82. Gefühle

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"Ich weiß es nicht.", sagte ich schnell, um darüber nicht reden zu müssen.
"Ich meine, was sind die ersten Gedanken oder Gefühle, wenn du an ihn denkst? Ich sehe, dass du eine Antwort darauf hast.", er sah mir direkt in die Augen, doch blieb freundlich.

Ich schluckte kurz schwer, "Ich hasse ihn, aber irgendwie verdanke ich ihm auch alles, was ich habe und er bedeutet mir sehr viel.", flüsterte ich so leise, dass er es gerade verstehen konnte.

Er nickte verstehend und sah nachdenklich auf sein Glas, "Und was denkst du, warum du so durchdrehst, wenn es um deinen Bruder geht und dein Vater ihm helfen will? Ich habe gehört, dass es heute nicht das erste Mal war."

Es war für mich erstaunlich, wie ruhig ein erwachsener mit mir reden konnte. Ich fühlte mich nicht bedroht oder unter Druck gesetzt. Ich fühlte mich, als wenn ich mit diesem Mann, den ich kaum kannte, über alles sprechen konnte.

Doch ich zuckte mit den Schultern, "Ich weiß es nicht."
Ein leichtes Lächeln huschte über Bobbys Gesicht und er begann zu erzählen, "Dein Vater ist früher oft gegangen und irgendwann zurück gekommen, bis er irgendwann nicht mehr zurückkam, richtig?"

Ich nickte nur und hörte weiter zu.
"Genau das ist die Antwort.", er lächelte beruhigend, "Du hast Angst davor, dass er dich wieder verlassen könnte oder er Robby dir vorzieht."

Spöttisch lachte ich auf, "Das tut er doch schon. Mein Bruder hat Miguel vielleicht umgebracht und Dad steht zu ihm.", sagte ich patzig.
"Das macht Eltern aus. Sie stehen zu ihren Kindern und helfen ihnen, wenn sie etwas angestellt haben."

Ich dachte über seine Worte nach, es stimmte, denn egal was ich angestellt hatte, er hat mir irgendwie immer raus geholfen.
Ohne etwas zu sagen sah ich Bobby an, der mich nur anlächelte, denn er wusste wohl, dass ich verstanden hatte.

Doch auch ich hatte meine Fragen an Bobby, "Wie war mein Vater früher?"
Er lachte auf, verschränkte die Arme und lehnte sich  zurück. Er schien in Gedanken und die passenden Wörter zu finden.

"Er war der, der unsere kleine Gruppe zusammengehalten hat.", es schien, als hätte er die Zeit von damals gerne zurück.
"Also so etwas wie ein Anführer?"
Das Lachen verging nicht aus seinem Gesicht und er nickte, "Definitiv war er das. Was nicht heißen soll, dass er immer die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Sagen wir es so, du bist ihm ähnlicher, als du denkst, Enna.", er erhob sich, "Ich würde gerne...", er deutete in Richtung Bad und verschwand.

Ich wusste, dass viele sagten, dass ich meinem Vater ähnlich war, doch irgendwie fühlte es sich nicht so an.
Doch vielleicht hatten wir unsere Probleme genau weil wir uns so ähnlich waren.

Als Bobby aus dem Bad zurück kam, konfrontierte ich ihn sofort mit den nächsten Fragen, "Und was hältst du von Kreese?", überrumpelte ich ihn.

Ich merkte, dass sein Lächeln verschwunden war und er sich ernst zu mir setzte, "Ich war sein bester Schüler. Natürlich nach deinem Vater.", er atmete aus und nahm sein Glas, "Kreese kann dir vielleicht zeigen, wie man kämpft. Aber er weiß auch, wie man Kinder manipulieren kann und sie auf einen gnadenlosen Weg schickt. Er tut Kindern nichts gutes.", er schüttelte mit dem Kopf und blickte auf.

"Dad versteht nicht, dass ich nur weiter zu Cobra Kai gehen will, weil meine Freunde da sind. Ich will mit ihnen trainieren und nicht alleine mit Dad.", beschwerte ich mich und hoffte insgeheim, dass er meinen Vater darauf ansprechen könnte, dass er es mir nicht so schwer machen sollte.

"Dein Vater will dich beschützen.", er zuckte mit den Schultern, "Und so wie ich ihn kenne sind ihm dazu alle Mittel recht, so ist er nun mal.", er erhob sich, um zu gehen.

"Ich habe dir meine Nummer aufgeschrieben. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn etwas ist.", er gab mir einen Zettel und verabschiedete sich von mir.
Zögernd blickte ich auf die Nummer, als Bobby die Wohnung verlassen hatte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Am nächsten Tag wollte ich mich auf den Weg zum Training machen, als Miguels Mutter aus ihrer Wohnung kam.
Als sie mich erblickte kam sie sofort zu mir. Sie begrüßte mich und fragte, wie es mir gehen würde.

"Miguel ist gestern aufgewacht.", sie wirkte glücklicher und nicht mehr so niedergeschlagen.
Ich riss sofort die Augen auf, "Wie geht es ihm?"
Sie erzählte mir, dass er noch schwach war, aber bei klarem Verstand.

"Ich bin auf dem Weg zu ihm, möchtest du mich begleiten?", sie lächelte mich an.
"Darf ich?", fragte ich sofort und drängte den Gedanken an das Training nach hinten, denn Miguel ging vor.

Als ich sein Zimmer betrat, war nicht viel anders, außer, dass Miguel die Augen auf hatte.
Er versuchte zu lächeln, als er mich bemerkte.
"Wie geht es dir?", fragte ich ihn, als ich vor ihm zum stehen kam.

Er flüsterte nur leise, denn er war noch zu schwach, um sich so anzustrengen, "Es ging mir nie besser.", er grinste mich geschwächt an.
Auch ich musste grinsen. Ich blieb fast eine Stunde bei ihm und wir redeten viel. Auch über meinen Vater.

"Wo ist er?", fragte Miguel mich. Stumm blickte ich zu Boden, bevor ich ihm wieder in die Augen sah, "Er ist mit LaRusso auf der suche nach Robby.", flüsterte ich und schämte mich für das, was mein Vater machte.

Ich weiß nicht, was es in Miguels Augen war. Wut, Enttäuschung, Entsetzen, irgendetwas musste es sein, denn er war schlagartig weggetreten und starrte nur noch vor sich hin.

Cobra Kai: Der Weg von Enna LawrenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt