„Kathryn? Wir müssen reden", kam Jay noch am gleichen Abend in das Zimmer seiner Tochter. Die 13 Jährige saß an ihrem Schreibtisch und zeichnete, während sie über die Kopfhörer Musik hörte. Als sie ihren Vater in den Raum treten sah, nahm sie abrupt die Lautsprecher von den Ohren. Die Stimmung war bereits am Morgen alles andere als gut gewesen und sie wollte ihn nicht noch mehr verärgern. Hatte sie doch bereits beim nach Hause kommen mehr als deutlich die schlechte Launefalte auf seiner Stirn bemerkt.
Mittlerweile kannte sie ihren Vater zu lange und zu intensiv, um nicht zu ahnen, dass seine Stimmung nicht gut war.
Sie spürte es an seiner Tonlage, an der Art wie er redete.
„Hör mal, eigentlich möchte ich wirklich, dass du diese App deinstallierst. Mir ist das dort zu wenig Kontrolle, zu wenig moderiert. Keiner der eingreifen kann, wenn das völlig aus dem Ruder läuft."
Wenig begeistert sah das Mädchen seinen Vater an. Dass der jetzt wirklich ernst machte, damit hatte sie eher weniger gerechnet.
„Die Alternative ist, dass wir einen offenen Umgang damit haben und du mir zeigst, was du dort machst. Damit ich weiß, ob ich dir vertrauen kann."
Zögerlich sah sie ihn an, stöpselte dann widerwillig ihr IPhone ab. Gern tat sie das nicht, aber sie spürte, dass sie keine andere Wahl hatte, wenn sie ihren Account behalten wollte.
„Erklär mir, wie das funktioniert. Zeig mir deine Bilder."
Kya seufzte.
„Echt jetzt?"
„Echt jetzt", wiederholte Jay.
„Du weißt, ich mache mir Sorgen um dich."
Sie stand auf, trat neben ihn und machte einige Handgriffe an ihrem Iphone, um die Seite aufzurufen.
„Hier ist die App. Die rufst du auf. Hier sind die Menschen, denen ich folge und hier ist mein eigenes Profil. Mit meinen Bildern. Videos habe ich keine. Dort oben ist die Anzahl der geposteten Fotos und daneben meine Abonnenten und die, die mich abonniert haben und meinen Fotos folgen."
Jay wirkte nun sichtlich überrascht. Er musste zwei Mal hinsehen, um wirklich zu glauben, was er da sah.
„Du bist ja auf gar keinem Bild von vorne abgebildet", sagte er mit einer Mischung aus Überraschung und Enttäuschung, weil er nicht damit gerechnet hatte.
Kathryn sah ihn unschuldig an.
„Ja, das sollte ich doch auch gar nicht. Du sagst doch ständig, dass ich mich nie im Netz präsentieren soll. Jetzt mache ich das nicht. Jetzt ist es auch wieder nicht richtig."
„Nein."
Jay erhob abwehrend die Hände.
„Es ist nur, dass es mich überrascht, dass du dich wirklich daran hältst."
Sie stöhnte laut.
„Sagt mal, euch Erwachsenen kann man es auch nie recht machen, oder? Denken Erin und du eigentlich, ich bin völlig bescheuert? Wenn diese Trolle jetzt meine Bilder im Netz gefunden hätten, könnte ich ja gar nicht mehr schlafen. Man hat sein Profil nicht öffentlich, wenn man sich zu kontroversen Themen äußert."
Jay grinste spitzbübisch.
„Meine Güte, da haben wir ja doch nicht alles falsch gemacht."
Für einen langen Moment lächelten Vater und Tochter einander an.
„Ich pass da schon auf", sagte Kathryn mit einer Wärme in der Stimme, die Jay ahnen ließen, dass jegliche Zweifel tatsächlich unbegründet waren.
Jay ging trotz allem ihre Followerliste durch.
„Das sind alles Fans oder Fanseiten von Bands und Fernsehserien. Oder Mitschüler, aber die sind auch nicht alle mit Fotos vertreten. Ich bin da einfach vorsichtig, weil ich damals mit Sandy so schlechte Erfahrungen gemacht habe."
„Das ist auch gut so, denn letztendlich verstoßen die Fanseiten ja auch gegen Urheberrechte. Normalerweise dürfen die Filmszenen oder diese Bandbilder gar nicht posten, weil die von professionellen Fotografen stammen", klärte Jay den Teenager nochmals auf, der die Worte mit einem Nicken bestätigte.
„Sag mal, diese Bilder. Die sind doch dann für alle zugänglich, wenn man die Option eines öffentlichen Profils wählt, oder?"
„Ja, wieso?"
Kathryn sah ihren Dad ahnungslos an. Der fummelte an ihrem Gerät herum.
„Wie funktioniert das jetzt? Wenn ich ein Thema eingebe, wie finde ich dann die Menschen, denen das auch wichtig ist?"
„Gib mal her. Du musst ins Hauptmenü und dann nutzt du die Suchfunktion und gibst bei der Raute den benötigten Begriff ein."
Jay tippte Suizid in das Fenster ein. Kathryn sah ihn aus großen Augen an.
„Wirklich jetzt?"
„Wieso?"
„Na, Selbstmord. Denkst du jetzt, ich will mich umbringen."
„Quatsch. Ich brauch das für die Ermittlungen."
„Aha, daher weht der Wind."
Zu Jays Leidwesen gab die Suchoption nichts Brauchbares her.
„Sag mal Kya, wie wahrscheinlich ist es, dass man auf instagram neue Bekanntschaften knüpft?"
„Mit denen man sich dann umbringt?", schlussfolgerte sie.
„Zum Beispiel", flüsterte Jay, der in diesem Moment wieder völlig baff war, dass sie so gut kombinieren konnte. Sie dachte kurz nach, schüttelte dann mit dem Kopf.
„Nicht sehr hoch. Wenn man auf instagram geht, dann ja deshalb weil man schon bestimmte Dinge kennt. Dass ich Fan von CSI Miami bin oder die Stones und die Smashing Pumpkins mag, war ja vorher schon klar. Nicht erst, seitdem ich diese App hatte. Außerdem schalten viele User ihre Konten auch auf privat."
„Das geht?"
Jay war sichtlich erstaunt.
Kathryn rollte mit den Augen.
„Ja, klar geht das. Dann können die Fotos und Videos nur von den Followern gesehen werden. Das habe ich auch aktiviert. Ich fahre doppelt auf Nummer sicher. Ich poste nur Landschaftsbilder und Aufnahmen , die mich von hinten oder ohne Gesicht zeigen und habe das Konto gleichzeitig auf privat aktiviert. Auch wenn ich eins nicht verstehe", strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sah ihren Vater irritiert an.
„Wieso ermittelst du bei Suizid? Ich denke, ihr kommt nur bei komplizierten Mordfällen?"
Jay druckste ein bisschen herum. Eigentlich wollte er Kya nicht so direkt an seinen Ermittlungen beteiligen.
„Wenn der Suizid durch jemanden forciert wurde, dann nicht."
Sie überlegte kurz, sah ihn dann mit ernster Miene an.
„Habt ihr das Smartphone des Toten da? Also, kommt ihr an die Daten ran?"
Jay nickte.
„Dann würde ich mal bei den Followen und in den Privatnachrichten nachsehen. Ist nicht unwahrscheinlich, dass euer Verdächtiger dort zu finden ist."
In Jays Kopf schien es zu arbeiten. Er war nicht abgeneigt, hatte aber noch einen weiteren Gedanken.
„Kathryn, sag mal. Wenn du jemanden übers Internet finden würdest, der genau das was du dir schon lange erhoffst mit dir umsetzen würde, würdest du dich mit dem treffen? Ganz ehrlich?"
„Wird das jetzt ein Verhör? Worauf willst du hinaus, Herr Kommissar?", fragte sie spöttisch, aber Jay hielt an seiner Miene fest.
„Ich wills einfach wissen."
Nach kurzen Überlegungen schüttelte sie entschlossen mit dem Kopf.
„Wenn ich den oder die gar nicht kenne und noch nie gesehen habe, warum sollte ich das machen? Ihr predigt mir doch selbst von klein auf, dass ich mich niemals mit anderen übers Netz verabreden darf."
„Aber nehmen wir mal an, du wüsstest derjenige existiert. Und das ist kein Fake. Wo würdest du dich mit ihm oder ihr treffen?"
„Würde ich ja nicht. Habe ich eben gesagt."
„Wir gehen jetzt optimistisch davon aus. Du bekommst von mir grünes Licht, willst dich verabreden."
„Na, irgendwo öffentliches. Wo nichts passieren kann. Beim ersten Treffen entscheidet sich ja, ob alles nur heiße Luft war. Niemals zu mir nach Hause und auch nicht zu irgendwelchen Unbekannten."
Halstead nickte, gab ihr das Gerät wieder in die Hand.
„Danke."
„Wie danke? Muss ich die App jetzt deinstallieren oder nicht?"
„Ich möchte, dass wir weiterhin so offen darüber kommunizieren können, okay? Ich finde gut, dass ich mich da scheinbar auf dich verlassen kann, aber versuch ein bisschen weniger Zeit an deinem Iphone zu verbringen. Gerade weil du ja weißt, dass dort viele Spinner unterwegs sind, ja?"
Sie nickte verstehend.
„Okay."
„Schlaf gut. Ich muss nachher nochmal zum Präsidium", wollte er sich gerade verabschieden, als sie ihn zurückhielt.
„Dad?"
„Mh?"
„Machen wir mal wieder was zusammen? Ich meine am Wochenende. Mal wegfahren. Raus aus Chicago."
Er seufzte.
„Mäuseprinzessin, ich lasse mir was einfallen, okay? Wir halten mal nächstes Wochenende fest. Dann versuchen wir Überstunden abzufeiern."
Sie nickte wehmütig.
„Ich bin übrigens stolz auf dich."
Kya huschte ein Lächeln übers Gesicht.
„Wieso?"
„Na, weil du bei bestimmten Fragen schon so reif und erwachsen bist und ich mich mehr auf dich verlassen kann, als ich dachte."
Damit zog er schließlich ab, ließ die High School Schülerin schmunzelnd zurück...
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Es blieb nicht lange ruhig.
Schon zwei Tage später gab es den nächsten Doppelsuizid. Im Gegenzug zu den bisherigen Malen war es Adam dieses Mal gelungen den Nachrichtenverkehr aufzuschlüssen und einen Verantwortlichen zu enttarnen, der auffälligerweise auch bei den zwei bisherigen Suiziden in den Abonennten der Opfer vermerkt war.
Die Spur führte zu einem Mike Hopkins. Sozialarbeiter bei einer Beratungsstelle und Aushilfe an einer Schule.
Nur mit dem Motiv schienen die Cops noch lange im Dunkeln zu tappen.
Ein Sozialpädagoge, der Klienten zum Freitod animierte, schien alles andere als Sinn zu ergeben und genau das stieß den Ermittlern der Intelligence bitter auf.
Es wurden lange, sehr intensive Ermittlungstage.
Tage, an denen Kya lange allein war und viel Zeit ohne ihre Eltern zu Hause verbrachte.
Manchmal sahen Lindsay und Halstead das Mädchen nur noch zum schlafen. Die Tatsache, dass Kathryn zwar sehr selbstständig war und sich mit ihrem Kindermädchen, das ab und an nach ihr schaute gut verstand, kam den Cops zwar sehr gelegen, aber ein toller Dauerzustand schien es dennoch nicht zu sein.
„Auch wenn wir den Fall morgen nicht abschließen, nehme ich mir am Wochenende frei. Das geht nicht mehr. Wir können Kathryn nicht permanent alleine zu Hause lassen. Das ist kein Dauerzustand. Schon gar nicht nachdem allem dieses Jahr mit ihr war", spielte er auf ihre monatelangen Diäten und die Versuche zu hungern an.
„Die Ermittlungen waren diese Woche echt hart, aber sie macht das gut alleine."
Skeptisch sah Jay seine Frau an.
„Ja, das dachten wir damals auch. Dann habe ich sie 3 Tage zwangsernähren lassen. Im Ernst, was ist wenn sie wieder einen Rückfall bekommt?"
Erin rollte mit den Augen, sah mitfühlend auf ihren Mann.
„Jay, sie sieht gut aus. Sie ist gesund. Sie hat ihre Therapeutin und Mrs. Woods, die auf sie aufpasst und nach ihr schaut."
Genervt fuhr sich der Detective durch die Haare. Wohl war ihm dabei trotzdem nicht.
„Ich mache mir trotzdem Sorgen. Die optimale Lösung ist das ganz sicher nicht sie ständig allein zu lassen. Im Ernst. Ich finde, wir können das so nicht wieder machen. Egal was ist. Am Wochenende bin ich zu Hause. Das habe ich ihr versprochen. Notfalls melde ich mich krank. Da muss Voight durch", hatte Halstead allmählich genug und brachte es dann ziemlich genau auf den Punkt.
Erin lächelte ihn traurig an. Es war nie leicht gewesen, den Drahtseilakt von Privatleben und Job auf die Reihe zu bekommen, aber in letzter Zeit ging es wirklich an die Substanzen...
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Entgegen aller Befürchtungen schaffen sie es am Freitag doch noch das entscheidende Indiz ausfindig zu machen, das den Verdächtigen bis aufs weitere ins Gefängnis bringen konnte.
Sie verdankten es einer Mitschülerin des dritten Suizidpaares, das ausgepackt hatte, weil sich Briana Davidson noch kurz vor ihrem Tod ihrer besten Freundin anvertraut hatte.
Mike Hopkins hatte kein Alibi für den Tatzeitraum und er wurde nur kurz vor der Selbsttötung mit den zwei letzten Opfern gesehen. Eine weitere Gegebenheit, die ihn schwer belastete.
Letztendlich packte er aus und gab allumfänglich zu, dass er aus Rache gehandelt hatte. Nachdem seine Tochter sich im Alter von 15 Jahren das Leben genommen hatte waren ihm die Sicherungen durchgebrannt und er forderte Vergeltung ein.
Ein Tatausgang, der besonders Jay sehr berührte. Hatte er mit Kathryn doch einen Teenager, der sich im nahezu gleichen fragilen Alter befand.
Es war bereits spät am Abend, als Erin und Jay nach Hause aufbrachen. Voight hatte beiden für das gesamte Wochenende frei gegeben, sodass dem Plan des ersten gemeinsamen Ausflugs nach langer Zeit nichts im Wege stand.
Die zwei hatten kurzfristig bei Luigis Halt gemacht, um für Kathryn eine Pizza mitzunehmen. Es war das Lieblingsrestaurant ihrer Tochter und die zwei wussten, dass sie ihr damit eine Freude machten.
Als sie zur Einfahrt hinein fuhren, sahen sie, dass im Wohnzimmer noch immer das Licht brannte. Wie für diese Uhrzeit typisch schaute Kathryn meist ihre Lieblingscrimeshow.
An diesem Abend war sie jedoch vor Erschöpfung vor dem Fernseher eingeschlafen.
Jay grinste, als er sie tief schlummernd auf der Couch sah. Auf dem Tisch lag eine halbleere Chipstüte, daneben eine halb angebrochene Colaflasche. Zumindest schienen seine Befürchtungen bezüglich eines Anorexierückfalls unbegründet zu sein.
Er tauschte sich berührte Blicke mit Erin aus, ging dann langsam zur Couch und stellte den Pappkarton mit der Margharita auf den Tisch, ehe er der 13 Jährigen behutsam über die Stirn strich.
„Kya, mach mal die Augen auf. Wir sind zu Hause. Wir haben dir was zu essen mitgebracht."
Sie brummte im Schlaf, während ihr Jay liebevoll über die Stirn streichelte. Es brauchte etliche Ansätze, ehe sie müde die Augen öffnete.
„Wir sind zu Hause, Süße", begrüßte sie nun auch Lindsay und hielt ihr den Pizzakarton entgegen, was das Mädchen im Halbschlaf lächeln ließ.
Sie seufzte zufrieden, lehnte ihren müden Kopf gegen Jays Schulter.
„Träume ich das oder seid ihr wirklich da?"
Jay lachte. Dann gab er ihr einen kurzen Kuss auf die blonden Haare, ehe er sich nach oben erhob.
„Ich würde mich beeilen. Wenn du jetzt nicht aufwachst, essen wir alles alleine auf."
Dass diese Worte den Weckprozess erheblich beschleunigten schien kein großes Geheimnis zu sein. Gähnend begann sie sich zu rekeln, sah dann neugierig auf den Karton und strahlte über das ganze Gesicht.
„Das ist der Einstieg zum Wochenende. Heute essen wir Pizza und morgen fahren wir alle gemeinsam weg. Klingt das gut?"
Kya begann nun über das gesamte Gesicht zu strahlen, himmelte ihren Vater an.
Und ob das gut klang.
Glücklich wie schon lange nicht mehr lächelte sie ihrem Papa entgegen. Vorfreudig auf das, was da am anstehenden Wochenende noch auf sie warten würde...
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eternity (Chicago PD fanfiction)
FanfictionJay ist im Auslandseinsatz in Bolivien als er von Haileys Tod erfährt. Nachdem Upton auf dem Weg zur Arbeit angeschossen wurde liegt sie im Koma, erleidet schließlich einen Herzstillstand. Nur durch Zufall überlebt das Baby, das sie im Bauch trägt...