Jedenfalls nichts, das noch genießbar war. Mit gerümpfter Nase warf sie ein Stück Käse weg, das bereits Pelz trug. Und als sie sich auf der Arbeitsplatte umsah, warf sie ein ähnlich gekleidetes Toastbrot gleich hinterher. „Also mal wieder der Lieferdienst", murmelte sie und schnappte sich die Flyer, ehe sie in den Keller hinunterlief.

Sie segelten lautlos zu Boden, als sie Severus sah, zuckend gegen die hintere Wand des Labors gekauert. Für einen quälend langen Moment blieb ihr das Herz stehen.

„Severus!", keuchte sie und durchquerte das Labor in wenigen Schritten.

„Der Trank", sagte er gepresst, nachdem sie vor ihm auf die Knie gesunken war, und sah über ihre Schulter hinweg zum Kessel, der über dem Feuer hing. „Du musst ..." Er sog scharf die Luft ein und hielt sie ein paar Sekunden lang an, als eine weitere Welle von Krämpfen ihn schüttelte.

„Der Trank ist mir egal!", sagte sie, bevor er dazu kam, seinen Satz zu beenden. Jetzt schlug ihr das Herz bis zum Hals.

„Nein! Du musst dich ... darum kümmern."

„Sei nicht albern, Severus!"

„Hermine!", sagte er scharf und sah sie trotz der Krämpfe und trotz der Schmerzen, die er offensichtlich hatte, scharf an. „Das hier ... geht gleich vorbei. Der Trank!"

Sie presste die Lippen aufeinander und schnaufte unzufrieden. Es war lange her, dass er das letzte Mal einen seiner Anfälle gehabt hatte. Jedenfalls soweit sie es wusste. Sie erlebte es jetzt überhaupt erst zum dritten Mal. Das erste Mal damals nach ihrem Entzug, das zweite Mal Anfang des Jahres nachdem sie miteinander geschlafen hatten und jetzt. Sie vermutete, dass er zwischendurch noch mehr davon gehabt hatte, aber sie wagte es nicht, ihn danach zu fragen. Sein Verhalten war jedes Mal das gleiche frustrierende Gebaren: Fass mich nicht an, lass mich in Ruhe, das geht vorbei. „Schön", schnappte sie also gereizt und stand auf. „Was soll ich tun?"

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